Bischof sprach auch über Umgang mit Homosexuellen und Kardinal Woelki

Genn: Bischofsamt fundamental in Frage gestellt

Veröffentlicht am 01.07.2021 um 13:00 Uhr – Lesedauer: 

Münster ‐ Die gewohnte Gestalt der Kirche zerbreche: Das führe auch dazu, dass das Bischofsamt in der Krise sei, sagt Münsters Bischof Felix Genn. Stellung nimmt er auch zur Situation im Erzbistum Köln und dem Umgang der Kirche mit Homosexuellen.

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Nach Ansicht des Münsteraner Bischofs Felix Genn befindet sich in der momentanen Situation der Kirche in Deutschland auch das Bischofsamt in einer Krise. "Wie die Priester sind auch wir Bischöfe fundamental in Frage gestellt", sagte Genn im Interview mit dem Münsteraner Internetportal "kirche-und-leben.de" (Donnerstag). Zu Priestern sage er deshalb immer, dass er im selben Boot wie sie sitze. "Ich nehme innerlich Anteil an all dem, weil es mich umtreibt – und zwar in der Potenzierung, dass ich mit meinen Mitbrüdern im Bischofsamt Lösungen finden muss." Das zerreiße bisweilen. "Von daher kann ich beim besten Willen nicht verstehen, dass es immer noch Menschen gibt, die nur zu gerne Bischof werden möchten."

Wie die meisten Gläubigen komme auch er aus einer Gestalt von Kirche, die gerade zerbreche, so Genn weiter. "Wir sind in einen offenen Suchprozess gestellt, der schlichtweg alles betrifft: die Gestalt der Kirche, die Gestalt der Gemeinde und der Pfarrei, auch die Gestalt der kirchlichen Berufe." Das gelte nicht nur für Priester, sondern auch für Pastoralreferenten und für Diakone. "Da hilft es, gemeinsam zu suchen und nach einer Gestalt zu fragen – in aller Zuversicht, weil es bestimmte Grundwirklichkeiten gibt." Das sakramentale Amt etwa sei gesetzt, "aber es muss doch nicht so gesetzt sein, wie es sich im 19. Jahrhundert dargestellt hat und vielen immer noch vertraut ist", betonte der Münsteraner Oberhirte.

Situation in Köln mache "traurig und ratlos"

Angesprochen auf einen Zusammenhang zwischen der erwarteten Rekordzahl an Kirchenaustritten im vergangenen Jahr und der Missbrauchsaufarbeitung im Erzbistum Köln sagte Genn, dass ihn die Situation traurig und ratlos mache. "Der Grund für die vielen Austritte ist allerdings sicherlich nicht nur eine Person." Kardinal Rainer Maria Woelki befinde sich in einer leidvollen Situation – "aber die vielen Menschen in den Gemeinden und die vielen engagierten Christinnen und Christen ebenso". Mit der Weiterleitung der Anzeigen gegen Woelki an den Vatikan, die bei ihm als dienstältesten Bischof der Kirchenprovinz Köln eingegangen sind, habe er seine Pflicht erfüllt, unterstrich Genn. Es habe zwar keine schriftliche Antwort gegeben, doch er wisse, dass an den Fragen gearbeitet werde.

Das Rücktrittsangebot des Münchner Kardinals Reinhard Marx wegen der aus dessen Sicht institutionellen Verantwortung der Kirche beim sexuellen Missbrauch bewertet Genn als eine "höchst persönliche Entscheidung, als eine Frucht seines tiefen, geistlichen Ringens". Er könne das Motiv zwar nachvollziehen, es sich "in dieser Schärfe" jedoch nicht zu eigen machen. Auf die Frage, ob er mit sich selbst und seinem Umgang mit Missbrauchsfällen im Reinen sei, antwortete Genn mit einem Zitat aus dem ersten Korintherbrief (1 Kor 4,4): "Ich bin mir zwar keiner Schuld bewusst, doch bin ich dadurch noch nicht gerecht gesprochen; der Herr ist es, der über mich urteilt." Er könne das ganz und gar auf sich anwenden, so Genn.

