Neue Lutheraner-Chefin: Ökumene mit Katholiken ist Erfolgsgeschichte
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Es war eine doppelte Premiere als der Rat des Lutherischen Weltbunds (LBW) vor wenigen Tagen Anne Burghardt zur neuen Generalsekretärin wählte: Sie ist die erste Frau und erste Osteuropäerin in diesem Amt. Ab November trägt sie damit die Verantwortung für rund 77 Millionen lutherische Christen weltweit. Im Podcast spricht die estnische Theologin über ihre Herkunft aus einem säkularen Umfeld und erläutert, welche Stärke die Lutheraner in den ökumenischen Dialog einbringen.
Frage: Sie sind Theologin und Pfarrerin in Estland, haben in Deutschland studiert. Sie sind verheiratet und haben zwei Kinder, Ihr Mann ist ebenfalls Pfarrer und kommt aus Deutschland. Estland ist eine sehr säkularisierte Region, noch mehr als Deutschland. Weshalb haben Sie sich überhaupt entschieden, diesen Weg einzuschlagen, Pfarrerin zu werden in so einem Umfeld?
Burghardt: Ich komme ja selbst aus einer säkularisierten Familie. Mein Weg zur Kirche fing eigentlich während des Gymnasiums an. Das war eine Zeit des Suchens für mich. Die Kirche war ein Ort, der tatsächlich auch für existentielle Fragen Antworten geboten hat beziehungsweise einen guten Raum angeboten hat, diese Suche voranzutreiben. Daraus entwickelte sich dann mein Interesse an Theologie, weswegen dann ein Theologiestudium folgte. Letztendlich bin ich auch ordiniert worden und stehe jetzt im Dienst der Kirche schon seit fast 20 Jahren.
Frage: Wenn Sie ihr Amt antreten, werden Sie die erste Frau und auch die erste Osteuropäerin als Generalsekretärin des Lutherischen Weltbundes sein. Es gibt Stimmen, die sagen: Das ist durchaus ein politisches Zeichen. Wie sehen Sie das?
Burghardt: Ich selbst möchte natürlich gerne denken, dass ich wegen meiner persönlichen Kompetenz gewählt worden bin. Es gab ja auch mehr Kandidatinnen und Kandidaten als lediglich die zwei, die in die Schlussrunde gekommen sind. Am Ende wird ja auch nur zwischen zwei Kandidaten entschieden. Ob das ein politisches Zeichen war, kann ich selbst schwer beurteilen. Ich persönlich würde eher sagen, es ist keine politische Entscheidung. Welche Motive bei den Einzelnen Ratsmitgliedern, die aus der ganzen Welt kommen und mitgewählt haben, eine Rolle gespielt haben, kann ich natürlich schwer beurteilen.
Aber es ist sicherlich so, dass die Kirchen in Mittel- und Osteuropa, vielleicht ein wenig ein Schattendasein geführt haben. Im Lutherischen Weltbund haben sie vielleicht nicht ganz so viel Aufmerksamkeit bekommen, wie andere Regionen. Diese Kirchen freuen sich natürlich jetzt sehr, weil sie hoffen, dass dadurch auch ihre Erfahrungen mehr Aufmerksamkeit bekommen.
Frage: Einige Beobachter sagen, es ist durchaus eine Überraschung, dass Sie gewählt wurden. Hat Sie das selber überrascht, oder war das für Sie ganz klar?
Burghardt: Es war sicherlich eine große Überraschung für mich. Als ich gefragt wurde, ob ich mich zur Verfügung stellen würde, war meine erste Antwort eigentlich: Nein. Dann habe ich lange überlegt und habe mich dann doch bereiterklärt. Es ist natürlich eine riesige Aufgabe, die vor mir steht. Die kann nur mit Gottes Hilfe und mit Hilfe von vielen Kolleginnen und Kollegen und Freunden weltweit bewältigt werden.
