Taize-Prior Frere Alois über die Mitstreiter von Frere Roger
Der Gründer der ökumenischen Gemeinschaft von Taize, Frere Roger Schutz (1915-2005), hatte in den Anfangsjahren in Genf und Taize nur wenige Mitstreiter. Gleich drei von ihnen werden in diesen Tagen 100 Jahre alt – bzw. wären es geworden. Im Interview spricht der heutige Prior Frere Alois (67) über die ersten Weggefährten Frere Rogers: Daniel de Montmollin (Geburtstag am 27. August), Frere Max Thurian (16. August 1921 - 15. August 1996) und Frere Pierre Souvairan (1921-1998).
Frage: Frere Alois, wie verläuft derzeit das Hochsommer-Leben in Taize unter Corona-Bedingungen?
Frere Alois: Wir sind sehr dankbar, dass die Treffen hier wieder anlaufen. Es kommen derzeit noch viel weniger Leute als vor der Pandemie; aber wir spüren, wie wichtig es für sie ist, dass sie sich begegnen können und gemeinsam beten und singen. Und wir sind in Kontakt und im Gebet verbunden mit vielen Menschen in vielen Ländern, die so viel durch die Pandemie gelitten haben.
Frage: Dieser Tage stehen die 100. Geburtstage von gleich drei ersten Brüdern an, die sich Frere Roger angeschlossen haben. Werden Sie die in besonderer Weise begehen?
Frere Alois: Wir machen keine besondere Feier – aber über das ganze Jahr ist das ein wichtiges Gedächtnismoment für uns. Diese drei stehen für drei komplementäre Grundlinien unseres Lebens in Taize; Anliegen von Frere Roger, die diese drei Männer konkret mit umgesetzt haben. Sie waren ganz wichtige Weggefährten für den Anfang.
Frage: Fangen wir mit Daniel de Montmollin an, der am 27. August 100 Jahre alt wird.
Frere Alois: Die drei waren alle junge Studenten, 21 Jahre alt, als sie sich während des Zweiten Weltkriegs Frere Roger in Genf anschlossen. Daniel hat später in Taize die Töpferwerkstatt aufgebaut, die bis heute wesentlich zu unserem Lebensunterhalt beiträgt. Für Frere Roger war es ganz wichtig, dass wir als Brüder nicht von Spenden leben, sondern dass wir unseren Lebensunterhalt selbst verdienen. Daniel lebt seit einiger Zeit nicht mehr in unserer Kommunität, sondern zurückgezogen, wobei immer ein Bruder bei ihm ist.
Frage: Frere Max Thurian steht für eine andere Grundlinie von Taize. Er ist ja einen sehr ungewöhnlichen geistlichen Weg gegangen.
Frere Alois: Er war schon als junger Theologe leidenschaftlich engagiert für die liturgische Arbeit, für die Sakramente, für eine Erneuerung des Protestantismus, der auch offen ist für die anderen Konfessionen, besonders für die katholische Kirche.
Frage: Welche Erinnerungen haben Sie an Frere Max?
Frere Alois: Er hat uns junge Brüder damals unterrichtet. Ich war erstaunt über seine Fähigkeit, komplizierte theologische Fragen auf den Punkt zu bringen und uns eine Leidenschaft zu vermitteln für die Theologie, besonders für Liturgie und Sakramente. Eucharistie als Gedächtnisfeier, aber Gedächtnisfeier im tiefen biblischen Sinn: Das war einerseits protestantisch sehr stark und anderseits auch eine katholische Vertiefung des Gedächtnisgedankens. Auch hat er uns immer mitgeteilt, was in seiner Arbeit beim Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf anstand, wo er ganz federführend das Dokument über Taufe, Eucharistie und Dienstamt in der Kirche mitgetragen hat. Frere Max hat, auch in mir, immer diese theologische Neugier wachgehalten.
Frage: Nun sind Sie ja selbst katholisch. Hat Sie damals irritiert, dass einer der Mitbegründer von Taize zur katholischen Kirche übergetreten ist und sich zum Priester weihen ließ?
Frere Alois: Das war natürlich ein überraschender Schritt, für uns und auch für Frere Roger. Aber wir haben gespürt und akzeptiert, dass Frere Max ein konfessionsübergreifendes Verständnis von Liturgie und Dienstamt in der Kirche hatte. Und auch mir als Katholik hat er geholfen, meine Herkunft hinsichtlich Eucharistie und Liturgie tiefer zu verstehen. Besonders wichtig war seine Bezugnahme auf die Alte Kirche, die Kontinuität mit den Kirchenvätern des ersten Jahrtausends. Für die Ökumene hat das Türen geöffnet. Wir müssen auf die Theologie der Alten Kirche zurückgreifen – natürlich ohne die Entwicklungen seither überspringen zu wollen.