Eine große Regenbogenfahne und ein Kreuz
Bild: ©KNA/Harald Oppitz

"Ich glaube schon, dass die Kirche zu dieser Thematik etwas sagen sollte. Aber es stellt sich die Grundfrage, wie sie mit Menschen umgeht", sagt Bischof Genn zum Thema Homosexualität und Kirche.

Kritisch zeigte sich der Münsteraner Oberhirte gegenüber dem Nein der vatikanischen Glaubenskongregation zur Segnung homosexueller Partnerschaften. "Die Kommunikation war eindeutig schlecht", betonte Genn. Er könne gut verstehen, dass sich homosexuelle Menschen durch das Dokument verletzt fühlen. "Ich glaube schon, dass die Kirche zu dieser Thematik etwas sagen sollte. Aber es stellt sich die Grundfrage, wie sie mit Menschen umgeht." Das gelte noch einmal besonders mit Blick auf homosexuelle Menschen, "die über Jahre und Jahrzehnte durch Äußerungen der Kirche verletzt wurden". Bei der Familiensynode 2014 und 2015 habe die deutschsprachige Gruppe einen Text für das Synodendokument eingebracht, in dem eine Entschuldigung kirchlicher Verantwortungsträger bei Homosexuellen für ihren Umgang mit diesen vorgeschlagen worden sei. Dieser Text ist laut Genn auch Thema beim Synodalen Weg.

In einer Gesellschaft, die stark vom Gedanken der Gerechtigkeit und Gleichberechtigung geprägt sei, stoße die kirchliche Lehre über den Ausschluss der Frauen vom Weiheamt auf Widerstand, sagte Genn. Unter dem Aspekt der Gerechtigkeit sei er "ganz und gar auf der Seite der Frauen und auch auf der Seite der homosexuellen Menschen." An verschiedenen Stellen im Vatikan habe er deutlich gesagt, dass es bei diesen Fragen nicht nur um Moral und Dogmatik gehe. Doch bleibe auch die berechtigte Frage, ob es über den Aspekt von Gerechtigkeit und Diskriminierung hinaus eine Ebene gebe, "die verstehen lässt, warum die Kirche an diesem Punkt lehrt, was sie lehrt".

Synodaler Weg erwecke in Rom Skepsis und Vertrauen

Mit Blick auf den Reformprozess der Kirche in Deutschland erlebe Genn, der auch Mitglied der Bischofskongregation ist, in Rom sowohl Skepsis als auch Vertrauen. Er werde dort immer wieder gefragt, wie er über den Synodalen Weg denke, so der Münsteraner Bischof. "Meine Antwort: Wir wollen katholisch bleiben. Wir wollen uns nicht aus der Weltkirche lösen." Doch die Kirche in Deutschland wolle einen Raum eröffnen, in dem die wichtigen Fragen in aller Offenheit besprochen werden können. Es sei großartig, dass Papst Franziskus mit der von ihm angekündigten "Welt-Synode" einen "ganz offenen Raum" eröffnet habe und den deutschen Synodalen Weg für die ganze Welt geweitet habe, so der Bischof.

Auf die Frage, ob es ein Konzil brauche, sagte Genn, dass ein Papst, vielleicht auch schon Franziskus, zur Überzeugung kommen könne, dass es einer solchen Versammlung oder zumindest einer repräsentativen Synode für einen weltkirchlichen Austausch bedürfe. Allerdings warnte Genn in diesem Zusammenhang davor, dass die Deutschen in der Weltkirche als Besserwisser wahrgenommen werden. "Wenn der Eindruck entstünde: Wir deutschen Katholiken wissen es schon und machen es schon mal, und ihr anderen werdet vielleicht auch irgendwann dahin kommen – das wäre fatal und ist hochgefährlich." (mal)