Heilige Familien – mit ihren Ecken und Kanten
Die Heilige Familie der Moderne
Heute gilt die Familie Martin vielen als die Heilige Familie der Moderne, dabei wollten die Eltern der berühmten Thérèse von Lisieux (1873-1897) zunächst gar keine Familie gründen. Louis Martin (1823-1894) hatte vor, den Augustiner-Chorherren beizutreten, doch diese lehnten ihn wegen fehlender Lateinkenntnisse ab. Als der gelernte Uhrmacher Zélie Guérin (1831-1877) traf, deren Traum vom geweihten Leben ebenfalls nicht wahrgeworden war, schien der Plan perfekt: Louis heiratete seine Braut in der Hoffnung, mit ihr rein geschwisterlich zusammenzuleben. Zélie hatte Verständnis dafür und sehnte sich doch danach, christliche Mutter möglichst vieler Kinder zu werden. Es dauerte fast ein Ehejahr, bis auch Louis seine Berufung zur Familie erkannte. Die Eheleute bekamen neun Kinder, von denen jedoch nur fünf Töchter das Erwachsenenalter erreichten. Zélie wurde Mitglied im Dritten Franziskanerorden und war gemeinsam mit Louis für ihre tätige Nächstenliebe den Armen gegenüber bekannt. Ihr frühzeitiger Krebstod im Jahr 1877 war ein schwerer Schock für die ganze Familie.
Der Eintritt seiner zwei ältesten Töchter Pauline (1861-1951) und Marie (1860-1940) in den Karmel von Lisieux erfüllte den frommen Vater noch mit großer Freude. Als aber ausgerechnet seine "kleine Königin" Thérèse verkündete, sie wolle auch Karmelitin werden, stellte das Louis' Glauben auf eine harte Probe. Doch er vertraute auf ihre Berufung und unterstützte sie sogar in ihrem Wunsch, mit nur 15 Jahren dem Karmel beizutreten. Kurz darauf erlitt Louis zwei Schlaganfälle, die ihn körperlich und geistig schwer zeichneten. Nach seinem Tod im Jahr 1894 entscheiden sich auch die zwei letzten Martin-Töchter Céline (1869-1959) und Léonie (1863-1941) für das geweihte Leben.
Die kinderlose Familie
Doch nicht jeder Kinderwunsch geht wie bei Zélie Martin auch in Erfüllung: Um das Jahr 1000 heiratete der Ottone Heinrich (um 973-1024) die aus einer Luxemburger Adelsfamilie stammende Kunigunde (um 980-1033). Heinrich setzte sich im turbulenten Machtkampf des Reiches durch, stieg 1002 zum deutschen König auf und empfing 1014 als Heinrich II. sogar die Kaiserkrone. Anders als ihre weiblichen Vorgängerinnen wurde Kunigunde als offizielle Mitregentin ebenfalls eigens gekrönt. Die beiden standen auf dem Höhepunkt ihrer Macht – und blieben doch eine kinderlose Familie. Dass Heinrich trotzdem seiner Ehefrau die Treue hielt, rief bei den Zeitgenossen fast ungläubiges Staunen hervor. Was bringt schon kaiserlicher Ruhm ohne eigene Nachfolger?
Die Angst, vergessen zu werden, trieb auch Heinrich und Kunigunde um. Doch sie fanden ihren eigenen Weg und gelten heute als das wohl berühmteste Kaiserpaar des Mittelalters. Zusammen sorgten sie sich um die Wiederherstellung des Frankenreiches, setzten Kirchenreformen durch und gründeten das Bistum Bamberg, um das Obermain-Gebiet neu zu ordnen und die Slawen-Mission zu stärken. Heinrich starb am 13. Juli 1024 im Beisein von Kunigunde und wurde in dem von ihm erbauten Bamberger Dom bestattet. Nach seinem Tod übernahm die Kaiserin übergangsweise allein die Reichsgeschäfte. Ein Jahr später trat sie als einfache Ordensfrau in das von ihr gegründete Nonnenkloster Kaufungen ein, wo sie am 3. März 1033 starb.
Die Familie als Erfinderin des Klosters
Die Option, in eine geistliche Gemeinschaft einzutreten, bestand nicht immer – denn auch das Klosterleben musste erst erfunden werden. Und wenn eine Familie als Erfinderin des Klosters gelten kann, dann wohl diese: Den spirituellen Grundstein legte die Matriarchin Makrina die Ältere (gest. um 340). Sie hatte noch die Christenverfolgung erlebt und prägte gleich mehrere Familiengenerationen. Ihr Sohn, Basilios der Ältere (gest. um 345), heiratete die Märtyrertochter Emmelia (gest. 372). Makrina die Jüngere (gest. 379) war ihr ältestes Kind, erhielt eine exzellente Bildung und erzog bald die jüngeren Geschwister.
