Altkatholische Generalvikarin: Einheit mit Rom kein Ziel der Ökumene
Auch wenn in der altkatholischen Kirche den Frauen alle Weiheämter und Leitungspositionen seit fast einem Vierteljahrhundert offenstehen, hat es doch einige Jahre bis zu dieser Premiere gedauert: Seit September 2020 ist die Priesterin Anja Goller die erste Generalvikarin des altkatholischen Bistums in Deutschland. Im Gespräch berichtet die Kirchenfrau von den Herausforderungen ihrer Arbeit, den Beziehungen zur römisch-katholischen Kirche und was das alles mit ihrem Frau-Sein zu tun hat.
Frage: Frau Generalvikarin, Sie sind seit September im Amt. Wie haben Sie die ersten Monate im neuen Job erlebt?
Goller: Sie waren sehr voll. Ich habe viele Informationen erhalten und mich in meine Aufgaben eingearbeitet. Ich musste mich neu strukturieren, da ich jetzt ein anderes Aufgabenfeld habe: Vorher war ich an der Universität Bonn als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig und davor als Priesterin in einer Gemeinde in Frankfurt, wo ich auch mein Vikariat, also meine pastorale Ausbildungszeit, absolviert habe.
Frage: Sie sind Pädagogin und Theologin, als Generalvikarin stehen Sie aber an der Spitze einer Verwaltung. Haben Sie sich für Ihre neue Stelle in diesen Bereichen fortgebildet?
Goller: Das läuft derzeit parallel zu meinen ersten Monaten im neuen Amt. Ich bin gerade dabei, mich im Bereich Personalmanagement fortzubilden. Das ist erstmal der Schwerpunkt.
Frage: Bei vielen reformorientierten römischen Katholiken gelten die Altkatholiken als Vorreiter bei der Gleichberechtigung von Frauen in der Kirche. Doch sie sind erst die erste Generalvikarin der altkatholischen Diözese in Deutschland. Warum gab es vorher noch keine Frau in Ihrem Amt?
Goller: Es mag sich merkwürdig anhören, aber ich glaube, es hat sich zuvor einfach nicht ergeben. Als Bischof Ring gefragt wurde, warum er genau mich für dieses Amt ausgewählt habe, gab er zur Antwort, dass seine Wahl wenig mit meinem Frau-Sein zu tun hat. Es war ihm wichtiger, dass ich aus seiner Sicht andere Gesichtspunkte in das Amt einbringe, er eine gute Zusammenarbeit erwartet und mich schlicht für geeignet hält. All das ist anscheinend zuvor noch bei keiner anderen Frau zusammengekommen.
Frage: Das ist doch eine sehr positive Aussage für Sie, denn so laufen Sie nicht Gefahr, als "Quotenfrau" zu gelten.
Goller: Das sehe ich genauso. Ich weiß, dass für unseren Bischof das Geschlecht seiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nicht entscheidend ist. Ich war daher sehr über die vielen Reaktionen überrascht, die ich bekommen habe, weil ich – eine Frau – dieses Amt nun ausübe, denn im ersten Moment war mir die Geschlechter-Thematik gar nicht bewusst. Erst später habe ich gemerkt, wie wichtig es für viele Gläubige tatsächlich ist, dass eine Frau dieses Amt innehat. Das zeigt mir jedoch, dass es in unserer Kirche auf der Leitungsebene weniger ein Thema ist, ob jetzt eine Frau oder ein Mann ein bestimmtes Amt übernimmt, sondern dass es vielmehr um Eignung, Fähigkeiten und Können der jeweiligen Mitarbeiter geht.
Frage: Wie bewerten Sie im Allgemeinen das Thema Frauen und Gleichberechtigung in Ihrer Kirche? Wo steht die altkatholische Kirche bei diesem Punkt?
Goller: Es ist schon sehr viel erreicht worden, weil wir strukturell keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern haben. Bei uns haben Männer und Frauen die gleichen Möglichkeiten bei sämtlichen Stellenbesetzungen: Es können Pfarrer und Pfarrerinnen oder Bischöfe und Bischöfinnen gewählt werden. Mein Amt zeigt das nun auch. Luft nach oben beim Thema Gleichberechtigung sehe ich bei der Liturgie und ihrer Sprache. Wir versuchen derzeit, diesen Punkt gerechter und moderner zu gestalten. Aber das ist ein Thema, das wohl niemals an ein Ende kommt.
Frage: Nun gibt es in der altkatholischen Kirche, aber auch bei den Protestanten erst seit einigen Jahrzehnten Pfarrerinnen. Gibt es bei Ihnen noch Gläubige, die Frauen im geistlichen Amt nicht akzeptieren?
