Zweimal Petersdom, bitte: Rauf auf die Kuppel – runter ans Grab!
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Auf die mächtige Kuppel des Petersdoms schicke ich niemanden wegen des Ausblicks oder weil es ein umwerfend religiöses Erlebnis wäre (ist es nicht). Sondern weil ich keinen anderen Ort kenne, an dem Architektur so körperlich erfahrbar wird. Bloß anschauen wie im Museum kann man hier nichts, im Gegenteil: Kopf und Rücken verbiegt man sich nach den Bauplänen von Michelangelo und Della Porta auf dieser steilen engen Treppe, die der Kuppelform folgt. Doch der Reihe nach.
Die Sache mit dem Petersdom-Kuppel-Lift sollte man vorher wissen. Er bringt einen nicht einmal auf halbe Höhe. Rund 200 Stufen erspart der Aufzug, doch 350 stehen dann noch bevor, darunter die steilsten, engsten und eigentümlichsten. Für die Liftbenutzung zahlt man etwas mehr, doch auch der Aufstieg zu Fuß über eine erste, komfortable Wendeltreppe ist nicht gratis. Beide Wege führen zur selben Zwischenetappe unter freiem Himmel, nämlich auf das unvermutet flache Dach der Basilika, aus dem die Nebenkuppeln des Petersdoms wachsen wie Stein und Glas gewordene Baumstämme.
Das Flachdach sehen wir später ein zweites Mal. Jetzt aber geht es von hier aus wieder in einen Innenraum – und was für einen: den der großen Kuppel des Petersdoms. Wenige Schritte, schon stehen wir unter der gewaltigen Wölbung. Nach oben zur Mitte hin strebt die elegante, grafische Dekoration, die – wie übrigens jedes Bildwerk in der Vatikan-Basilika – ein Mosaik ist. Durch die Maschen eines mannshohen Gitters kann man auch nach unten fotografieren. Was für eine Perspektive! Da ist tief unten Berninis Bronze-Baldachin, der sich über den Papstaltar spannt. Klein wie Käfer die Menschen drumherum. Licht und Farbe stehen in gutem Verhältnis in diesem Innenraum, das Gold strahlt, ohne zu gleißen, nichts bleibt im Dunkeln, Klänge dringen angenehm gedämpft ins Rund der Höhe.
Nun kann der eigentliche Aufstieg in der Kuppel beginnen. Michelangelo hat sie als Doppelkalotte angelegt. Das heißt, wir haben es zu tun mit zwei nach oben weisenden, ineinander liegenden Schalen, die eine außen, die andere innen. Zwischen diesen beiden Schalen verläuft die Treppe. Genauer gesagt: die beiden Treppen, auf der einen geht es im steilen Gänsemarsch nach oben, auf der anderen ebenso nach unten, Gegenverkehr ist also wenigstens keiner vorgesehen, sonst müsste der Vatikan in Pandemiezeiten die Kuppel sperren. Je höher wir steigen auf diesen glänzend abgewetzten, engen und immer enger werdenden Stufen, desto mehr zwingt uns die Architektur in ihre Form. Wir müssen uns körperlich anpassen, den Kopf einziehen, uns neigen und nach innen legen. Eine Schule für Orientierung und Gleichgewichtssinn. Verzerrung ist nicht bloß auf dem Selfie, nein, die merkwürdigen Winkel sind materiell so gebaut. Es ist eng, stehenbleiben gilt nicht, dafür sind zu viele hinter uns unterwegs, und wir spüren Herz und Muskeln arbeiten. Der Trip in die Höhe des Petersdoms ist im physischen Sinn eine Eroberung, die oben nicht endet. Eine Erfahrung, die sich nachdrücklich in Körper und Geist einprägt.
Die letzten Meter des Aufstiegs führen über eine unvorstellbar enge und steile Wendeltreppe. Für einen Handlauf ist kein Platz, dafür baumelt in der Mitte ein speckiges Seil zum Festhalten, die meisten nutzen es. Dann endlich tritt man wieder ins Freie, auf den rundum laufenden Wandelgang an der Spitze der Kuppel. Er ist schmal, denn in der Mitte des Baukörpers setzt die – für Besucher nicht zugängliche – Laterne an, die das Tageslicht ins Innere der Kuppel lässt. Von hier aus wird uns eine der erhebenden Aussichten gewährt, die Rom zu bieten hat. Der Blick fliegt über den Rücken der Basilika ins Oval des Petersplatzes mit seiner Krone aus Heiligenfiguren, und weiter über Kuppeln und Dächer der Stadt. Im Norden die langgliedrigen Flügel der Vatikanischen Museen, im Süden der Gianicolo-Hügel mit seinen Schirmpinien, im Westen die Gärten der Päpste, sattgrün und voller Historie.
Kaffeepause mit Apostelblick
Beim Abstieg lädt das Flachdach, das wir schon kennen, zum Verweilen ein. Kaum zu glauben, aber dort gibt es eine Kaffeebar. Auf dem Dach des Petersdoms können wir uns mit recht anständigem Kaffee zu moderatem Preis stärken. Und nebenan im Souvenirshop Postkarten erwerben und sie einem sattgelben vatikanischen Briefkasten anvertrauen. Kurios ist der Blick von hinten auf die Statuen der Apostel plus Christus, die die Fassade der Basilika bekrönen. Man sieht die grobe Körnung im Travertin und die verschobenen Proportionen: Diese Statuen sind für den Blick vom Petersplatz gemeißelt und erwarten keine Betrachter auf Hüfthöhe von hinten.
Michelangelo und die übrigen Baumeister des Petersdoms haben, ebenso wie die Päpste der Renaissance, den Aufstieg zur Kuppel ganz gewiss nicht als Besuchsprogramm gedacht. Und doch ergänzt die Ochsentour in die Höhe das opulente Bild in der Mitte, das die klassische Besichtigung des Petersdoms ermöglicht, und die Empfindung des demütigen Anfangs, die sich beim Besuch am Petrusgrab im Friedhof ganz unten einstellt. Drei Ebenen ein und desselben christlichen Bauwerks. Die Vielschichtigkeit dieser Kirche und das wahrhaft Körperliche daran erschließt sich dann am besten, wenn man sie von unten wie von oben angeht.
Ein PS. der praktischen Art: Es empfiehlt sich, auf die Kuppel zu steigen, bevor man in die Basilika geht. Dort nämlich landet man beim Rückweg von der Kuppel automatisch – und ohne Schlangestehen.
Kolumne "Römische Notizen"
In der Kolumne "Römische Notizen" berichtet die "Vatikan News"-Redakteurin Gudrun Sailer aus ihrem Alltag in Rom und dem Vatikan.