Frage: Wollen Sie denn andere Schwerpunkte setzen als Ihre Vorgänger? Mehr auf die Kirchen am Rand blicken?
Burghardt: Ich denke, im Allgemeinen macht der Lutherische Weltbund ja sehr gute Arbeit. Ich habe bereits bei meiner Vorstellung gesagt, dass mein Wunsch wäre, dass die drei wichtigsten Aufgaben der Kirche – Verkündigung des Evangeliums, Gottesdienst und Gebet sowie Dienst am Mitmenschen – alle balanciert vertreten wären. Und dafür möchte ich auch weiterhin einstehen.
Aber wenn es nun zu konkreten Schwerpunkten kommt, sehe ich die Verstärkung der theologischen Ausbildung als eine der wichtigsten Aufgaben für die kommenden Jahre. Denn gerade für manche kleinere lutherische Kirchen ist es eine große Frage: Wie bildet man die künftigen Theologengenerationen aus? Heute ist vieles online und über Zoom möglich. Das bringt sicher neue Möglichkeiten, die wir verstärken sollten.
Ich sehe vor allem die Bedeutung der theologischen Ausbildung auch darin, dass wir ja immer mehr in einer Welt leben, wo oftmals nur schwarz-weiße Lösungen angeboten werden, einfache Wahrheiten. Ich denke, dass die lutherische Theologie mit einer gewissen dialektischen Annäherung, wo man zwei unterschiedliche Prinzipien gleichzeitig bejahen kann, hier tatsächlich auch behilflich sein kann.
„Ich bin der Meinung, dass der ökumenische Dialog zwischen den Lutheranern und Katholiken zu den Erfolgsgeschichten der Ökumene gehört.“
Frage: Ein wichtiges Thema, mit dem Sie sich seit langem schon befassen, ist die Ökumene. Sie haben unter anderem das Reformationsjahr 2017 mitorganisiert, für dessen Eröffnung auch Papst Franziskus angereist ist. Aus katholischer Sicht wirkt Ökumene im Moment eher schwierig, da es zum Beispiel kaum Fortschritt beim Thema Mahlgemeinschaft gibt. Wie blicken Sie auf den Dialog mit den Katholiken?
Burghardt: Ich bin der Meinung, dass der ökumenische Dialog zwischen den Lutheranern und Katholiken zu den Erfolgsgeschichten der Ökumene gehört. Es ist sicherlich so, dass man vor Ort leicht das Gefühl bekommt, dass alles nicht schnell genug vorangeht, besonders beim Thema Mahlgemeinschaft. Aber ich denke, gerade das Reformationsjubiläum 2017 hat gezeigt, was heutzutage möglich ist, was ja keiner wahrscheinlich vor hundert Jahren noch für möglich gehalten hätte.
Es ist einfach in der Ökumene so, dass da manches leider tatsächlich etwas mehr Zeit braucht, als es vor Ort den Menschen lieb wäre. In vielen Punkten sind ja auch schon sehr bedeutende Übereinstimmungen erreicht worden. Es ist klar, dass es noch große Themen, wie Ekklesiologie, Kirchenverständnis und Amtsverständnis gibt, woran man weiterarbeiten soll. Und was natürlich tatsächlich, finde ich, auch ein brennendes Problem darstellt, sind die pastoralen Fragen gerade in Deutschland, wo es ja sehr viele konfessionsverschiedene Ehen gibt. Das ist eine Frage, die sehr viele Menschen persönlich betrifft, dass es noch keine offizielle Abendmahlsgemeinschaft gibt zwischen der evangelischen und katholischen Kirche. Das ist schon manchmal eine große Belastung, auch für das Gewissen der Menschen, wenn sie dann trotz fehlender Erlaubnis dennoch gemeinsam zum Abendmahl gehen. Da werden die Diskussionen bezüglich der Lehrmeinungen noch etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen. Deshalb muss man auch überlegen, welche pastorale Lösung sich anbietet.