Was ist dran an der "unversehrten Jungfräulichkeit" Mariens?
"Jungfrau Maria": In vielen Liedern und Gebetstexten wird dieser Anruf bis heute benutzt. Dass Maria Jungfrau war, ist jedenfalls ein sehr altes Glaubensgut, welches vor vielen Jahrhunderten Eingang in das Glaubensbekenntnis der Kirche gefunden hat. "Heute feiern wir den Tag, an dem Maria in unversehrter Jungfräulichkeit der Welt den Erlöser geboren hat": So heißt der Einschub, der in der Weihnachtsoktav im eucharistischen Hochgebet ergänzt wird. Doch so selbstverständlich die Jungfräulichkeit Mariens auch sein mag – sie ruft immer wieder auch Fragen hervor, die nicht nur aus dem naturwissenschaftlichen Bereich stammen. Wie kann es sein, dass eine Frau ein Kind empfängt und Jungfrau bleibt? Und warum ist es überhaupt so entscheidend, dass Gottes Sohn von einer Jungfrau geboren worden ist?
Der Glaubenssatz der Kirche betont, dass Maria immerwährend Jungfrau war. Das schließt drei Momente der Jungfräulichkeit ein: Maria hat ihr Kind jungfräulich empfangen, das heißt, die Menschwerdung Jesu ist nicht Ergebnis eines Zeugungsaktes zwischen Josef und seiner Verlobten, sondern durch den Heiligen Geist gewirkt und somit ganz ein Handeln Gottes. Zweitens: Maria ist bei der Geburt Jesu Jungfrau geblieben. Es heißt, dass der Geburtsvorgang so außerordentlich war, dass die Jungfräulichkeit Mariens bei ihm nicht zerstört worden ist. Und ein Drittes: Maria war auch nach der Geburt Jesu ihr ganzes Leben lang Jungfrau; sie ist mit Josef, ihrem Ehemann, nicht intim geworden.
Linktipp: Verkündigung des Herrn: "Du wirst ein Kind empfangen!"
Ein Engel erscheint Maria und sagt, dass sie Gottes Sohn zur Welt bringen wird. Das Hochfest "Verkündigung des Herrn" wird normalerweise genau neun Monate vor Weihnachten gefeiert. Doch das ist nicht immer möglich – aus liturgischen Gründen.
Was bedeutet das nun im Einzelnen? Zunächst wird die jungfräuliche Empfängnis schon sehr früh auf den ersten Konzilen der Kirche rezipiert. Im Großen Glaubensbekenntnis, das auf dem Konzil von Konstantinopel im Jahr 381 entstanden ist, heißt es bereits: "Für uns Menschen und um unseres Heiles willen ist er vom Himmel herabgestiegen. Er hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist aus Maria, der Jungfrau, und ist Mensch geworden." Freilich ist die Stoßrichtung, die hinter dem Bekenntnis der Jungfräulichkeit Mariens im Augenblick der Empfängnis steht, nicht zu übersehen: Es geht eben genau darum, dass der Sohn Marias nicht der leibliche Sohn des Josef ist; Jesus ist nicht das Kind von Maria und Josef und von Gott gewissermaßen nur als Sohn adoptiert worden. Die Betonung der Jungfräulichkeit Mariens bei der Empfängnis will solchen Annahmen Vorschub leisten, indem hier sehr nachdrücklich betont wird, dass die Menschwerdung Gottes im und durch den Heiligen Geist gewirkt ist. Gott ist Mensch geworden, wie es schon das Konzil von Nizäa 325 betont, und hat nicht einfach ein menschliches Kind als seinen Sohn adoptiert. Das Bekenntnis zur Jungfräulichkeit Mariens bei der Empfängnis schließt somit jeden rein menschlichen Zeugungsakt aus.
Widerspruch im Lauf der Kirchengeschichte
So biblisch begründet dieses erste Moment der Jungfräulichkeit ist (vgl. Lk 1,27ff), so viel Widerspruch haben die beiden anderen Aspekte im Lauf der Kirchengeschichte hervorgerufen. Erst relativ spät, nämlich in der Mitte des siebten Jahrhunderts, heißt es in einer Synode im Lateran: "Wer nicht gemäß den heiligen Vätern im eigentlichen Sinne und wahrhaftig die heilige, allzeitjungfräuliche und unbefleckte Maria als Gottesgebärerin bekennt, da sie ja im eigentlichen Sinne und wahrhaftig Gott, das Wort, selbst, der vor allen Zeiten aus Gott, dem Vater, geboren wurde, in den letzten Zeiten ohne Samen aus Heiligem Geist empfangen und unversehrt geboren hat, wobei ihre Jungfrauschaft auch nach seiner Geburt unzerstört blieb, der sei verurteilt." Dogmengeschichtlich interessant ist jedenfalls, dass es sich bei diesem Beschluss nur um eine regionale Versammlung und nicht um eine ökumenische Synode handelt.
