Kirchenrechtlerin Hahn: Strafrechtsreform stabilisiert Schieflagen
Die Bochumer Kirchenrechtlerin Judith Hahn sieht durch die Reform des kirchlichen Strafrechts systemische Schieflagen in der Kirche gestärkt. Die Anfang des Monats veröffentlichten Neuerungen des Kirchenrechts würden "missbrauchsförderliche systemische Faktoren" unberührt lassen, schrieb Hahn in einem Text für das theologische Internet-Feuilleton "Feinschwarz" (Mittwoch). Das Kirchenrecht schenke etwa der sexuellen Selbstbestimmung weiterhin nur wenig Aufmerksamkeit, da "sexuelle Gewalt von Klerikern gegenüber Erwachsenen weiterhin als disziplinarisches Problem" verstanden werde, so Hahn. Der Kampf gegen Missbrauch könne "ohne einen grundlegenden Perspektivwechsel in der kirchlichen Sicht auf sexuelle Integrität" kaum gelingen.
Ein weiterer Faktor, der Missbrauch begünstige, sei die kirchliche Organisationsstruktur, die auch nach der Strafrechtsreform "alle Gewalt in die Hände einer exklusiv männlichen Herrschaftselite" lege, so Hahn weiter. Die nun erfolgte Aufnahme des schon zuvor geltenden Straftatbestands der Frauenweihe in den Kodex verfestige die bestehende Kontrolle des "Zugangs zur kirchlichen Herrschaftselite, die Frauen kriminalisiert, die Aufnahme in die kirchliche Hierarchie begehren". Dies treffe auch auf Männer zu, die dieses Anliegen unterstützten. Ein weiteres systemisches Problem stellt für Hahn der männerbündische Gruppenzusammenhalt innerhalb des Klerus dar. Solange es die kirchenrechtlichen Strukturen ermöglichten, würden hier Solidarisierungseffekte wirken, deren naheliegende Folge Vertuschung von Straftaten sei.
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Die Einführung der Unschuldsvermutung in das neue Strafrecht der Kirche bewertete Hahn zwar positiv. Die Kanonistin hält es jedoch für auffällig, dass sie erst Eingang in das Kirchenrecht gefunden habe, nachdem es für die Bischöfe kaum mehr möglich sei, Missbrauchsbeschuldigungen zu ignorieren, ohne sich selbst strafbar zu machen. Die Unschuldsvermutung könne zur "Kampfformel" werden, "um Strafverfolgungsansprüche gegenüber klerikalen Beschuldigten abzuwehren".
Mit der Anfang des Monats veröffentlichten Apostolischen Konstitution "Pascite gregem Dei" fasste Papst Franziskus das Strafrecht im kirchlichen Gesetzbuch Codex Iuris Canonici (CIC) neu. Die Änderungen der über zehn Jahre dauernden Reform geschahen vor dem Hintergrund der kirchlichen Missbrauchskrise und gelten ab dem 8. Dezember. (rom)