Klimakrise und Kriegsgedenken: Ein einziges Licht in der Finsternis
Dass sie leuchtet, ist ein seltenes Ereignis. So selten, dass selbst der eine oder andere Paderborner zum Telefon greift und beim Erzbistum erfragt, ob der Küster das Licht im Dachstuhl angelassen habe. Dabei geschieht es aus voller Absicht, wenn die sogenannte Totenleuchte in einem der Südgiebel des Paderborner Doms nur dreimal im Jahr angeschaltet wird.
In den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs wurde Paderborn mehrfach Ziel alliierter Luftangriffe. Am 17. Januar, am 22. März und am 27. März fielen Brand- und Sprengbomben auf die Stadt. Insbesondere das dritte Bombardement richtete große Zerstörung an, ein Großbrand vernichtete weite Teile der aus Fachwerkhäusern bestehenden Bebauung. Auch der hölzerne Dachstuhl des Domes wurde getroffen und brannte in der Folge komplett aus. Zeitzeugen beschreiben den Domturm als gigantische Fackel, die mehrere Tage lang lichterloh in Flammen stand.
Dieser Zerstörung und den mehreren hundert Menschen, die durch Bomben und Feuer ums Leben kamen, wollte man direkt nach dem Krieg gedenken. Deshalb setzte man beim Wiederaufbau der Kathedrale einen Erker mit Lampe in einen der Giebel ein. Die Totenleuchte brennt jedes Jahr an den Terminen der Angriffe und zu den Uhrzeiten, zu denen damals die ersten Bomben fielen, läutet die schwere Totenglocke im Turm des Domes.
Bedeutungsschwere Dunkelheit
Dieses Jahr wird dieses sichtbare Gedenken noch deutlicher als sonst. Denn gegen Abend werden sich die Kathedrale sowie die Kirchen und Gebäude der Umgebung in Dunkelheit hüllen. Die Stadt Paderborn nimmt an der "Earth Hour" ("Stunde der Erde") des "World Wildlife Funds" (WWF) teil. Die Umweltschutzorganisation ruft jedes Jahr Ende März dazu auf, ab 20.30 Uhr das elektrische Licht für eine Stunde zu löschen. An der 2007 ins Leben gerufenen Aktion nehmen weltweit sowohl Privathaushalte als auch Städte und Einrichtungen teil.
Seit der flächendeckenden Einführung von Energiesparlampen in der EU ist die tatsächliche Stromersparnis durch die Aktion hierzulande eher gering. Der symbolische Gehalt ist aber nicht zu unterschätzen. Mit der freiwilligen Verdunkelung will der WWF auf die Klimakrise aufmerksam machen und für mehr Umweltschutz werben. Und wenn Eiffelturm, Brandenburger Tor und Kölner Dom plötzlich ihre Beleuchtung ausschalten, gehen die Bilder – samt Botschaft für mehr Engagement in Sachen Klimaschutz – um die Welt.
Paderborn ist eine von über 550 deutschen Kommunen, die offiziell an der "Earth Hour" teilnehmen. Und auch Erzbischof Hans-Josef Becker ist die Aktion ein Anliegen. Er ruft insbesondere Privathaushalte dazu auf, sich zu beteiligen und nicht unbedingt notwendige Beleuchtung für eine Stunde auszuschalten: "Wir alle können etwas zum Schutz unseres Planeten unternehmen. Das ist bei der Aktion gemeinsam möglich: nicht nur symbolisch, sondern ganz praktisch, weltweit." Er nehme selbst Teil und wolle dazu ermutigen, "diese herausragende Aktion zu unterstützen und so in weltweiter Solidarität ein Zeichen zur Bewahrung der Schöpfung zu setzen", so der Paderborner Oberhirte auf Anfrage von katholisch.de.
Dabei hat Becker vor allem das Engagement vieler junger Menschen vor Augen, "die sich mit Aktionen und Projekten für das Klima, die Umwelt und den Erhalt der biologischen Vielfalt einsetzen". Er sei dankbar "für die zahlreichen und beispielhaften Initiativen unserer Jugendverbände im Bereich des Umwelt- Arten- und Naturschutzes. Denken wir nur an die große Zahl der Aktivitäten bei der letzten 72-Stunden-Aktion des BDKJ auch in unserem Bistum." Bei der Sozialaktion des "Bundes der Deutschen Katholischen Jugend" (BDKJ) hatten sich im Mai 2019 viele Jugendgruppen mit Umwelt-Projekten engagiert.
