Vom Juristen zum Beichtvater: Das Leben des Alfons Maria von Liguori
Ein junger Rechtsanwalt gerät in eine Krise, als er zum ersten Mal in seiner bisher glänzenden Karriere einen wichtigen Prozess verloren hat. Beim Krankenbesuch im Spital glaubt der Adelige, eine innere Stimme zu hören: "Lass die Welt, und schenk dich mir!" Es war die Stimme des Gewissens, die Stimme Gottes, die Alfons Maria von Liguori – ein glühender Verfechter nicht nur des Rechtes, sondern auch der Wahrheit – zu vernehmen meinte. Jeden anderen Advokaten hätte ein verlorener Prozess nicht aus der Bahn geworfen, zumal das Verfahren in Berufung revidiert wurde. Liguori war aus anderem Holz geschnitzt.
Am 29. August 1723 legte der spätere Gründer der Redemptoristen auf dem Altar der Kirche S. Maria della Mercede in Neapel seinen Degen nieder, um den Adelsstand aufzugeben und sich fortan einem geistlichen Leben zu widmen. Von da an hat er vor allem den Tag seiner Erweckung und Wiedergeburt in der Gnade Gottes, jenen Augustsonntag, gefeiert: nach dunklen Jahren innerer Zerrissenheit, die er schlicht das "Chaos" nannte.
Blitzkarriere des "Don Alfonso"
Alfons von Liguori wurde vor 325 Jahren, am 27. September 1696, in Marianella bei Neapel geboren. Er war der erstgeborene Sohn, auf den der ehrgeizige Vater, ein Admiral, große Hoffnungen setzte. Der Adelsspross war reich begabt: Alfonso hatte einen komplexen Charakter, in dem sich die Empfindsamkeit des Künstlers mit klarem Verstand paarte. "Don Alfonso" machte Blitzkarriere. Mit 16 Jahren beendete er sein Studium. Der Doktor der Rechte war bald ein gefragter Anwalt.
Der Jurist spielte täglich Klavier und besuchte oft das Theater. Und er wurde selber künstlerisch produktiv: Er schrieb, dichtete, komponierte, sang, malte. Als Priester schuf er Werke, die Berühmtheit erlangten. Von Liguori rühren an die 50 geistlichen Lieder. "Tu scendi dalle stelle" (Du steigst von den Sternen) ist heute Italiens beliebtestes Weihnachtslied – ein Lobgesang auf die Menschenliebe Gottes, der seine himmlische Herrlichkeit verließ, um Mensch und Erlöser zu werden.
Bereits in seiner Kindheit gehörte Liguori einer von Oratorianern geleiteten Bruderschaft an, die ihre Mitglieder zum täglichen Besuch der heiligen Messe und zu Liebesdiensten bei Armen und Kranken anhielt. Doch erst sein Erweckungserlebnis gab ihm Mut und Kraft, sich gegen den Willen seines Vaters, der schon Heiratspläne für seinen Sohn schmiedete, für seine geistliche Berufung zu entscheiden.
Zum Priester geweiht, zog der charismatische Redner die Menschen von der Kanzel ebenso in Bann wie vorher im Gericht. Zum Ärger seiner Familie widmete er sich sozialen Randgruppen. Liguori begann, Menschen, die den Weg in die Kirchen nicht mehr fanden, auf der Straße zu predigen. Als "Sekte" denunziert, verlegte er seine Initiative in geweihte Räume, zu denen auch ein Friseurladen werden konnte. Die Sozialarbeit in den Armenvierteln der Kutscher, Taglöhner und Prostituierten wurde ein Selbstläufer.
Seine Sorge galt jetzt den "verlassensten Seelen", die er bei den pastoral vernachlässigten Landarbeitern und Hirten im Gebirge fand. Am 9. November 1732 gründete Liguori in Scala bei Amalfi schließlich eine neue Priestergemeinschaft, aus der dann der Redemptoristenorden hervorging. Er sollte die Tugenden Jesu Christi vorleben und im Alltag umsetzen.
Seelsorgerlicher Mittelweg zwischen Laxismus und Rigorismus
Bei seiner Arbeit ließ sich der Ordensgründer von konkreten praktischen Erfordernissen und Notwendigkeiten leiten. Über die Seelsorgeform der Volksmissionen sollte den Menschen die Liebe des Erlösers nahegebracht werden. Don Alfonso versuchte einen Mittelweg zwischen Laxismus und Rigorismus, zwischen Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, menschlicher Willensfreiheit und Gesetz. Es waren die im Beichtstuhl und bei Volksmissionen gemachten Erfahrungen, die Liguori dazu bewegen sollten, mit dem im Priesterseminar gelernten Rigorismus zu brechen. So riet der Seelsorger den Beichtvätern ab, "Eheleute über Sünden im Zusammenhang mit der ehelichen Pflicht zu befragen".
Echte Überwindung hat es den "Vater der Armen" gekostet, 1762 das Bischofsamt in Sant' Agata dei Goti anzutreten. Und so behielt er trotz des Amtes und schwindender Gesundheit seine einfache Lebensführung bei. Statt Hof zu halten, öffnete er sein Haus Kindern und Bedürftigen. Auch um Ratsuchende und Notleidende kümmerte sich der Redemptorist persönlich, was ihm große Sympathien der Bevölkerung einbrachte.
Als er 72 Jahre alt war, begann sein Gichtleiden, das ihm zuletzt Wirbelsäule und Körper krümmte. An einen Rollstuhl gefesselt, verdoppelte er seine Anstrengungen, mit moraltheologischen und erbaulichen Schriften seine Volksmission fortzusetzen; 111 geistliche Bücher hat er verfasst. Und Alfons von Liguori konnte noch erleben, dass die ersten Nichtitaliener wie der heilige Klemens Maria Hofbauer die Anliegen des Redemptoristenordens auch nördlich der Alpen verbreiteten. Am 1. August 1787 starb er hoch betagt im Alter von fast 92 Jahren im Kloster Pagani bei Neapel. 1839 wurde der Kirchenlehrer und Ordensgründer heiliggesprochen.