Richtungsweisende Entscheidung: Wer wird neuer Caritaspräsident?
In wenigen Wochen steht Deutschlands größter Sozialverband vor einer richtungsweisenden Personalentscheidung: Am 13. Oktober will die Mitgliederversammlung des Deutschen Caritasverbands (DCV) den neuen Präsidenten wählen. Oder die neue Präsidentin. Denn erstmals in der knapp 125-jährigen Geschichte der Caritas kandidiert mit DCV-Vorständin Eva Maria Welskop-Deffaa eine Frau. Ihre Konkurrenten im Wahlkampf, der offiziell nicht so heißt, sind der Stuttgarter Stadtdekan Christian Hermes und der Trierer Caritas-Vorstandschef Markus Leineweber. Beobachter sprechen von einer offenen Wahl, ohne Vorabsprachen im Hinterzimmer.
Das Präsidentenamt zählt zu den einflussreichsten Positionen, die es in der katholischen Kirche in Deutschland zu vergeben gibt. Zwar ist der- oder diejenige keineswegs Chef aller bundesweit 660.000 Caritasmitarbeiter, denn der DCV ist "nur" der Dachverband für die rechtlich selbstständigen Einzelverbände.
Das Amt ist aber eine Schlüsselposition bei der Mitgestaltung der Sozialpolitik. Auf Feldern wie Pflege, Migration oder Medizinethik ist der Caritasverband in Person des Präsidenten ein sehr wichtiger Ansprechpartner. Peter Neher, der den Verband seit 2003 leitet, nutzte diese Rolle und machte Caritas-Positionen öffentlichkeitswirksam deutlich – genauso wie er im Hintergrund politische Lobbyarbeit organisierte. Im aktuellen Bundestagswahlkampf wirbt Neher, der sich gegen eine weitere Amtszeit entschied, nochmals eindringlich dafür, sozial Schwache bei der Klimaschutzpolitik nicht zu vergessen. Zum Jahresende wird er nun an einen Nachfolger, eine Nachfolgerin übergeben.
Christian Hermes (51) ist der einzige Priester unter den drei Kandidaten. Der Stuttgarter Stadtdekan will als Präsident die "Vision einer gerechten und solidarischen Gesellschaft" vertreten, die ökonomisch erfolgreich und ökologisch zukunftsgewandt sein soll. Als Schlüsselkompetenz für den Präsidentenjob sieht er Kommunikationsfähigkeit. Er versteht die Caritas als "bunte und diverse Organisation, die nicht hierarchisch funktioniert". Hermes stellt mit Blick auf Freiburg schon den Begriff "Zentrale" infrage und beschreibt die Caritas lieber als Netzwerk, in dem es darauf ankomme, "die Stärken aller zu stärken". Als früherer persönlicher Referent der Bischöfe Walter Kasper und Gebhard Fürst kennt Hermes (kirchliche) Organisationsabläufe von innen.
In der baden-württembergischen Landeshauptstadt zeigt sich der gebürtige Baden-Badener als Impulsgeber: Er intensivierte das Gespräch mit der Kulturszene, gründete einen Rat der Religionen und stieß einen "Erneuerungsprozess" der Stadtkirche mit ihren 60 deutschen und muttersprachlichen Gemeinden an. Als sein Schicksal sieht der promovierte Theologe, der gerne lacht und Philosophie seine Passion nennt, "dass es wenig gibt, was mich nicht interessiert". Häufig legt sich der meinungsfreudige Kirchenmann über soziale Netzwerke mit der AfD an – vor allem gegen Rechtspopulismus und Ausländerhass.
Stimme für Vielfalt und Mut
Als zweiter Bewerber tritt der Trierer Theologe Markus Leineweber (53) an. Er arbeitet seit rund 25 Jahren für die Ordensgemeinschaft der Barmherzigen Brüder, die vor allem in der Alten- und Krankenhilfe engagiert ist. Seit 2009 ist Leineweber in der Leitung einer großen Trierer Klinik tätig. Teamarbeit und gleichberechtigte Leitung sind ihm wichtig – und zeichnen in seinen Augen auch den Caritasverband aus. Als Theologe ist er im Klinikdirektorium für Grundsatzfragen zuständig, etwa zur Unternehmenskultur und der Identität der Klinik als christliche Einrichtung. Unter anderem baute er internationale Partnerschaften zu Kliniken in Bolivien und Uganda auf.
"Ich lebe in dieser Welt und will sie aus einem christlichen Grundverständnis heraus mitgestalten", beschreibt Leineweber seine Motivation. Auf übergeordneter Ebene gelte es, mit "einem Ohr an der Basis" gute Rahmenbedingungen zu schaffen und sich für diejenigen stark zu machen, die sich selbst kaum bemerkbar machen könnten. Eine wichtige Aufgabe für die Caritas sieht er künftig darin, die Stimme für Vielfalt zu erheben und Mut zu zeigen, gegen jede Art von Ausgrenzung, Rassismus und Diskriminierung einzutreten. Die Caritas kennt er auf allen Ebenen, ist Vorstand des Trierer Verbands und bundesweit Mitglied der Kommission Sozialpolitik und Gesellschaft.
Chancen der Digitalisierung
Dritte Bewerberin ist Eva Maria Welskop-Deffaa (62), sie ist seit 2017 in der obersten Caritasverbands-Führungsebene tätig, und im Vorstand beispielsweise für Digitalisierung verantwortlich. Zuvor arbeitete die gebürtige Duisburgerin in verschiedenen Politikfeldern. Sie war Mitglied im Vorstand der Gewerkschaft Verdi und leitete die Gleichstellungsabteilung im Bundesfamilienministerium. Auch für das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und den Katholischen Deutschen Frauenbund (KDFB) war die Mutter dreier Kinder engagiert.
Welskop-Deffaa ist davon überzeugt, dass die Zeit für eine Frau als Caritaspräsidentin gekommen ist – und verweist dabei auch auf die neu gewählte Generalsekretärin der Bischofskonferenz, Beate Gilles, die sie als "wunderbare Kollegin" bezeichnet. Wichtig wäre es ihr, als Präsidentin die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Sie strebt eine enge Zusammenarbeit mit der evangelischen Diakonie an. Als große Herausforderung bezeichnet sie es, den Kampf gegen den Klimawandel sozialgerecht zu führen. Verbandsintern gilt Welskop-Deffaa als Verfechterin einer Stärkung der Büros in Brüssel und Berlin.
Am 13. Oktober wird die Caritas-Delegiertenversammlung die Wahlentscheidung treffen. Der Präsidentschaftswechsel ist spätestens zum Jahreswechsel geplant.