Passions-Darsteller über Pilatus: "Haben seine Unschuld nicht gesehen"
Bei den Oberammergauer Passionsspielen 2022 werden sich Carsten Lück (51), technischer Leiter im Münchner Volkstheater, und der Hotelier Anton Preisinger (52) die Rolle des Pontius Pilatus teilen. Die beiden sprechen im Interview über den brutalen Charakter des römischen Statthalters, warum sie ihm sein Unschuldsgetue nicht abnehmen und was diesen von dem Apostel Judas unterscheidet.
Frage: Herr Lück, Herr Preisinger, im März 2020 war wegen Corona plötzlich Schluss mit den Vorbereitungen auf die Passion. Hatten Sie überhaupt die Möglichkeit, als Pilatus mal richtig zu agieren?
Preisinger: Wir hatten schon die ersten Proben auf der Bühne mit dem Volk. Die sind immer besonders spannend, weil man dann direkt unter der Beobachtung der Bevölkerung steht.
Lück: Anfangs sind wir immer im Kleinen Theater, um zu üben. Dann geht es auf die große Bühne. Bei allen Proben waren wir dabei und haben in jeder zweiten Szene durchgewechselt.
Frage: Herr Lück, in zwei Passions-Spielzeiten haben Sie den Judas verkörpert. Wenn man den Verräter Jesu gespielt hat, kann man sich dann besser in den Richter hineinversetzen?
Lück: Für mich stellt der Judas eine tragische Figur dar. Am Beginn war er zumindest auf der richtigen Seite, aber letztlich ist er halt ein bisschen zu ehrgeizig. Pilatus dagegen ist von Anfang an eine ziemlich fiese Person. Der hat keine Lust auf diese Außendienststelle in Jerusalem. Deshalb sorgt er brutal für Ruhe im Land.
Frage: Sie, Herr Preisinger, agierten als Judas und als hoher Priester Kaiphas. Letzterer ist es, der den Pilatus nötigt, ein Urteil über den Unruhestifter Jesus zu sprechen. Nimmt man aus beiden Charakteren Erfahrungen mit?
Preisinger: Auf jeden Fall. Als ich den Kaiphas gespielt habe, gab es sehr viele Berührungspunkte mit dem Pilatus. Judas und Pilatus haben beide Brüche in ihren Handlungsweisen. Beim Judas, der als Apostel Jesus folgt, fragt man sich, warum dieser Verrat passiert. Der Pilatus ziert sich erst, Jesus umzubringen, lässt aber dann das Todesurteil vollstrecken. Aus solch verschiedenen Perspektiven, als Jünger, als geistlicher Gegenspieler und jetzt als weltliche Macht, an die Passion heranzugehen, ist eine große Herausforderung.
Frage: Wie begehrt ist die Pilatus-Rolle?
Lück: Jede Hauptrolle ist begehrt. Aber als Pilatus hast Du natürlich einen wichtigen Auftritt. Gerade in der Szene, wo die Empörung im Volk um sich greift und wahnsinnig viele Menschen auf der Bühne stehen – da die Federführung zu haben, ist schon beeindruckend.
Preisinger: Wenn man sagt, dass man in der Passion den "Pilatus" spielt, kann jeder mit dem Namen etwas anfangen. Beim "Kaiphas" war das schwieriger. Da musste ich erstmal erklären, wer das ist.
Frage: Pilatus kommt in den Evangelien so rüber, als sei er vom jüdischen Volk genötigt worden, Jesus hinzurichten. Wie sehen Sie ihn?
Preisinger: Gerade auf unserer Israelfahrt und in vielen Gesprächen ist uns bewusst geworden, dass das ein blutrünstiger Despot war, der das jüdische Volk nicht sehr fein behandelt hat. Warum er sich so ziert, Jesus töten zu lassen, und sich von den Priestern dazu treiben lässt, obwohl er doch so eine hohe Position hat, an diesen Fragen haben wir mit Spielleiter Christian Stückl viel gearbeitet.
Frage: Und warum lässt er sich treiben?
Lück: Wir waren ja noch mittendrin. Dabei hat uns der berühmte Satz, dass er seine Hände in Unschuld wäscht, vor ein Problem gestellt. Denn wir haben diese Unschuld nicht gesehen. Ich nehme ihm das nicht ab. Der Römer Pilatus hat auf diese religiösen Streitigkeiten und auf dieses Volk einfach keine Lust gehabt. Er wollte am Ende des Tages seine Ruhe haben; und dann hat er die Verurteilung durchgezogen.
Frage: Zwischen Pilatus und Jesus entwickelt sich auf einmal ein ungewöhnlicher Dialog...
Preisinger: Es klingt zwar ein wenig nach einer intellektuellen Auseinandersetzung, doch die beiden sprechen auf unterschiedlichen Ebenen. Jesus sieht alles aus seiner religiösen Perspektive. Pilatus sagt deshalb auch: "Ich bin an Euren religiösen Streitereien nicht interessiert." Er hat nur im Blick, dass Jesus immer mehr Leute um sich schart und die Geistlichkeit sich von seinen Lehren angegriffen fühlt. Pilatus möchte aber keine Unruhe.
Lück: Pilatus prüft Jesus, aber er stellt ihn als lächerlich dar. Er will damit auch den Hohen Rat und Kaiphas bloßstellen, um zu signalisieren: Was habt Ihr es so wichtig mit dem? Das ist doch ein dahergelaufener Wanderprediger und ihr macht da so ein Riesen-Bohei.
Frage: Kaiphas aber mahnt ihn: "Wenn Du ihn freilässt, bist Du kein Freund des Kaisers."
Preisinger: Man kann das so sehen. Wir kamen überein, dass der Kaiphas, politisch betrachtet, nicht wirklich in der Lage war, dem Pilatus an den Karren zu fahren. Pilatus dürfte eher ein Spielchen mit Kaiphas getrieben haben. Jesus können wir umbringen, mag er gedacht haben, aber ich tanze nicht nach Kaiphas Pfeife.
Frage: Nun zur Frage aller Fragen: Was ist Wahrheit? Haben Sie eine Antwort?
Preisinger: Bei den Proben stellte Pilatus die Frage "Was ist Wahrheit?", dann schlug er Jesus ins Gesicht und sagte: "Das ist Wahrheit." Damit macht er deutlich: Er hat hier die Macht und was er sagt, ist die Wahrheit.
Lück: Wir dürfen ja nicht zu viel verraten. Aber auch das Kostüm des Pilatus, der ja ein römischer, hoher Soldat war, unterstreicht das.
Frage: Der Evangelist Matthäus erwähnt die Frau des Pilatus, die nach einem bösen Traum, ihren Mann anfleht, die Hände von Jesus zu lassen. Hätte er auf sie hören sollen?
Preisinger: Es gibt Theologen, die sagen, es musste so kommen, dass Jesus am Kreuz endet. Ich bin kein Freund, alles nur als schicksalhafte Entwicklung zu sehen. Wir haben es hier mit handelnden Menschen zu tun. Vielleicht wäre die Geschichte des Christentums tatsächlich anders verlaufen.
Lück: So wie wir den Pilatus darstellen, ist das kein Mann, der auf seine Frau hört. Das passt nicht in sein Weltbild. Denn weich wollte der nicht sein.