Schönheitskur für Engel: Neuer Glanz dank innovativer Lasertechnik
Das erhabene Gefühl beim Betreten einer romanischen Kirche kennt wohl jeder: der kühle, dunkle Raum, die Mischung aus Stille und dumpfem Widerhall der eigenen Schritte, ein paar spärliche Lichtstrahlen, die auf die Wände und Kunstwerke fallen. Wer zur gegenwärtigen Zeit das Bonner Münster betritt, erlebt stattdessen einen komplett anderen Eindruck: Von der mittelalterlichen Architektur ist zwischen einem Urwald aus Stahlgerüsten und Holzverschalungen nichts mehr zu sehen. Unter den Schuhen knirscht der Baustaub, der Raum ist erfüllt von Maschinenlärm und Neonlicht, es herrscht Helmpflicht. Bereits seit 2017 wird die Bonner Hauptkirche von innen und außen grundsaniert. Dieser Tage hatte das Stadtdekanat aber zu einem besonderen Pressetermin geladen – der Grund: Mit dem sogenannten Stadtpatronealtar ist nun der erste von insgesamt sieben barocken Alabasteraltären fertig restauriert.
Das Ensemble aus dem 17. und 18. Jahrhundert gilt als größte und am besten erhaltene Altar-Gruppe ihrer Art nördlich der Alpen. Die Steinaltäre zieren die Seitenwände der romanischen Basilika und waren früher für die private Messfeier der Stiftsgeistlichen vorgesehen. Dass der Stadtpatronealtar im Zuge der Innensanierung als eines der ersten Kunstwerke an die Reihe kam, war keine zufällige Entscheidung. Das rund vier Meter hohe Monument aus farbigem Marmor – "Schupbach-Schwarz" und "roter Lahn" – ist den Schutzheiligen der Stadt Bonn gewidmet: Es handelt sich um die im dritten Jahrhundert hingerichteten Soldaten Cassius und Florentius sowie die Kaiserin Helena, die an der Stelle der heutigen Münsterkirche die erste Grabstätte für die beiden Märtyrer errichtet haben soll. Im zentralen Ölgemälde des Altars schweben die drei Heiligen auf einer Wolke über der barocken Stadtsilhouette, beschirmt von der Dreifaltigkeit, die aus den darüberliegenden himmlischen Höhen herabblickt.
Barocker Stadtpatronealtar erhält neuen Ehrenplatz
Ursprünglich stand der 1704 in einer Kölner Werkstatt geschaffene Altar auf einer erhöhten Loggia rechts des Chores. Dort sei er aber als zu wuchtig empfunden und später sogar ganz aus der Basilika entfernt worden, erzählt Stadtdechant Wolfgang Picken. Der großgewachsene Kleriker weist in Richtung des verhüllten Altarraums. Seine gepflegte schwarze Priesterkleidung steht im Kontrast zu der staubigen Gerüsthalle, in die sich die Münsterkirche während der Bauzeit verwandelt hat. Erst in den Sechzigerjahren habe einer seiner Vorgänger den Stadtpatronealtar in einer fremden Kirche wiederentdeckt und nach Bonn zurückgebracht. In einer dunklen Ecke rechts vom Hauptportal fristete das Kunstwerk seitdem allerdings eher ein Schattendasein. Mit der Renovierung des Münsters habe man deshalb auch die bisherige Eingangssituation umgestalten wollen, sagt Picken.
Während der erste Eindruck bisher von Hinweisschildern ("Keine kurze Hose, kein Eis") und dem Beichtstuhl ("Herzlich willkommen, du Sünder") geprägt war, soll zukünftig der Barockaltar mit den beliebten Stadtheiligen die Blicke auf sich ziehen. Dazu hat der gut acht Tonnen schwere Altar mit seiner im wörtlichen Sinne bewegten Geschichte nochmals einen neuen Standort bekommen: Er steht jetzt an prominenter Stelle direkt gegenüber dem Eingang und begrüßt demnächst von dort aus die eintretenden Münsterbesucher.
Wie auch die übrigen sechs Barockaltäre ist der Stadtpatronealtar reich mit Alabasterarbeiten dekoriert. Ein filigranes Pflanzengeflecht umrankt das Bild der Schutzheiligen, ein üppiger Wappenschild sowie zwei grazile Engelsfiguren aus dem hellen Stein zieren den Altargiebel. Die cremefarbene und seidig schimmernde Oberfläche des Gesteins war über Jahrzehnte unter einer dunklen Schmutzschicht verborgen. Diese zu entfernen klingt weitaus einfacher, als es in Wirklich ist. Das Problem: Alabaster ist ein sehr weicher Werkstoff und zudem äußerst empfindlich gegen Feuchtigkeit.
