Gedenkort für Betroffene sexualisierter Gewalt geplant

Jesuiten verkaufen Immobilien des Bonner Aloisiuskollegs

Veröffentlicht am 24.06.2021 um 13:02 Uhr – Lesedauer: 4 MINUTEN

Bonn ‐ Zum Anwesen des Bonner Jesuitengymnasiums Aloisiuskolleg gehört auch das ehemalige Internatsgebäude Villa Stella Rheni – Tatort für Fälle sexualisierter Gewalt durch Ordensangehörige. Die Villa soll verkauft werden – und ein Gedenkort entstehen.

  • Teilen:

Die Pläne des Bonner Jesuitengymnasiums Aloisiuskolleg zum Verkauf von Teilen seiner Immobilien werden konkreter. Der Bonner "General-Anzeiger" (GA) berichtete am Mittwoch über weitere Pläne zur Nutzung und zum Verkauf von Gebäuden des Anwesens. Bereits bekannt war, dass die ehemalige Internatsvilla Stella Rheni, das sogenannte Jägerhaus sowie 3,8 Hektar des Geländes verkauft werden sollen. Künftig soll in einem der verbleibenden Gebäude auch eine Kindertagesstätte eingerichtet werden. Im Austausch mit dem Betroffenenverein "Eckiger Tisch Bonn" werde auf dem Gelände ein Erinnerungsort entstehen. "Dieser soll die Kollegsgemeinschaft an gebrochenes Vertrauen, Gewalttaten bis hin zu schweren Straftaten sowie damalige Strukturen, die diese ermöglichten, erinnern", so der Rektor Pater Martin Löwenstein laut einem internen Brief, der dem GA vorliegt.

Gegenüber katholisch.de betonte der "Eckige Tisch Bonn" (ETB), dass das Entstehen eines Erinnerungsorts im Austausch mit der Betroffeneninitiative offen sei und stark vom "Aufarbeitungswollen der Jesuiten" abhänge. Löwenstein habe der Initiative mitgeteilt, dass er den Austausch wünsche. "Wir haben ihm mitgeteilt, dass wir die Schritte des UBSKM und des Beauftragen der Jesuiten abwarten wollen", so der Vorsitzende des "Eckigen Tisch Bonn", Heiko Schnitzler.

Gegenüber der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA) sagte Löwenstein, der Eckige Tisch habe "von sich aus" 2018 erklärt, die Kommunikation mit den Jesuiten abzubrechen: "Daher mussten wir, weil wir bei der Aufarbeitung weiterkommen wollen, die letzten Schritte ohne Rücksprache mit dem ETB setzen, sind aber in Kontakt mit anderen Betroffenen. Wir sind und bleiben an einer Kommunikation mit dem ETB interessiert und hoffen, dass der Erinnerungsort in Godesberg gemeinsam mit Betroffenen und auch dem ETB entstehen kann."

Mit den Veränderungenen soll laut dem Brief "das Kolleg langfristig wirtschaftlich in die Zukunft geführt werden" können. Außerdem sei eine rechtliche Trennung zwischen dem Schulträger, dem Jesuitenorden, und der Immobilienverwaltung geplant, so Löwenstein: "Jeder weiß um die Entwicklung kirchlicher Finanzen auch beim Erzbistum Köln sowie um die sehr geringen Nachwuchszahlen auch bei den Jesuiten. Davor die Augen zu verschließen, wäre für das Kolleg ein riskanter Fehler." Teile des Verkaufserlöses würden "für die Aufarbeitung von Gewalt und Übergriffen in der Vergangenheit sowie für Anerkennungszahlungen und Unterstützung der davon Betroffenen verwendet werden", so Löwenstein weiter. Der Gedenkort soll mit Unterstützung des Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs entstehen.

Betroffeneninitiatve kritisiert Vorhaben als unzureichend

Schnitzler betonte, dass die Betroffeneninitiative von der Absicht, Verkaufserlöse für die Betroffenen zu verwenden, aus der Presse erfahren habe. In einer Stellungnahme bezeichnete die Initiative das Vorhaben der Jesuiten als "'Exitstrategie' die es den Jesuiten erlaubt, sich in Bad Godesberg vom Hofe zu machen". Gerne erinnere man den Orden und die Ako-Schulgemeinschaft an die "Verantwortungslosigkeit ihrer Organisation damals und die Pflicht zur Wahrheitsfindung und Aufarbeitung heute, und das, wenn es sein muss, jeden Tag", so die Stellungnahme. "Wir werden uns aber nicht erneut als Feigenblatt jesuitischer Interessen ausnutzen lassen. Seit 2010 kennt das Ako und die Jesuiten unsere Auffassung: Es kann kein 'Erinnern' ohne vorherige umfassende Aufarbeitung geben." Die Regeln dafür könnte weder die Schule noch die Kirche festlegen. Dem Orden habe es nie an ausreichenden Mitteln gefehlt für angemessene Entschädigungen. Man habe aber den Betroffenen bisher "ganz bewusst" nur "Peanuts" angeboten. "Auch hier müssten Orden und Kolleg durch Änderung der Haltung zum common sense unserer demokratischen Gesellschaft und den Strukturen, die den Missbrauch begünstig haben endlich liefern. Wir messen die Täterorganisation Jesuiten Orden an seinen Taten!", so Schnitzler weiter.

Zuvor hatte die Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch" gegenüber dem GA gefordert, den Verkauf der Villa Stella Rheni nicht hinter verschlossenen Türen abzuwickeln. Die Villa, die zwischen 1927 und 2015 als Internatsgebäude genutzt wurde, ist mit mehreren Fällen sexualisierter Gewalt gegen Schüler des Kollegs verbunden. Das Aloisiuskolleg ist eine von drei Jesuitenschulen in Deutschland. 2010 hatte der damalige Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, Pater Klaus Mertes, Fälle von Missbrauch an der Berliner Schule des Ordens bekanntgemacht und damit eine Welle von Berichten über ähnliche Vorkommnisse in kirchlichen und anderen Einrichtungen ausgelöst. Am Aloisiuskolleg und der angeschlossenen Freizeiteinrichtung "AKO-Pro-Seminar" gab es nach den Berichten seit den 1950er Jahren mindestens 60 Betroffene und 23 Beschuldigte, darunter 18 Jesuiten. Im vergangenen Jahr hatte der "Eckige Tisch Bonn" dem Orden mangelnde Aufarbeitung vorgeworfen. (fxn)

28. Juni 2021, 11 Uhr: Ergänzt um Information von Löwenstein zum Kontakt mit dem ETB.