Unter dem Einfluss seiner gottgeweihten Schwester entschloss sich der spätere Kirchenlehrer Basilios der Große (gest. 379) gegen eine vielversprechende Anwaltskarriere und wandte sich dem Klosterleben zu. Seine Mönchsregel legte den Grundstein für westliche Klosterleben und hat in der Orthodoxie bis heute Geltung. Auch der spätere Kirchenlehrer Gregor von Nyssa (gest. 395) verdankte seiner Schwester seine asketische Lebenswende. Nachdem sich mit Peter von Sebaste (gest. 391) auch der dritte von Makrina erzogene Bruder für das Mönchtum entschieden hatte, führte sie mit Emmelia auf dem Familiengut in Pontus selbst ein asketisches Leben. Nach dem Tod ihrer Mutter entwickelte Makrina dort das weibliche Mönchtum entscheidend weiter. Ihr Bruder Gregor widmete ihr in gleich zwei Schriften ein Andenken als geistliche Lehrerin.
Das Geschwisterpaar
Gut 100 Jahre später setzte Benedikt von Nursia (um 480-547) Basilios' Werk in Westeuropa fort – ebenfalls mithilfe seiner Schwester. Der Tradition nach waren er und Scholastika (um 480-543) nicht nur Geschwister, sondern Zwillinge. Als Bruder und Schwester 12 Jahre alt waren, trennte ihr Vater Eutropius ihre Lebenswege vorerst: Während Scholastika zuhause blieb, ging Benedikt zur weiteren Erziehung nach Rom, wie es für Söhne wohlhabender Gutsbesitzer üblich war. Schockiert von der Sittenlosigkeit der Stadt entschied sich Benedikt zunächst für ein Einsiedlerleben und versuchte sich dann erfolglos als Mönchsabt. Auch Scholastika suchte lange nach ihrem Weg. Schließlich mussten die Zwillinge einsehen: Sie gehörten zusammen.
529 zog Benedikt mit einigen Gefährten auf den Berg Cassinium, wo er das Kloster Montecassino errichtete und aufbauend auf Basilios seine berühmte Benediktsregel verfasste. Nur sieben Kilometer entfernt gründete Scholastika mit ihrem Kloster Piumarola die Keimzelle der Benediktinerinnen. Einmal im Jahr trafen sich die Geschwister für einen Tag auf halbem Weg in einer kleinen Hütte zum geistlichen Gespräch. So soll es auch am 6. Februar 534 gewesen sein. Scholastika fühlte ihren nahen Tod und bat Benedikt, ausnahmsweise bis zum nächsten Morgen zu bleiben. Dieser aber lehnte getreu seiner Klosterregel ("Dem Gottesdienst soll nichts vorgezogen werden") brüsk ab.
Mit Gottes Hilfe belehrte seine hartnäckige Schwester ihn jedoch eines Besseren: Auf Scholastikas Gebet hin brach ein solcher Sturm los, dass Benedikt zum Bleiben gezwungen war. Drei Tage später starb Scholastika, und Benedikt ließ sie in seinem zukünftigen Grab bestatten. Um 590 schrieb Papst Gregor der Große dazu: "Wie ihr Geist immer in Gott verbunden gewesen war, so wurden auch ihre Körper zusammen in dasselbe Grab gelegt."
Die alleinerziehende Mutter
Das Ringen um ein christliches Familienleben kann sich manchmal aber auch wie ein Einzelkampf anfühlen – und in Glaubensfragen war Monika (um 332-387) eine alleinerziehende Mutter. Die Tochter christlicher Eltern wurde als junges Mädchen mit dem heidnischen römischen Beamten Patricius verheiratet. Gemeinsam hatten sie mindestens drei Kinder – darunter den späteren Kirchenlehrer Augustinus (354-430). Monika erzog ihre Kinder im christlichen Glauben und bereitete sie auf die damals übliche Erwachsenentaufe vor. Von ihrem heidnischen Ehemann war dabei keine Hilfe zu erwarten. Mit Stolz verfolgte Monika die Studienerfolges ihres begabten Sohnes Augustinus – bis sie von dessen unehelichem Sohn Adeodatus erfuhr. Zu allem Überfluss wandte sich Augustinus kurz darauf auch noch der radikalen Sekte der Manichäer zu.
Nach seinem Studienabschluss suchte Augustinus das Weite und ging erst nach Rom und dann nach Mailand. Doch er hatte die Rechnung ohne seine glaubensstarke Mutter gemacht, die ihm kurzerhand nachreiste und dem Mailänder Bischof Ambrosius ihr Leid klagte. Der Erfolg gab ihr Recht: Monikas Gebete wandelten Augustinus zum berühmten Konvertiten. Sie erlebte noch die gemeinsame Taufe ihres Sohnes und Enkelsohnes im Frühjahr 387. Kurz darauf starb sie an der Überfahrt zurück nach Nordafrika.