Engagement im Großen und im Kleinen
Becker ermutigt jeden Einzelnen, an der Earth Hour teilzunehmen, denn "Klimaschutz und Einsatz für die Biodiversität sind immer auch eine ganz persönliche Angelegenheit. Jede und jeder einzelne von uns kann etwas dazu beitragen." Selbst kleine Veränderungen hätten in der Summe positive Effekte. Begründet sieht der Erzbischof das in einem Zitat aus dem Lukasevangelium: "Wer in den kleinsten Dingen zuverlässig ist, der ist es auch in den großen, und wer bei den kleinsten Dingen Unrecht tut, der tut es auch bei den großen." (Lk 16,10). Ob es nun das Löschen des Lichtes ist oder die Vermeidung von Plastikmüll, es sei notwendig diese Schritte zu gehen – in der Verantwortung als Christen unseren Mitmenschen und Mitgeschöpfen gegenüber, aber vor allem vor Gott.
Die Bemühungen des Einzelnen sind das eine, strukturelle Veränderungen das andere. "Wir nehmen im Erzbistum die Verpflichtung zum Klimaschutz und zum Erhalt der Artenvielfalt sehr ernst", so Becker weiter. Seit 2018 hat sein Erzbistum ein Klimaschutzkonzept entwickelt, das verschiedene Umweltschutzaktivitäten bündelt. Photovoltaik-Anlagen auf dem Dach des Domes – das geht aus denkmalschützerischen Gründen nicht. Bei jüngeren Gotteshäusern und anderen kirchlichen Immobilien gibt es aber in der Tat Möglichkeiten. Entsprechende Pläne dafür erarbeitet das Bauamt. So hat der Neubau des IT-Gebäudes des Erzbischöflichen Generalvikariates Photovoltaik-Paneele erhalten. Nach dem Motto: Da Strom produzieren, wo er auch gebraucht wird.
Earth Hour und Weltkriegsgedenken – zufällig fallen sie diesen Samstag auf den gleichen Termin. Doch lässt sich zwischen ihnen auch ein inhaltlicher Bogen spannen. Denn so wie der Zweite Weltkrieg Zerstörung über Europa brachte, haben auch die Auswirkungen des menschlich beeinflussten Klimawandels katastrophale Folgen. Derzeit sieht man die Bilder der schweren Überschwemmungen in Australien, vor einem Jahr waren es Waldbrände apokalyptischen Ausmaßes. Doch auch für Deutschland spricht man von harten Dürresommern. Eine zweite Parallele zeigt sich beim Thema Migration. Vor 75 Jahren waren es Heimatvertriebene aus dem Osten und Menschen, die vor der Roten Armee geflohen waren, die etwa im Gebiet des Erzbistums Paderborn um Aufnahme baten. Heute sind es Menschen aus dem globalen Süden, die vor den dort deutlich spürbaren Folgen der Klimakrise nach Europa fliehen.
Diese Menschen nimmt auch Erzbischof Becker mit in den Blick: "Wenn wir von Solidarität sprechen, müssen wir zudem an die Menschen und die Natur in den anderen Teilen der Welt denken, besonders in der südlichen Hemisphäre, und an alle künftigen Generationen." In das "gemeinsame Haus", von dem Papst Franziskus in seiner Enzyklika "Laudato si" spreche, gehörten alle Menschen, so Becker. "Es ist unser Haus, das wir im Heute und für das Morgen engagiert und solidarisch zu gestalten haben." Und so findet diesen Samstag in Paderborn eine deutlich sichtbare Gleichzeitigkeit von Weltkriegsgedenken und Mahnung für mehr Klimaschutz statt. Und falls der Anblick des stockdunklen Domes und der brennenden Totenleuchte den einen oder anderen Paderborner verwirren sollte: Keine Sorge, das ist volle Absicht.