Der Heilige von Auschwitz: Maximilian Kolbe starb vor 80 Jahren im KZ
Tod war in Auschwitz die Tagesordnung. Maximilian Kolbes Tod war eine Ausnahme. Am 14. August 1941 wurde der Franziskanerminorit im sogenannten Hungerbunker des Vernichtungslagers mit einer Giftspritze ermordet: Er starb anstelle eines Mithäftlings. Für seine Selbstlosigkeit wurde der Pole 1982 heiliggesprochen. In Europa wird er als Symbolfigur für die deutsch-polnische Versöhnung verehrt. Andere kritisieren Aussagen des Paters als antisemitisch und antimodern.
Stammlager Auschwitz, 29. Juli 1941: Lagerkommandant SS-Hauptsturmführer Karl Fritzsch lässt die Häftlinge Strafappell stehen. Zehn von ihnen sollen den Hungertod sterben, Kollektivstrafe für den einen, dem an diesem Tag die Flucht gelang. Fritzschs Wahl fällt auch auf Häftling 5659. Franciszek Gajowniczek, 40 Jahre alt, Familienvater. Ein Schrei durchbricht die Stille, erinnert sich später ein Mithäftling. Dann geschieht das Ungeheuerliche. Häftling 16670 tritt aus Reih und Glied und bricht erneut die Stille. Er, familienloser Priester und alt und nutzlos, wolle anstelle des Auserwählten sterben. Der Ungehorsam, die Worte sind so unfassbar, dass der SS-Mann verblüfft zustimmt.
Nervengift direkt ins Herz
Block 13 heißt damit das Schicksal für Maximilian Kolbe. Ohne Licht, Luft, Wasser und Nahrung dem qualvollen Tod überlassen. Nach und nach sterben seine Mit-Todeskandidaten. Vier sind nach zwei Wochen noch am Leben, einzig der Priester noch bei Bewusstsein. Den Nazis geht sein Sterben zu langsam. "Abspritzen" hieß der Befehl im Lagerjargon. Nervengift Phenol, direkt ins Herz injiziert, führte am 14. August zum sicheren Tod des Ordensmannes. An Mariä Himmelfahrt wird seine Leiche wird verbrannt.
Dass es heute trotzdem Reliquien erster Klasse des Heiligen gibt, liegt indirekt an den Nationalsozialisten. Bilder zeigen Kolbe mit markantem Kinn und der zu kleinen Nickelbrille, deren Bügel sich wie ein Trapez zu den Ohren strecken. Doch dann gibt es die anderen Bilder: Kolbe mit üppigem Bart. Bis September 1939 trug er die gesichtliche Haarpracht, bis sein Ordensoberer ihm riet, sich von ihr zu trennen, um weniger schnell von den Nazis erkannt zu werden. Der Klosterfrisör befreite Kolbe vom Bart und hob die Haare – aus persönlicher Verehrung für den Mitbruder – auf.
Ein Landsmann, Papst Johannes Paul II., spricht den Ordensmann am 10. Oktober 1982, nur 41 Jahre nach dessen Tod, heilig – als Märtyrer. Nicht nur diese Zuordnung sorgte bei Kritikern für erhobene Augenbrauen, starb der Pole streng genommen doch nicht um seines Glaubens willen. Manchen ging auch die intensive Marienverehrung zu weit, der Kolbe seit einer Marienvision im Alter von 12 Jahren anhing.
Geboren 1894 in der Nähe von Lodz in eine fromme Familie, fiel Rajmund – Maximilian ist erst sein späterer Ordensname – durch eine mathematische Begabung auf. Zusammen mit seinem Bruder kommt er in ein Franziskanerinternat im heute ukrainischen Lwiw (Lemberg). Hier gibt er seine zweite Berufung – Soldat – auf und legt 1914 sein Gelübde ab. Die Franziskaner entsenden ihn zum Studium nach Rom.
Anhaltende Debatte um Haltung gegenüber Juden
Nach seiner Priesterweihe wirkt er als Missionar in Japan und Indien, bevor eine Tuberkuloseerkrankung ihn zur Rückkehr nach Polen zwingt. Er gründet bei Warschau eine Klosterstadt namens Niepokalanow, die Ende der 1930er Jahre rund 660 Franziskaner zählt. Bevor die Nationalsozialisten 1939 aus der Klosteranlage ein Gefangenenlager machen und Kolbe ein erstes Mal verhaften, vertreibt er von hier aus seine katholischen Zeitschriften. Sie sind es, die nach seiner Seligsprechung 1971 eine anhaltende Debatte über Kolbes Haltung gegenüber Juden auslösen. Geführt wird sie vornehmlich in nicht-deutscher Sprache.
In Kolbes Zeitschriften wurden Juden etwa als "Krebsgeschwür im Volkskörper" bezeichnet und ihre Emigration aus Polen gefordert. Kolbe selbst gründete seine "Militia Immaculatae" ("Ritterschaft der Unbefleckten"), eine marienverehrende Gebetsgemeinschaft, mit dem erklärten Ziel, "Häretiker, Schismatiker, Juden und besonders die Freimaurer" zu bekehren, jene "organisierte Clique fanatischer Juden, die die Kirche zerstören wollen". Auch Verweise auf das antisemitische Pamphlet "Protokolle der Weisen von Zion" finden sich.
Linktipp: Maximilian Kolbe: Vorbild für die deutsch-polnische Versöhnung
Er ging in Auschwitz für einen Mithäftling freiwillig in den Tod. Bis heute wird Maximilian Kolbe für dieses radikale Glaubenszeugnis verehrt. Der Heilige wurde am 7. Januar vor 125 Jahren geboren. (Artikel vom Januar 2019)
Die unter Federführung Kolbes veröffentlichte Presse habe "in der Tat einen ausgesprochen antisemitischen Charakter" gehabt, urteilt Yad Vashem. Für Kolbe selbst nimmt die Jerusalemer Holocaustgedenkstätte ein Dilemma an: Er habe versucht, extremen Antisemitismus in den Tageszeitungen einzudämmen, gleichzeitig aber eine antijüdische Haltung gebraucht. "Kolbes Antisemitismus hatte keine rassistische Konnotation, Kolbe predigte die Konversion der Juden", so das Verdikt.
Andere Holocaustforscher teilen diese Meinung. Die problematischen Passagen stellten Bruchteile des Werks Kolbes dar, die durch sein Plädoyer für Nächstenliebe und Umsicht – und die Aufnahme zahlreicher Juden in seinem Kloster mehr als aufgewogen würden.
Kritik an der kirchlichen Ehrung hält an
Dennoch hält die Kritik an der kirchlichen Ehrung für Kolbe an. "Für Außenstehende sah es so aus, als käme der Papst als Repräsentant einer verfolgten Religion nach Auschwitz, nicht als eine, die ihren eigenen Beitrag zur Ermordung des jüdischen Volkes während des Holocaust noch nicht aufgearbeitet hat", kommentierte etwa die israelische Tageszeitung "Haaretz" den Besuch von Papst Franziskus in der Todeszelle Kolbes in Auschwitz 2016 in einem Meinungsbeitrag.
Darf man Kolbe als Kind seiner Zeit bezeichnen, wenn er mit solch scharfen Worten gegen Kommunismus, Freimaurerei und Zionismus wettert? Das Urteil darüber fällt unterschiedlich aus. Unbestritten hingegen ist: Nur wenige hatten den Mut Kolbes, sich freiwillig für andere in den Nazi-Tod zu begeben.