Die weitere Verwandtschaft
Manchmal kann nur noch die weitere Verwandtschaft helfen – wie im Fall von Charles de Foucauld (1858-1916). Er wurde in Straßburg als ältestes Kind einer der reichsten Familien Frankreichs geboren, doch seine Eltern starben früh und Charles wuchs bei seinem Großvater auf. Mit zwanzig Jahren erbte Charles von ihm ein großes Vermögen, welches er innerhalb weniger Jahre für Prostituierte und Trinkgelage ausgab. Als Soldat und Abenteurer kam er mit der tiefgläubigen muslimischen Bevölkerung des Maghreb in Berührung, die ihn sehr beeindruckte: Er suchte nach Wegen, seinen eigenen Glauben neu zu entdecken und radikaler zu leben, doch zurück in Frankreich wollte ihm niemand seine Wandlung so recht glauben.
Niemand – bis auf seine Cousine Marie de Bondy, die in Paris ein paar Straßen entfernt von ihm wohnte. Seine religiöse Cousine hielt ihm keine Vorträge und machte Charles auch seine Rückfälle in alte Gewohnheiten nicht zum Vorwurf. Marie war einfach für ihn da, lebte als stilles Glaubensvorbild und vermittelte ihm die Gewissheit, uneingeschränkt geliebt zu sein. Später nahm Charles diese Verhaltensweisen Maries in das Apostolat seiner geistlichen Gemeinschaft auf. Bis zu seinem Tod verband ihn mit seiner Cousine Marie eine tiefe spirituelle Freundschaft.
Der alleinerziehende Vater
Was machen eigentlich die Väter? In klassischen Heiligenlegenden nehmen sie meist die Rolle des Bösewichts ein, der die eigene bildschöne Tochter trotz ihrer Jungfrauenweihe zwangsverheiraten will. Als alleinerziehender Vater im Glauben stellt der Römer Quirinus (2. Jahrhundert) eine seltene Ausnahme dar. Er war Volkstribun und bewachte im Gefängnis keinen Geringeren als den römischen Bischof Alexander I., der für seine Wunderkraft bekannt war.
Um seiner geliebten Tochter willen bat Quirinus den berühmten Gefangenen um Hilfe: Wenn er Balbina (dt. "die Stammelnde") von ihrem entstellenden Halsgeschwulst heile, wolle er seine ganze Familie zum Christentum bekehren. Tatsächlich erzielte das bischöfliche Gebet die erhoffte Wirkung und Quirinus empfing mit seinen Angehörigen die Taufe. Bald wurde die verbotene Konversion der Familie bekannt, doch Quirinus und Balbina blieben ihrem neuen Glauben treu: Vater und Tochter wurden zusammen gefoltert und erlitten schließlich gemeinsam das Martyrium.
Die nichtverwandte Familie
Nicht immer sind familiäre Glaubensboten auch blutsverwandt – manchmal macht die nichtverwandte Familie den Unterschied. Katharine Drexel (1858-1955) aus Philadelphia war die zweite Tochter des österreichisch-stämmigen Investmentbankers Francis Drexel und seiner Ehefrau Hannah, die dem Quäkertum anhing. Nur wenige Monate nach Katharines Geburt starb ihre Mutter und ihr verwitweter Vater heiratete Emma Bouvier.
Bald folgte eine dritte Tochter namens Louise. Emma Bouvier war überzeugte Katholikin und nahm alle drei Mädchen als ihre eigenen an. Während Francis Drexel seinen florierenden Bankgeschäften nachging, legte ihre Stiefmutter Emma den Grundstein für Katharines späteren Lebensweg: Religiosität, Bildung und Freigiebigkeit bildeten die Säulen ihrer Erziehung. Dreimal die Woche öffnete sie das herrschaftliche Haus für unterschiedslos alle Bedürftige und setzte damit Katharine ein lebenslanges Vorbild. Drei Jahre lang pflegte Katharine ihre krebskranke Stiefmutter bis zu deren Tod im Jahr 1882.
Nur zwei Jahre später starb auch ihr Vater. Als junge Erbin stand sie vor der Entscheidung ihres Lebens – und trat 1889 den Barmherzigen Schwestern bei. Die Klatschpresse titelte: "Fräulein Drexel tritt katholischem Orden bei – gibt 7 Millionen Dollar auf!" Kurz nach ihrer ersten Profess rief Katharine ihre eigene Kongregation ins Leben: Die Schwestern des Heiligen Sakraments engagierten sich vor allem für ethnische Minderheiten. Ihre bekannteste Gründung, die Xavier Universität von Louisiana, ist die einzige historisch Schwarze katholische Hochschule der USA. Katharine überlebte einen rassistischen Mordanschlag und starb am 3. März 1955.
Literaturhinweis
Der Kölner Prälat Helmut Moll hat sich ebenfalls auf die Suche gemacht und zahlreiche von der Kirche als Selige oder Heilige verehrte Familien gefunden. Die dritte Auflage seines Heftes "Selige und heilige Ehepaare" erschien 2020 mit einer Vorwort des Wiener Kardinals Christoph Schönborn im Dominus-Verlag.