Betroffenenbeirat: Verfahren zur Anerkennung des Leids ändern
Vor der Herbstvollversammlung der katholischen deutschen Bischöfe ab Montag in Fulda fordert der Betroffenenbeirat der Bischofskonferenz, das bisherige Verfahren zur Anerkennung des Leids von Opfern sexualisierter Gewalt zu stoppen und zu reformieren. Dieses führe zu zahlreichen Retraumatisierungen bis hin zu Krankenhausaufenthalten, gehe zu langsam und sei intransparent und ungerecht, schreibt der Beirat in einem Brief, über den die Zeitschrift "Publik-Forum" am Sonntag berichtete.
Die Bischofskonferenz erklärte dazu auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), das Thema Aufklärung und Aufarbeitung sei ein umfassender Tagesordnungspunkt der Vollversammlung. Dort werde auch der Brief entsprechend erörtert, betonte Sprecher Matthias Kopp: "Wir verstehen, dass die Bearbeitungsdauer problematisiert wird. Deshalb haben wir bereits mehrere Maßnahmen ergriffen, damit hier eine Verbesserung eintritt. Wir gehen davon aus, dass diese jetzt im Herbst spürbar werden."
Der Brief des Beirats war am 19. August an alle 27 Diözesanbischöfe und die Generalsekretärin der Bischofskonferenz, Beate Gilles, gegangen. Die Zeitschrift zitiert daraus unter anderem wie folgt: "Durch die Bescheide wurde bereits eine erhebliche Zahl von Retraumatisierungen mit den entsprechenden Folgen bis hin zu stationären Unterbringungen in psychiatrischen Kliniken verursacht." Das Anerkennungssystem lasse "in erheblichem Maße Transparenz und damit Nachvollziehbarkeit vermissen".
"Unmissverständlich und unangemessen gering"
Viele Bescheide über Anerkennungszahlungen fielen zudem "für die Beteiligten unverständlich und unangemessen gering" aus. Das Ziel, Verantwortung "durch eine angemessene materielle Anerkennung des Leids zu übernehmen", werde durch das derzeit bestehende System "konterkariert."
„Durch die Bescheide wurde bereits eine erhebliche Zahl von Retraumatisierungen mit den entsprechenden Folgen bis hin zu stationären Unterbringungen in psychiatrischen Kliniken verursacht.“
Das aktuelle Anerkennungsverfahren läuft seit Jahresbeginn. Auf der Herbstversammlung vor einem Jahr in Fulda hatten sich die Bischöfe auf deutlich höhere Anerkennungsleistungen geeinigt. Bis dahin hatte die Bischofskonferenz in der Regel bis zu 5.000 Euro pro Fall empfohlen. Über die neuen Beträge entscheidet nun die Unabhängige Kommission UKA, ein Gremium aus externen Fachleuten, das unabhängig von den Bischöfen arbeitet. Es soll sich an Schmerzensgeld-Urteilen staatlicher Gerichte orientieren, was auf Summen bis zu 50.000 Euro hinauslaufen könnte.
Im August gab die UKA bekannt, sie habe von bis dahin 1.287 eingegangenen Anträgen 240 bearbeitet. Zudem ging die neue Internetseite online. Unter www.anerkennung-kirche.de finden Betroffene sexualisierter Gewalt und andere Interessierte Informationen zu den Mitgliedern der UKA, zum Verfahren zur Anerkennung des Leids sowie zu aktuellen Zahlen.
Widerspruch unmöglich
In dem Brief an die Bischöfe listet der Betroffenenbeirat weitere Kritikpunkte auf: Die Ansprechpersonen in den Bistümern seien manchmal abhängig von der Kirche. Es sei unklar, ob beim Antrag "direkte Traumafolgen und weitere Langzeitfolgen zu dokumentieren und gutachterlich zu belegen" seien. Die Entscheide würden nicht individuell begründet, Widerspruch sei unmöglich.
"Manchmal bekommen Betroffene nur wenig mehr Geld als beim ersten Verfahren", sagte Beiratsmitglied Jens Windel aus Hildesheim zu "Publik-Forum". Er plädierte für ein Stufenmodell, ein einfacheres Verfahren und für mehr Geld für die Betroffenen. Die Summe müsse "das erfahrene Leid widerspiegeln", alles andere sei "eine Bagatellisierung des Verbrechens". (KNA)