Diakon Knoblauch und seine Könige: Ein weltweites Symbol für die Würde
Jeden Morgen in der Woche widmet sich Ralf Knoblauch einer Sache: Der gelernte Tischler geht in den Keller und verbringt eine Stunde lang mit Holzarbeiten. Aus dieser kontinuierlichen Arbeit erschafft er Königsskulpturen. "Ich habe schon immer diese Affinität zum Werkstoff Holz gehabt", sagt der heutige hauptamtliche Diakon. Das lässt schon vermuten, dass er sich zumindest beruflich umorientiert hat. Knoblauch studierte Theologie, wollte "etwas mit Menschen" machen, wie es so oft heißt.
Mit Holz hatte Knoblauch beruflich lange Zeit nichts mehr zu tun – bis es ihn als hauptamtlichen Diakon 2007 in den Bonner Nordwesten zog. Dort wohnt er bis heute mit seiner Frau und den drei Kindern im Pfarrhaus. Seine Affinität zum Holz wollte er jetzt endlich wieder einbringen und startete verschiedene Projekte mit dem Werkstoff: Kreativwochen, Firmvorbereitung oder Workshops. Für ihn ist Holz spirituell aufgeladen. Allein durch seine Materialität verändere sich Holz andauernd, sagt er, sei lebendig – "nie tot" – und hänge auch mit der Lebensbiografie zusammen: "Man verändert sich permanent und die Risse und Kanten eines Holzstückes sind letztlich auch übertragbar auf den Menschen."
Mit seinem großen Projekt, den Königsfiguren, begann Knoblauch vor neun Jahren – aus Zufall, wie er erzählt. Beim alljährlichen Urlaub auf einer einsamen, kroatischen Insel. "Ich habe dort mal am Strand ein Stück Treibholz gefunden. Für mich habe ich in dieser alten Eiche einen König gesehen und ihn dann letztlich in meinen drei Wochen Aufenthalt dort herausgeholt." Ihm war damals klar, dass dieser König für ihn das Thema Würde repräsentiert.
Das Thema Würde ist dem Diakon omnipräsent. Bonn-Tannenbusch, ein Stadtteil im Norden der Stadt, gilt eher als Problemviertel, als sozialer Brennpunkt. Dort ist er diakonisch-pastoral hauptsächlich in der sozialen Arbeit tätig. "Die ganzen menschlichen Brüche, die ich dort im Bonner Norden erlebe, von Gewalt in der Familie, Verschuldung, die ganze Suchtthematik: Da habe ich sehr viel Kontakt mit Menschen, wo die Würde jeden Tag eine hohe Aktualität bekommt", so Knoblauch. "Letztlich ist das Tun und Arbeiten an den Königen ein Prozess, das auch persönlich zu verarbeiten." Die Könige sieht er deshalb nicht als Hobby, sondern als fest integrierten Teil seines Lebensentwurfs.
Er sucht bewusst "unkirchliche" Orte auf
Etwa 50 Zentimeter hoch, gekleidet in Schwarz und Weiß, ein neutral-freundlicher Blick und eine Krone auf dem Haupt: Am Motiv des Königs und der Würde ist Knoblauch hängen geblieben. Alle drei bis vier Wochen verlässt ein fertiger König – oder eine fertige Königin – seinen Keller. Etwa 400 Figuren hat er so geschaffen. 100 davon befinden bei ihm und werden etwa für Ausstellungen ausgeliehen. Selbst in Dubai, eingeladen von der Südarabischen Bischofskonferenz, war der Diakon bereits mit seinen Figuren und arbeitete dort mit Arbeitsmigranten in Workshops. Früher nutzte er sie auch für Firmkatechesen oder andere Projekte; das hat er mittlerweile weitestgehend eingestellt. Heute dagegen stellt er sich mit ihnen, einem Stehtisch und Kaffee an bewusst "unkirchliche" Orte, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen: "Ich habe im Tattoo-Studio gestanden, im Nagelstudio, vor der Moschee, am Friedhof. Ich stelle mich also nicht direkt vor die Kirche", so Knoblauch. Aus einer spontanen Begegnung werden oft tiefe Gespräche, erklärt er und betont, so das Thema auch dort diskutieren zu können, wo Kirche heute kaum noch präsent sei.
Die anderen Königsfiguren gehen in die Welt, sollen das Thema der Würde in die Welt tragen, erklärt der Diakon – in unterschiedlichen Kontexten und Projekten an fast 190 Orten der Welt auf allen fünf Kontinenten. "Gerade da, wo besonders eklatante Krisengebiete sind und wo die Menschen dadurch vielleicht nochmal insbesondere Würde und Wertschätzung erfahren können über die Kommunikation mit so einer Skulptur." Königinnen und Könige befanden sich so beispielsweise im Flüchtlingslager Moria und auf dem Seenot-Rettungsschiff "Alan Kurdi" im Mittelmeer. Das Thema begleite das gesamte Leben, so Knoblauch. Würdevolles Leben, würdevolles Sterben: Seine Könige symbolisieren das etwa auch in Hospizen. Nach der Flutkatastrophe in Teilen Deutschlands startete der Diakon eine Aktion für das das Hospiz im Ahrtal, das durch das Unwetter schwer getroffen worden ist. Kurzerhand versteigerte er eine seiner Königsfiguren – und brachte dem Hospizverein so mit weiteren Spenden etwa 7.000 Euro ein.