Goller: Ja, diese Ansicht gibt es leider noch. Erst vor kurzem hatte ich ein entsprechendes Erlebnis, bei dem ein Kritiker es nicht gut fand, dass eine Frau das Amt der Generalvikarin ausübt. Aber soweit ich das mitbekomme, sind das meist nur einzelne Stimmen. Ich kenne diese Haltung noch aus der Zeit kurz nach meiner Weihe. Da gab es sogar Kollegen, die von Frauen im Priesteramt nichts hielten und mir das auch sehr offen gesagt haben. Glücklicherweise waren sie trotz dieser Kritik mir als Person gegenüber aber immer fair. Das hat es möglich gemacht, dass wir dennoch zusammenarbeiten konnten.
Frage: In der katholischen Kirche ist die Situation eine grundlegend andere, da dort Frauen vom Weihesakrament ausgeschlossen sind. Aber es gibt Bemühungen, ihnen den Zugang zu Führungspositionen zu ermöglichen, etwa durch Mentoringprogramme oder geteilte Stellen mit einem Priester als Amtschefin an der Spitze eines Ordinariates. Wie bewerten Sie diesen Weg der katholischen Kirche?
Goller: Ich kann hier nur ganz persönlich als Frau sprechen: Ich fände es frustrierend, wenn aufgrund meines Frau-Seins an irgendeiner Stelle in der kirchlichen Hierarchie Schluss wäre – egal, ob ich etwas leiste oder nicht. Das empfinde ich als Diskriminierung. Ich glaube, die Bemühungen der katholischen Kirche ändern nichts an der Grundproblematik, dass die Zugänge zu entscheidenden Ämtern dem weiblichen Geschlecht verwehrt werden. Es ist gut, dass Frauen mehr dürfen und eine Karrieremöglichkeit aufgezeigt bekommen, aber der Grundgedanke, dass es aufgrund des biologischen Geschlechts so etwas wie eine unüberwindbare Mauer gibt, ist für mich mehr als schwierig.
Frage: In der katholischen Kirche gibt es nicht wenige Frauen, die das ebenso sehen…
Goller: Es berührt mich sehr, wenn ich Gottesdienst feiere und mir bei der Kommunionausteilung Frauen gegenüberstehen, denen die Tränen über das Gesicht laufen und von denen ich später die Rückmeldung erhalte, dass sie Katholikinnen seien und es sie sehr berühre, dass ich als Frau am Altar stehe. Ich frage mich dann immer, wie viele schlechte Erfahrungen oder unerfüllte Sehnsüchte oder Träume dahinterstecken mögen. Das ist sehr berührend, aber auch sehr traurig, denn es zeigt, wie viele Verletzungen ganz tief in manchen Seelen schlummern.
Frage: Wie sehen Sie die Beziehungen zwischen Ihrer Kirche und der römisch-katholischen? Welche Erfolge in der Annäherung gab es und wo bestehen weiterhin Probleme?
Goller: Man muss zwei Dinge unterscheiden: Einerseits die Zusammenarbeit an der Basis, in den Kirchengemeinden. Dort ist die Ökumene sehr unterschiedlich, denn es gibt tolle Kooperationen, aber auch Beziehungen mit katholischen Pfarreien, die eher problematisch sind. Andererseits gibt es die offizielle Ebene zwischen den Kirchen. In den letzten Jahren haben wir hier zwei große Dialogpapiere zum Thema Kirche und Kirchengemeinschaft verabschiedet mit einem umfassenden Inhalt. Wir sind jetzt aber an einem Punkt angelangt, an dem wir mit den Katholiken im Dialog bleiben, aber kein festes Ziel mehr vor Augen haben.
Frage: Was wünschen Sie sich als Ziel der Ökumene? Die Einheit mit der katholischen Kirche?
Goller: Nein, eine Vereinigung ist sicher nicht das Ziel. Ein gutes, akzeptiertes Miteinander wäre schon sehr viel wert. Mit einer gewissen Offenheit, dem anderen gegenüber und der Akzeptanz, dass beim jeweiligen Gegenüber so manches anders ist – und das auch so sein darf.
Frage: Oder um es anders zu formulieren: Was können die römischen Katholiken von den Altkatholiken lernen – und andersherum?
Goller: Es ist immer einfacher zu sagen, was andere von einem selbst lernen können, als was man von anderen lernen kann. Ich halte die Grundstruktur unserer Kirche für richtig: die Laienbeteiligung auf allen Ebenen, ein Miteinander in der synodalen Struktur. Das ist sehr viel wert und bringt uns an vielen Stellen weiter, weil wir viel mehr Gesichtspunkte in unseren Diskussionen auf allen Leitungsebenen haben – eben die Lebenswelt der Laien. Denn sie bewegen sich durch ihren beruflichen Kontext in anderen Gebieten, zu denen wir als Geistliche keinen Zugang haben, weil es nicht unser Alltag ist. Es bereichert unglaublich, Menschen in der Kirchenleitung zu haben, die sich beruflich mit anderen Dingen als Theologie oder Spiritualität beschäftigen und diese Sichtweisen in die Kirchenleitung miteinbringen.
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Frage: Wovon könnten sich die Altkatholiken eine Scheibe bei der römisch-katholischen Kirche abschneiden?