Abbild himmlischer Schönheit
Lange Zeit ging man deshalb davon aus, dass er lediglich als billiger Ersatz für Marmor verwendet wurde. Heute weiß man dagegen, dass Alabaster im Barock sehr wertvoll war und aufgrund seiner durchscheinenden Optik besonders geschätzt wurde, um die überweltliche Schönheit der Heiligen und Engel darzustellen. Stadtdechant Picken schwärmt von einem "transluziden Schimmer", und seine Begeisterung über das optische Phänomen lässt die Baustellenbesucher neugierig ihre Köpfe recken. Zu sehen ist von den steinernen Himmelswesen bisher allerdings nichts.
Die kostbaren Alabasterskulpturen sind zum Schutz vor Beschädigungen gegenwärtig noch ausgelagert und so wirkt der Marmoraltar etwas nackt an seinem neuen Ehrenplatz. Dass die Kunstwerke bald aber wieder in voller Pracht erglänzen können, ist das Verdienst von Susanne Brinkmann und Christina Verbeek. Um die empfindliche Oberfläche der Figuren nicht durch mechanische oder chemische Einflüsse zu beschädigen, setzen die beiden Kölner Restauratorinnen ein innovatives Laserstrahlverfahren ein: "Die dunkle Schmutzschicht absorbiert das Laserlicht und wird in dünnen Schichten abgetragen, während das helle Alabastergestein den Lichtstrahl reflektiert", erklärt Brinkmann die berührungslose Reinigung. Wie ein schwarzer Pullover, der sich im Sonnenlicht aufheize, würden Staub und Rus der Jahrhunderte die Energie des Laserlichts aufnehmen und sich regelrecht in Luft auflösen.
Das Spezialgerät, mit dem Brinkmann und Verbeek die Alabasterarbeiten reinigen, trägt den Namen "CL20 Backpacklaser" und erinnert an den Geistersauger aus dem Kultfilm "Ghostbusters": Das glänzende Metallgehäuse des rucksackförmigen Lasergenerators ist mit Schutzgittern und aerodynamischen Lüftungsschlitzen versehen. Es sind verschiedene Kabel und Steuerelemente angeschlossen. An einigen Stellen meint man, Verbrennungsspuren zu erkennen. Die eigentliche Laserpistole besteht aus einem rechteckigen Metallkästchen und ähnelt mit ihrem runden Kopfteil und den kleinen Stellrädchen einer veralteten Videokamera. Über einen schwarzen Textilschlauch ist das Handgerät mit dem Generator verbunden. Ein dickes Glasfaserbündel leitet den energiegeladenen Laserstrahl an die vorgesehene Stelle.
Ursprünglich wurde Lasertechnik vor allem bei der Außenrenovierung verwendet, wo man dem Fassadenschmutz mit kühlschrankgroßen Maschinen zu Leibe rückte. Im Rahmen eines Forschungsprojekts haben die beiden Restauratorinnen 2006 maßgeblich an der Weiterentwicklung des Verfahrens mitgewirkt. Nach seiner Fertigstellung kam das mobile Lasergerät bei der Restauration von Wandmalereien in ägyptischen Grabkammern erstmals zum Einsatz und erlangt seitdem zunehmende Verbreitung in der internationalen Denkmalpflege.
Die technische Herausforderung habe vor allem darin bestanden, die Laserenergie so fein zu regulieren, dass die Kunstwerke unter den hauchdünnen Schmutzablagerungen nicht beschädigt werden, erklärt Verbeek. Währenddessen demonstriert die Restauratorin, wie sie bei der Reinigung der Alabasterfiguren vorgeht: Langsam bewegt sie die Laserpistole in ein paar Handbreit Entfernung über der Steinfläche hin und her. "Das ist, wie wenn man langsam mit einem Pinsel drüberstreicht", sagt die Expertin. Zum Schutz vor schädlichen Lichtreflexionen trägt sie eine Spezialbrille. Die Technologie sei heute so präzise, dass sich damit der Bleistiftstrich von einem Blatt Papier entfernen lasse, so Verbeek.
Wiedereröffnung der Münsterkirche für November geplant
Präzise, aber zeitaufwändig. Ganze sechs Wochen hat das Restauratorinnen-Duo allein für die Säuberung des Stadtpatronealtars gebraucht. Dafür kann sich das Ergebnis der Arbeit aber auch sehen lassen: Blickten die Alabasterengel bis vor kurzem noch in stumpfem Grau von ihrem Marmorsockel herab, werden zukünftig wieder die hell schimmernde Farbe und die feine Äderung des Steins sichtbar sein. Nach und nach sollen jetzt auch die übrigen Barockaltäre vom Schutz befreit werden. Außerdem steht derzeit die Sanierung der Gewölbe und die Installation der neuen Beleuchtungsanlage auf dem Programm. Insgesamt liege die Sanierung der Basilika damit im Zeitplan, freut sich Stadtdechant Picken. Voraussichtlich im November dieses Jahres soll das Bonner Münster wieder für die Öffentlichkeit zugänglich sein – und ein strahlend glänzender Stadtpatronealtar die Gläubigen willkommen heißen.