Nicht weniger unumstritten war auch das Bekenntnis zur lebenslangen Jungfräulichkeit: Das zweite Konzil von Konstantinopel bezeichnet Maria zwar im Jahr 553 als "allzeit jungfräulich", doch steht diese Aussage im Konflikt mit dem neutestamentlichen Zeugnis. So werden in Mk 6,3 ausdrücklich Jakobus, Joses, Judas und Simon als Brüder Jesu bezeichnet, außerdem verweist der Vers auf Schwestern Jesu, die namentlich nicht näher bestimmt werden. Diese Tatsache jedenfalls würde der immerwährenden Jungfräulichkeit Mariens widersprechen, zeigt es doch, dass sie mit ihrem Gatten Josef wohl noch weitere Kinder hatte. Die katholische Tradition nimmt diesen Faden auf und erklärt allerdings, dass es sich in Mk 6,3 nicht um tatsächliche Geschwister Jesu, also leibliche Kinder von Maria und Josef, gehandelt habe. Vielmehr wären damit engere Verwandte Jesu gemeint, also zum Beispiel seine Cousins und Cousinen. Jesus aber ist, und das meint ja die Bestimmung der immerwährenden Jungfräulichkeit, ein Einzelkind geblieben.
Kritik kommt vor allem aus der Neuzeit
Insgesamt ist darauf hinzuweisen, dass vor allem die immerwährende Jungfräulichkeit im Lauf der Kirchengeschichte selten kritisch beäugt und angefragt worden ist; vielmehr ist sie erst in der Neuzeit vermehrt in die Kritik geraten. Besonders aus naturwissenschaftlich-biologischer Perspektive kam der Einwand, dass es unmöglich sei, dass menschliches Leben ohne Zeugungsakt entstehe könne. Und von religionsgeschichtlicher Seite wurde der Vorwurf erhoben, es handle sich bei den biblischen Geschichten um Mythen, in denen Gott beim Zeugungsakt die Rolle des Mannes übernehme. Viel schwerer wiegen die Einwände der historisch-kritischen Exegese: Sie weisen vor allem auf den biblischen Befund hin und machen deutlich, dass die Kindheitsgeschichten Jesu längst nicht als Fundgrube für historische Fakten taugen.
Die Frage, die sich letztendlich aufdrängt, lautet: Ist das Bekenntnis zur Jungfräulichkeit Mariens eine rein theologische Aussage, die auf einen besonderen Umstand hinweist, oder steht dahinter ein historischer Sachverhalt, der von der Kirche rezipiert worden ist? Die Lage der Mariologie infolge des Zweiten Vatikanischen Konzils ist hier durchaus uneins. Bei unterschiedlichen Theologen werden Gründe, die eine Historizität der Jungfräulichkeit beweisen wollen, angeführt. Und andere verweisen darauf, dass es sich um eine rein symbolisch-mythologische Aussage handelt, die ihren Grund vor allem in der Rezeption eines Zitats aus dem Propheten Jesaja hat. Dort nämlich heißt es: "Siehe, die Jungfrau hat empfangen, sie gebiert einen Sohn und wird ihm den Namen Immanuel geben" (Jes 7,14). Über die exakte Bedeutung dieser Stelle und des Wortes "Jungfrau" ist dabei viel gestritten worden. Das Matthäusevangelium rezipiert sie jedenfalls, um damit die Jungfräulichkeit Mariens zu rechtfertigen.
Jungfräulichkeit des Leibes vs. Jungfräulichkeit im Herzen
Wie sich die Jungfräulichkeit Mariens möglicherweise interpretieren lässt, darauf gibt schon Augustinus einen Hinweis: Er unterscheidet zwischen der Jungfräulichkeit des Leibes und der Jungfräulichkeit im Herzen. Unter letzterer versteht er "den unversehrten Glauben, die feste Hoffnung, die aufrichtige Liebe". Der Theologe Gisbert Greshake schließt sich dieser Lesart an und hält fest: "So gesehen macht nicht die Ent-Haltung Maria zur immerwährenden Jungfrau, sondern ihre Haltung". Nämlich eine Haltung, die offen ist auf Gott hin, die sich eine Sehnsucht nach Gottes Liebe und Barmherzigkeit bewahrt. Das liegt übrigens auch im Horizont dessen, wie in der Alten Kirche die Jungfräulichkeit Mariens sehr häufig verstanden wurde: "Jungfräulich muss der Glaube sein, auch der Glaube der Männer. Jungfräulich müssen die Glaubenden sein", konstatiert Otto Hermann Pesch. Unter dieser Vorgabe erhält die Jungfräulichkeit Mariens eine neue Perspektive: Es geht nicht so sehr um die physiologische Jungfräulichkeit, sondern vielmehr darum, dass Maria Zeit ihres Lebens – bei der Empfängnis, bei der Geburt und ihr gesamtes weiteres Leben – in einer besonderen Gottesbeziehung gestanden hat.
Letztlich muss offenbleiben, wie das Problem der jungfräulichen Mutterschaft Mariens wirklich zu verstehen ist. Schon Karl Rahner merkt jedenfalls an, dass die Jungfräulichkeit Mariens in der Hierarchie der Wahrheiten "einen relativ sekundären Platz einnimmt". Gott setzt in der Menschwerdung seines Sohnes einen radikalen Neuanfang, den Menschen sich nicht selbst machen können. Das Bekenntnis der jungfräulichen Mutterschaft drückt dieses Geheimnis sehr nachdrücklich aus.