Standpunkt

Der Fall Latzel: Volksverhetzung "von der Bibel gedeckt"?

Veröffentlicht am 03.09.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Im Fall Olaf Latzel lässt das Gericht nun prüfen, ob dessen Aussagen zu Homosexualität von der Bibel gedeckt sind. Agathe Lukassek hält das für seltsam. Denn dafür solle die Heilige Schrift nicht herhalten – und sie könne es auch gar nicht.

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Bei manchen seltsamen Entscheidungen hätte ich gerne Mäuschen gespielt. Zum Beispiel diese Woche am Landgericht Bremen, das im Berufungsverfahren um den evangelischen Pastor Olaf Latzel ein theologisches Gutachten in Auftrag gegeben hat. Dieser war zuvor vom Bremer Amtsgericht wegen Volksverhetzung verurteilt worden, weil er laut der Vorsitzende Richterin in einem sogenannten Eheseminar Ende 2019 zum Hass gegen Homosexuelle aufgestachelt hatte. Nun teilte ein Sprecher des Landgerichts dem Evangelischen Pressedienst mit, dass Latzels Äußerungen im Sinne der Religionsfreiheit möglicherweise höher einzuschätzen seien, wenn seine Aussagen "noch von der Bibel gedeckt werden". Latzel gehört der Bremischen Evangelischen Kirche an, der Gutachter ist jedoch Professor an einer Hochschule evangelikaler Prägung.

Meine erste Frage: Können die beim Landgericht nicht googeln? Viele nichtreligiöse Menschen haben im Hinterkopf, dass es bei den christlichen Kirchen unterschiedliche Bewertungen zur Homosexualität gibt, der Rest findet das nach einer kurzen Recherche heraus und sollte fähig sein, die passende theologische Fakultät rauszusuchen.

Zweite Frage: Was soll die Bibel denn alles abdecken? Sie fasst Glaubenserfahrungen von Menschen vor 2.000 und mehr Jahren zusammen. Latzel sprach unter anderem von "Verbrechern vom Christopher Street Day" (CSD), der LGBTIQ-Community als "Gender-Dreck" und Homosexualität als "Degenerationsform von Gesellschaft". Den CSD gibt es erst seit einem halben Jahrhundert, von homosexuellen Partnerschaften spricht man seit Beginn des 19. Jahrhunderts. Wer die Bibel aufmerksam liest und den Kontext beachtet, wird wie Theologin Ilse Müllner feststellen, dass es in den gerne zitierten Versen nicht um eine Verurteilung von gleichgeschlechtlichen Liebesbeziehungen geht.

Dritte Frage: Warum sollte die theologische Bewertung von Homosexualität eine Rolle spielen bei der Frage, ob die Aussagen den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen oder nicht? So gedacht könnten christlich getaufte Antisemiten sich auf die Bibel (Joh 8) berufen, wenn sie Juden als Lügner verunglimpfen und vieles weitere mehr. Zu Recht kritisieren der Kirchenrechtler Hans Michael Heinig und der Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler das Vorgehen des Landgerichts als befremdlich. Ich war nicht Mäuschen und kenne die Abläufe nicht. Wie es weiter geht, werde ich gespannt verfolgen.

Von Agathe Lukassek

Die Autorin

Agathe Lukassek ist Leiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Hildegardis-Verein mit Sitz in Bonn.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.