Ein Satz als Dynamit: "Regensburger Rede" Benedikts XVI. vor 15 Jahren
Seit Tagen bereist Benedikt XVI. seine bayerische Heimat, stürmisch gefeiert von den Bayern. Am 12. September 2006 steht Regensburg auf dem Programm, wo Joseph Ratzinger 30 Jahre zuvor seine akademische Karriere als Dogmatik-Professor beendete. Noch einmal will er hier eine Vorlesung halten. Der Papst wirkt glücklich. Dass seine "Regensburger Rede" zwei Tage später Schockwellen in der islamischen Welt auslösen wird, erwartet in der alten Bischofsstadt niemand.
"Glaube, Vernunft und Universität" heißt sein Thema. Wie üblich arbeitet Benedikt dabei mit Quellen und zitiert aus dem Disput eines byzantinischen Kaisers mit einem Muslim: "Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten." Nur ein Zitat aus dem Mund eines mittelalterlichen Monarchen. Doch der Satz wird durch die Zuspitzung ausländischer Medien zu Dynamit.
Morddrohung durch Al-Kaida
48 Stunden später ist die islamische Welt in Aufruhr. Die Türkei verlangt eine Entschuldigung; das geistliche Oberhaupt des Iran, Ayatollah Ali Khamenei, nennt die Papstrede "das letzte Glied eines Komplotts für einen Kreuzzug"; in Pakistan entbrennen wütende Straßenproteste; die Terrorgruppe Al-Kaida verbreitet eine Morddrohung gegen den Papst und in Mogadischu wird eine italienische Ordensschwester erschossen.
Hektisch versucht die Vatikandiplomatie zu beschwichtigen. Selbst innerhalb der Kirche gibt es Kritik, der Papst habe es an Feingefühl fehlen lassen und ungeschickt agiert. Der geplante Türkei-Besuch zweieinhalb Monate später steht fast auf der Kippe. Er wird Benedikts schwierigste Reise. Die Sicherheitsvorkehrungen in Istanbul sind höher als zur Visite des US-Präsidenten. Doch dem Papst gelingt der Brückenschlag: Das Foto, auf dem er in der Blauen Moschee Seite an Seite mit dem Imam vor der Gebetsnische verharrt, geht um die Welt. Ob das Kirchenoberhaupt dabei tatsächlich mit dem Gesicht gen Mekka gebetet hat, interessiert hinterher nur die Spezialisten.
Eigentlich ging es dem Papst in Regensburg gar nicht um das Thema Gewalt und Islam. Er wollte darstellen, dass Glaube und Gewalt sich generell ausschließen, Glaube und Vernunft aber nicht. Und dass Religionen im 21. Jahrhundert nur im friedlichen Dialog miteinander leben können und auf jede Militanz verzichten sollten. Weil nämlich, so der von Benedikt zitierte Byzantiner, "vernünftige Seelen" nur durch "gute Rede" und "rechtes Denken" überzeugt werden könnten und Gott "kein Gefallen am Blut" habe.
Man kann darüber streiten, ob Benedikt XVI. geschickt vorging, indem er all dies ausgerechnet am Beispiel des Islam festmachte. Für die Kritik an gewaltsamer Ausbreitung hätte er auch in der christlichen Geschichte reichlich Quellen gefunden. Oder wollte er vielleicht doch ganz bewusst die Debatte über die Gewaltfrage im Islam vorantreiben, fast auf den Tag genau fünf Jahre nach den Anschlägen des 11. September? Dann wäre ihm das gelungen, denn letztlich befruchtete die "Regensburger Rede" das Gespräch zwischen beiden Religionen fulminant.
Auch besonnene Stimmen
Schon auf dem Höhepunkt der Krise hatte es auch besonnene Stimmen von Muslimen gegeben. Im Oktober 2006 erschien ein offener Brief, unterzeichnet von 38 Islamgelehrten, die einen "ehrlichen Dialog" anregten. Ein Jahr später folgte das Schreiben "Ein gemeinsames Wort zwischen Uns und Euch" an die christlichen Glaubensgemeinschaften. Diesmal unterschrieben 138 Gelehrte und luden zum Austausch über Gemeinsamkeiten ein – allerdings war darunter kein Repräsentant der wichtigen Kairoer Al-Azhar-Universität. Sie legte ihre Gespräche mit dem Vatikan 2011 sogar auf Eis, nachdem Benedikt XVI. fehlende Religionsfreiheit in Ägypten beklagt hatte.
Politisch hat sich die Kluft zwischen islamischer Welt und dem Westen im folgenden Jahrzehnt mit seinen Gräueln vertieft. Doch die Tiefenströmung des Dialogs blieb, und Papst Franziskus knüpfte daran an. Vorläufiger Höhepunkt wurde sein Treffen mit dem Großimam der Al-Azhar in Abu Dhabi, wo beide im Februar 2019 das "Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen" unterzeichneten.