Jesus-Serie "The Chosen" sorgt für Furore
Simon ist auf dem Tiefpunkt seines Lebens. Die Netze des Fischers aus Kafarnaum bleiben leer, seine Steuerschuld ist erdrückend, in der Ehe kriselt es. Am Boden zerstört, begegnet ihm Jesus am See Genezareth und fordert ihn auf, ihm zu folgen. Trotz anfänglichen Misstrauens lässt er alles stehen und liegen und schließt sich dem unbekannten Mann an.
Die 15-Minuten-Sequenz über Jesu' ersten Jünger, dem er den Beinamen Petrus gab, steht symbolisch für die Machart der in jeder Hinsicht außergewöhnlichen TV-Serie "The Chosen" (Der Auserwählte). Gezeigt werden menschliche Charaktere in ihrer ganzen Komplexität. Und: Der Film kommt ganz ohne heroisches Pathos und den üblichen Kostüm-Kitsch Hollywoods aus. Was ihn von vielen Bibel-Verfilmungen unterscheidet.
Millionen Zuschauer sind begeistert
"The Chosen" ist ein Phänomen. Obwohl erst zwei von acht Staffeln zum freien Empfang im Netz stehen, findet der Film ein weltweites Publikum. Über die kostenlose App haben Millionen Zuschauer die ersten Folgen gesehen. Und die sind begeistert. Die durchschnittliche Bewertung der User von Brasilien bis China liegt bei 9,8 von 10 Punkten.
„Wenn Leute für 'Games of Thrones' Watchpartys veranstalten, warum sollte es nicht gelingen, auch für Jesus Begeisterung zu wecken.“
Darüber hinaus ist "The Chosen" das erfolgreichste Medien-Crowdfunding aller Zeiten - und die teuerste TV-Serie, die jemals auf diesem Weg finanziert wurde. Für die ersten Folgen der Staffel Eins machten 75.000 Spender bis November 2019 zehn Millionen Dollar locker. Die zweite Staffel erbrachte ein Jahr später die gleiche Summe, diesmal mithilfe von 125.000 Geldgebern. Die dritte Staffel, die Anfang 2022 an den Start gehen soll, hat schon jetzt fast 60 Prozent ihres Etats zusammen.
Grundlage des Erfolges sind die Protagonisten der mehrstündigen Serie. Sie sind "echte Menschen", lobt der Autor und leitende Redakteur von "The Gospel Coalition", Brett McCracken, die Macher. Allen voran den Ideengeber und Regisseur Dallas Jenkins. Seine Darsteller spielen die biblischen Figuren mit Macken und Fehlern, "weil sie Emotionen verkörpern."
Der Film fühlt sich "einfach echt" an, lobt Jessilyn Lancaster im "Movie Guide". Petrus habe ein "feuriges Temperament", Matthäus sei "berechnend", Thomas ungläubig und fasziniert und Johannes der Täufer sehe wie ein "Verrückter" aus. Einfach nur "atemberaubende Bilder und eine großartige Kunstfertigkeit" schrieb Mary Grace Mangano im Jesuitenmagazin "America". Ausdrücklich lobt sie die vielen historischen Details, mit denen Regisseur Jenkins der jüdischen Kultur Aufmerksamkeit schenkt.
Der evangelikale Filmemacher versteht "The Chosen" nicht als Nischenfilm für Gläubige. Zwar kommt die Serie bis jetzt überwiegend bei Bibel-Interessierten an, doch sein Erfolgsmaßstab geht weit darüber hinaus. "Wenn Leute für 'Games of Thrones' Watchpartys veranstalten, warum sollte es nicht gelingen, auch für Jesus Begeisterung zu wecken," fragt er. Jenkins will weltweit ein Milliardenpublikum erreichen. Schon jetzt bewegt sich der Zähler in Richtung 200 Millionen Zuschauer.
"Die Kirche braucht diese Serie"
Jenkins zog christliche und jüdische Bibel-Experten zurate. Die Dialoge werden originalgetreu nach den Vorlagen der vier Evangelien nachgespielt. Ein guter Teil des Erfolgs hat auch mit Jesus-Darsteller Jonathan Roumiee zu tun. Der Sohn einer irischen Mutter und eines ägyptischen Vaters aus New York ist gläubiger Katholik. Roumiee spiele Jesus als jemanden, "mit dem man gerne Zeit verbringen würde", schreibt Chris DeVille in "The Atlantic". Ein Jesus mit "göttlicher Ernsthaftigkeit, akzentuiert mit lässiger Wärme".
Dass die Produzenten einzelne Ereignisse aus dramaturgischen Gründen dazu erfunden haben, findet "Film-Jesus" Roumiee nicht weiter problematisch. Es bringe die Zuschauer näher an Christus. Auch die katholische Filmkritikerin Mangano erkennt in "The Chosen" einen Segen. "Die Kirche braucht diese Serie", schreibt sie. Ihr sei vorher nie in den Sinn gekommen, "dass die Apostel ein erfülltes Leben mit Familien, Jobs, Verpflichtungen und Herausforderungen hatten, genau wie ich". Der Erfolg der Serie zeige, dass es "einen Markt für religiöse Inhalte gibt", schwärmt auch DeVille in "The Atlantik". Der Film leiste sich kreative Freiheiten, ohne dabei "die Ehrfurcht vor der Bibel zu verlieren."