Neues Buch über Fälle in Neuen Geistlichen Gemeinschaften

Journalistin: Missbrauch durch Gründer systemisch begünstigt

Veröffentlicht am 12.04.2021 um 16:17 Uhr – Lesedauer: 

Paris ‐ Ihre Bewegungen galten als Hoffnung der Kirche: Ausgerechnet die Gründer einiger Neuer Geistlicher Gemeinschaften in Frankreich haben sich als Missbrauchstäter entpuppt. Die französische Journalistin Céline Hoyeau hat die Hintergründe untersucht.

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Die französische Journalistin Céline Hoyeau identifiziert insbesondere systemische Komponenten, die den Gründern einiger Neuer Geistlicher Gemeinschaften in Frankreich langjährigen Missbrauch ermöglicht haben. "Sie erreichten eine Position der Allmacht, in der es ihnen möglich war, ungestraft zu missbrauchen, ohne dabei auf Gegenwehr oder wirksame kirchliche Kontrolle zu stoßen. Wenn diese Taten so lange stattfinden konnten, ohne gemeldet zu werden, ist das auch die Schuld des Systems", sagte Hoyeau dem katholischen US-Onlineportal "Crux" am Montag. Anlass des Interviews war ihr vor Kurzem erschienenes Buch "La Trahison des pères" ("Der Verrat der Väter").

Der Erfolg dieser Neuen Geistlichen Bewegungen in Frankreich liege im Kontext der Zeit begründet: "Einem Kontext der Krise, der großen Erwartungen für eine katholische Erneuerung und der Abwesenheit von Kontrolle", so Hoyeau weiter. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, in einer Zeit der zunehmenden Säkularisierung und sinkenden Berufungen, seien die Neuen Geistlichen Gemeinschaften vielen wie ein "Wundermittel" für die Rettung der Kirche erschienen. Katholiken hätten sich nach klarer Auslegung der Lehre, einer Liturgie mit Sinn für das Heilige und gleichzeitig nach einer persönlichen Beziehung zu Gott gesehnt. "Die Genialität der Gründer lag darin, dass sie es verstanden, dieser spirituellen Suche zu begegnen, indem sie einerseits eine beruhigende Autorität, andererseits aber auch eine neue Art zu Glauben verkörperten, die Emotion, eigener Befindlichkeit, dem eigenen Körper sowie der eigenen Verletzlichkeit Raum gab", so Hoyeau.

Für ihr Buch hat sie zu Gründerfiguren wie den Brüdern Marie-Dominique und Thomas Philippe, André-Marie van der Borght, Ephraim, Thierry de Roucy und Jean Vanier recherchiert und mit Opfern, ehemaligen Mitgliedern und verschiedenen Experten gesprochen. Allen diesen Gründern sei eine charismatische Persönlichkeit und ein Talent zu Predigen gemeinsam. Des Weiteren pflegten sie unter einer nach außen getragenen Haltung der Demut einen Persönlichkeitskult. Experteneinschätzungen zufolge sei nur ein kleiner Teil von ihnen "echte Perverse" gewesen, die ein System zu dem alleinigen Zweck der Ausnutzung und Zerstörung von Menschen errichtete. Der Großteil hingegen hatte starke narzisstische Veranlagungen, aus denen sich erst in einem Kontext der mangelnden Kontrolle Perversion und Missbrauch entwickelt hätten.

Regeln nach Gutdünken des Gründers

Diese Abwesenheit der Kontrolle sieht Hoyeau auf der Ebene der Bischöfe und der Kirche. Wie der Vatikan seien auch französische Bischöfe "vom Erfolg der Bewegungen geblendet" gewesen, hätten deren traditionelle Haltungen begrüßt. Andere Oberhirten hätten sie misstrauisch betrachtet, seien mit Sanktionen allerdings an den Verteidigern der Gemeinschaften gescheitert. Innerhalb der Bewegung habe sich der Gründer mit einem Kreis loyaler Anhänger umgeben, der ihn gegen jede Kritik von außen wie von innen verteidigte. Kritische Mitglieder seien diskreditiert, Bischöfen vorgeworfen worden, das besondere Charisma des Gründers nicht verstanden zu haben. "Wer ihn (den Gründer, Anm. d Red.) angriff, griff Christus an", sagt Hoyeau, um das Niveau der Ergebenheit dieser Verteidiger zu charakterisieren.

Zudem war der Kirche durch die besonderen Strukturen der Gemeinschaften eine Kontrollmöglichkeit genommen. Sie "respektierten die normalen Schutz- und Kontrollmechanismen der Kirche nicht", sagt Hoyeau. Das beträfe insbesondere die Vorgabe, dass der Leiter einer Gemeinschaft nicht gleichzeitig spiritueller Begleiter oder Beichtvater seiner Mitglieder sein dürfe. Stattdessen seien die Regeln der Gemeinschaft nach Gutdünken des Gründers erstellt worden. Diese Faktoren hätten spirituellen, sexuellen, finanziellen oder intellektuellen Missbrauch ermöglicht und begünstigt.

Céline Hoyeau ist stellvertretende Leiterin des Ressorts "Religion" der französischen katholischen Tageszeitung "La Croix". Sie berichtet seit 2013 insbesondere über Missbrauch in der katholischen Kirche Frankreichs. (cst)