Genutzt werden die Figuren methodisch, etwa im schulischen Kontext, doch sie sollen auch jedem, der an den verschiedenen Orten an ihnen vorbeiläuft, daran erinnern, dass er ein königlicher Mensch sei. Sogenannte Königsbotschafter nehmen die Könige mit in die gesamte Welt. Das ergibt sich immer durch persönliche Kontakte, erklärt Knoblauch und räumt ein, dass manch eine Skulptur wieder vorzeitig zurückkam, da es doch nicht geklappt habe, doch das sei "völlig okay" – wie auch, wenn Menschen nichts mit den Figuren anfangen können.
Unschöne Begegnungen: Da gehören seine Könige auch hin
An eine "unschöne Begegnung" kann er sich auch erinnern, die war im Düsseldorfer Landtag, wo seine Könige ausgestellt waren: Als er einem AfD-Abgeordnetem unter anderem erklärte, die Könige ständen dafür, dass alle Menschen ungeachtet ihrer Hautfarbe oder Religion gleich seien, intervenierte dieser, er würde das anders sehen und sprach den Deutschen mehr Würde zu als Geflüchteten. "Der ist in seiner Meinung natürlich nicht geändert worden, aber in der Konfrontation und in diese Spannungen, da gehören meine Könige letztlich noch mehr hin."
Auch die Gleichwürdigkeit von Frau und Mann sei ein schmerzliches Thema für den Diakon. Als Maria 2.0 2019 in Münster startete, bat er alle, die einen König oder eine Königin beherbergen – Knoblauch spricht bewusst nicht von "besitzen", – ein Foto der Figuren zu machen, auf dem deren Münder zugeklebt sind – ein Motiv der Initiatorinnen von Maria 2.0, um zu zeigen, dass sie als Frauen in der Kirche nicht weiter schweigen wollen. Binnen weniger Tage erreichten ihn zahlreiche dieser Fotos.
Wichtig ist Knoblauch, dass es zwischen einer Königsfigur und einem Menschen zu einer Beziehung kommt – möge die Begegnung auch noch so kurz sein – und dass der Mensch aus dieser positiv herausgeht.
Dabei sehen seine Könige alles andere als königlich aus, sondern sind schlicht gehalten: Gefertigt sind sie aus einem Stück, sodass sie immer aus einem festen Sockel erwachsen. Auch der schwarz-weiße Typus hat Beständigkeit: Immer tragen die aus Eichenholz gefertigten Figuren ein bemaltes weißes Kleid oder einen schwarz-weißen Anzug – eine Anspielung auf die Taufwürde und die Salbung zum Königtum.
„Das Gegenüber darf nicht noch weiter in ihrer oder seiner Situation runtergezogen werden, sondern muss positiv aus dieser Begegnung herausgehen.“
Eine Ausnahme gibt es da aber: Der Diakon arbeitete in einem Projekt mit Frauen in der Straßenprostitution. Für sie sei es stimmiger gewesen, dass ihre zwei Königinnen rote Kleider trügen. In einem aufrechten Stand und mit enganliegenden Armpartien ist ihre Körperhaltung eher zurückgezogen und demutsvoll. Ihre geschlossenen Augen machen sie noch einmal verletzlicher. "Wer nicht sieht, ist immer auf das Gegenüber angewiesen", erklärt Knoblauch. Das Gegenüber sei also eher aufgefordert, für die Figur Partei zu ergreifen als dass sie über einen regieren will. Das klassische Königsbild werde so um 180 Grad gedreht.
Keine Figur verlässt traurig seinen Keller
Lediglich die Krone zeichnet sie aus: Nicht immer befindet sich diese auf dem Kopf, sondern versteckt sich manchmal hinter der Figur oder in ihrer Hand. Eine letzte Kleinigkeit ist dem Diakon ebenfalls wichtig: Keiner seiner Könige verlässt traurig seinen Keller. Mit ihrem leichten Lächeln sollen sie ein Türöffner sein: "Das Gegenüber darf nicht noch weiter in ihrer oder seiner Situation runtergezogen werden, sondern muss positiv aus dieser Begegnung herausgehen."
Als Künstler sieht er sich keineswegs, erklärt Knoblauch. Er arbeitet strukturiert sein Thema ab und muss sich dabei nicht immer neu erfinden. Für ihn ist diese eine Stunde im Keller ein kontemplativer Prozess und eine Form des Gebets. "Ich brauche auch nichts anderes. Das wird für mich immer das entscheidende Thema bleiben, auch in einer sich verändernden Kirche. Da stehen wir, denke ich, noch vor großen Herausforderungen."