Goller: (Lacht) Das ist ganz schön schwierig zu sagen! In vielem sind wir uns sehr ähnlich, etwa was Liturgie, Spiritualität, Theologie betrifft. Der größte Unterschied liegt schließlich in der Struktur.
Frage: Vor welchen Herausforderungen steht die altkatholische Kirche? Was wird ihre Amtszeit als Generalvikarin prägen?
Goller: Mit einer Herausforderung haben natürlich alle Kirchen zu kämpfen: der Frage, wie Kirche in unserer Zeit lebendig bleiben kann. Wie kann der Glaube weitergegeben werden und wie muss Gemeinde dementsprechend aufgebaut sein? Auch Corona und die Auswirkungen der Pandemie bis hin zur Zusammensetzung der Gemeinden und den finanziellen Folgen sind große Herausforderungen. Diese Fragen werden uns sicher noch lange nach Beendigung der Krise begleiten. An vielen Stellen haben wir Altkatholiken noch volkskirchliche Strukturen, aber wie tragbar sind sie? Herausforderungen sehe ich genug.
Frage: Sie haben die finanziellen Folgen von Corona angesprochen. Wie sieht es diesbezüglich bei Ihnen aus?
Goller: Unser Bistum umfasst ganz Deutschland, weshalb es eine große Durchmischung von Gemeinden gibt, in denen es sehr unterschiedlich aussieht. Aber im Großen und Ganzen scheint die Finanzierung auch in der Corona-Krise auf sicheren Beinen zu stehen. Einen ganz klaren Trend können wir bislang noch nicht ausmachen, aber es scheint keine größeren Einbrüche zu geben. Meine persönliche Einschätzung ist, dass wir keine Einsparungen vornehmen müssen.
Frage: Wie setzen sich die Gemeinden zusammen? Gibt es viele Familien, die seit Generationen altkatholisch sind oder stellen Konvertiten die Mehrheit?
Goller: Was wir merken ist, dass es aktuell mehr Menschen gibt, die uns beitreten. Diese Personen kommen zwar mehrheitlich aus der römisch-katholischen Kirche, aber eben nicht nur. Wir haben auch Gläubige, die zuvor in evangelischen Kirchen waren, oder aus ganz anderen Bereichen kommen. Es gibt auch Gläubige, die sich bei uns taufen lassen. Das kommt jetzt in der Corona-Krise verstärkt vor – auch wenn man dabei bedenken muss, dass es sich bei uns immer um kleine Zahlen handelt. Das finde ich eine sehr spannende Entwicklung, von der mir viele unserer Pfarrerinnen und Pfarrer erzählt haben. Viele Menschen haben sich ausgelöst durch Corona auf die Suche nach Sinn gemacht. Dabei suchen sie die kirchliche Gemeinschaft und treten weniger aus Frust über. Ob sich das im Rückblick jedoch tatsächlich in den Mitgliedszahlen niederschlagen wird, ist noch nicht auszumachen, aber diese Beobachtungen finde ich sehr spannend.
Frage: Und was sind die Gründe für die meisten Katholiken, die zu Ihnen übertreten?
Goller: Oft sind es meiner Wahrnehmung nach Gründe, die in der jeweiligen Ortsgemeinde liegen. Unsere Erfahrung ist, dass Menschen, die z.B. wegen des Missbrauchsskandals aus der katholischen Kirche austreten, alle Kirchen über einen Kamm scheren – also auch uns. Nach dem Motto: Kirche ist schlecht und damit sind alle Kirchen schlecht. Es ist also nicht so, dass es etwa ein rückwärtsgewandtes Papier aus Rom gibt, das in Deutschland nicht gut angenommen wird und deshalb bei uns die Mitgliedszahlen ansteigen. Ein Wechsel ist schließlich oft genug eine Sache von mehreren Jahren. Es muss ganz viel passieren, damit jemand sich den Ruck zum Übertritt gibt. Ich weiß auch nicht, ob es gut ist, aus Frust, in die nächste Kirche einzutreten. Wir Altkatholiken haben manchmal das Problem, dass die Wünsche, die andernorts unerfüllt blieben, auf unsere Kirche projiziert werden, und auch wir sie nicht erfüllen können. Das sind sehr individuelle Fälle, etwa, wenn sich jemand über etwas in seiner Gemeinde ärgert. Nach Jahren wechselt er dann zur altkatholischen Kirche und stellt fest, dass es diese allzu menschlichen Konflikte auch dort gibt. Oder er stellt fest, dass gerade in einer synodalen Struktur die eigenen Ansichten von der Mehrheit nicht geteilt oder abgelehnt werden. So kann es zu einer doppelten Frusterfahrung kommen. Das liegt in der Natur der Sache, denn in einer synodalen Kirche wird über vieles auch sehr heftig gestritten. Es kann sehr frustrierend sein, dass es auch nach vielen Jahren nicht zu den Veränderungen kommt, die man selbst vielleicht gerne hätte.