Frage: Und Frere Pierre? Auch er hatte eine ziemlich spannende Vita und starb 1998 in Niger.
Frere Alois: Ja, Pierre Souvairan war ganz anders, aber komplementär. Er hatte Agrarwissenschaften studiert und hier in Taize die Landwirtschaft mit aufgebaut. Er ist dann in eine nahe gelegene Stadt gegangen, nach Montceau-les-Mines, um dort in einer Fabrik zu arbeiten. So entstand eine kleine erste Fraternität; einige Brüder, die das Leben in der Arbeitswelt teilten und sich stark in der Gewerkschaft engagierten; also mitten in der Welt und mitten in der Kirche. Frere Pierre ging später nach Marseille, um dort in einem Armenviertel mitzuleben, und in den späten 60er Jahren dann nach Afrika, in den Niger. Damals war ja ein wichtiges kirchliches Schlagwort "Entwicklung als Name für Frieden". Das wollten die Brüder dort leben.
Frage: Frere Pierre hat in Niger unter anderem mehr als 300 Vogelstimmen aufgezeichnet.
Frere Alois: Er war Ornithologe und hat schon hier in Taize Vögel beringt, die aus Afrika kamen. In Afrika hat er vor allem in der Entwicklungsarbeit geholfen, Brunnen gegraben und eine landwirtschaftliche Kooperative aufgebaut. Diese ganz einfachen, konkreten Arbeiten hat er bis zum Lebensende durchgehalten.
Frage: Wie hielt er den Kontakt nach Taize?
Frere Alois: Er kam regelmäßig hierher zurück. Aber in den ersten Jahren, als die Brüder nach Afrika, Asien und Lateinamerika gingen, kamen sie nur alle drei Jahre zurück; denn mit dem Schiff dauerte die Fahrt lange und war kompliziert. So war es immer ein Ereignis, wenn Frere Pierre kam. Er hat uns dann von seinem Leben dort erzählt; das war sehr beeindruckend und hat bei uns auch eine Leidenschaft geweckt für dieses Leben "mitten in der Welt". Frere Pierre hat in Afrika sehr einfach gelebt, zum Schluss allein. Von den Brüdern, die im Senegal leben, ist einer zu seinem Begräbnis in den Niger gereist. Pierre ist dort auch begraben, in afrikanischer Erde.
Frage: Die Gemeinschaft hat heute diverse Außenposten, in Übersee und seit einiger Zeit auch in der Pariser Vorstadt.
Frere Alois: Wir haben uns immer gefragt: Wie können wir zu mehr Solidarität zwischen den Menschen beitragen und die Ungleichheit zwischen Arm und Reich nicht einfach hinnehmen? Es gibt noch zu wenig partnerschaftliches Denken und zu viel Paternalismus. Das Erbe von Ausbeutung und Unterdrückung lastet noch immer auf uns. Wir Brüder haben keine einfachen Antworten auf die großen Fragen der Menschheit, aber wir wissen: Wenn wir nicht in Berührung kommen mit den schwierigen Situationen, werden wir auch keine Antworten finden. Seit einigen Jahren leben Brüder auf Kuba, das sehr isoliert ist und darunter stark leidet. Mit diesem Land in Berührung zu kommen und die Situationen dort besser zu verstehen, das ist uns wichtig.
Frage: Gilt das auch für Europa?
Frere Alois: Ja. Auch hier gibt es Armut, gesellschaftliche Spaltungen, die sich vertiefen. Es gibt Menschen, die in Paris leben, aber nie in Seine-Saint-Denis waren, gleich nebenan, dem jüngsten und ärmsten Departement in Frankreich. Wir waren erstaunt, als uns der Bischof von Saint-Denis plötzlich fragte, ob wir nicht kommen könnten, um einen Ort des Betens und Zuhörens zu schaffen. Wir haben spontan Ja gesagt - und so sind seit einem halben Jahr Brüder dort. Sie müssen noch herausfinden, was wir dort ausrichten können. Das muss sich vor Ort herausstellen. Aber wir wissen, es ist wichtig, da zu sein in dieser schwierigen sozialen Situation.