Benedikt von Aniane – Der zweite Ordensgründer der Benediktiner
Ein tragischer Unfall auf dem Italienzug Karls des Großen 774: An der Uferböschung sah Witiza, ein junger Westgote in fränkischen Diensten, wie sein Bruder einen Fluss bei Hochwasser zu queren suchte, aber von der Strömung fortgerissen wurde und nicht wieder auftauchte. Witiza war erschüttert. Keine 25 Jahre alt, beschloss er, sein Leben von Grund auf zu ändern. Statt Soldat des Königs wollte der Grafensohn ein Kämpfer für Gottes Reich und eine friedlichere Welt sein.
Witiza schlüpfte in die Kutte eines Mönchs. Nach Jahren tastender Versuche besann er sich auf die Regel, die der heilige Benedikt für seine Gemeinschaft auf dem Montecassino entworfen hatte. Unterstützt von Kaiser Ludwig konnte er sie als Norm für ganz Europa durchsetzen.
Am 11. Februar 821, vor 1.200 Jahren, starb Abt Benedikt im Kloster Inden bei Aachen, wegen seiner Verdienste wie ein Heiliger verehrt. Kaiser Ludwig der Fromme hatte das Reformzentrum Inden bauen lassen, damit Benedikt an den "Sitz des Reiches" kam. Noch wenige Tage vor seinem Tod hatte der Politikberater aus dem Kloster die Nähe von Inden, heute Kornelimünster, zur Kaiserpfalz genutzt, um Ludwig aufzusuchen.
Großes Vertrauen zwischen Kaiser und Mönch
Kaiser und Benedikt verband großes Vertrauen. Noch Unterkönig seines Vaters Karl in Südfrankreich, hatte Ludwig das aufblühende Werk seines väterlichen Freundes verfolgt. Erste Klostererfahrung hatte Witiza in Saint-Seine nahe Dijon gesammelt. Den Perfektionismus, den er im Hofdienst bewiesen hatte, lebte er willensstark in freiwilliger Armut und Selbstüberwindung. Die Benediktregel war ihm damals zu lax, etwas für "Schwächlinge".
Witiza ließ sich auf dem väterlichen Erbgut zu Aniane bei Montpellier nieder. Als er den Wert der Benediktregel erkannt hatte und sich um 780 nach seinem Vorbild Benedikt nannte, hielt der König seine schützende Hand über die Gründung von Aniane, die zum Großkloster mit über 300 Mönchen wuchs. Karl wusste: Schon der heilige Martin hatte in Tours früher als Benedikt von Nursia ein monastisches Leben geführt. Aber nur das gemeinsame Leben von Montecassino galt als "römische Regel".
Winfried-Bonifatius hatte den Prozess der Kircheneinheit in päpstlichem Auftrag angestoßen. Im fränkischen Reich war in den Klöstern die Mischregel verbreitet, ein Mix von Vorschriften des ortsfesten Mönchvaters Benedikt und des irischen Wanderpredigers Kolumban. Benedikt von Aniane reformierte und gründete Klöster im Süden Frankreichs bis zur Loire mit enormer Energie, bisweilen auch mit pedantischer Strenge und militärisch anmutender Disziplin.
Strenge und Disziplin
Das große Ziel des zweiten Ordensgründers war die "Einheitsform" für Speise und Trank, Nachtwachen und Gesang. Karl förderte Benedikts Streben nach Einheit. Sein Riesenreich brauchte Institutionen wie Klöster, die aktiv das Leben der Menschen verbesserten – nicht nur religiöse Zentren, sondern innovative Motoren für Wirtschaft und Bildung. Karl stellte Aniane als Königskloster unter seinen Schutz.
Benedikt richtete in seinem Musterkloster ein normierendes Schulungscenter ein. Er besuchte Klöster, hielt Konferenzen zur Verbreitung der Regula Benedicti. Der Reformator wurde zum Buchautor, um die Einheitsregel zu verbreiten.
Gekrönt wurde Benedikts Arbeit, als Ludwig Kaiser wurde und ihn als Berater nach Aachen rief. Unter Ludwig formulierte Benedikt von Aniane die Aachener Mönchsregel, mit der er den Benediktinerorden reformierte. Zudem gründete er im Süden Aachens die Abtei Kornelimünster.
Eine verbindliche Regel
In den Synoden zwischen 816 und 819 wurde die Benediktregel für alle Nonnen und Mönche im Reich verbindlich. Von den Klöstern wurden die Gemeinschaften der meist adligen Kanoniker und Kanonissen gesondert, die nun in Dom- und Stiftskapiteln nach eigener Regel lebten und persönliches Eigentum besitzen durften.
Die Aachener Synoden setzten das Werk Karls des Großen fort, auch wenn einzelne Bestimmungen die weltflüchtige Handschrift Benedikts von Aniane erkennen lassen: so die Begrenzung der Klosterschulen auf den eigenen Nachwuchs. Doch die Benediktregel blieb die alleinige Norm für das monastische Leben bis zur Gründung des Zisterzienserordens.