Steyler Anbetungsschwestern verlassen Hauptstadt nach mehr als 80 Jahren

Ewiges Gebet hinter Gittern: Die "Rosa Schwestern" in Berlin

Veröffentlicht am 12.10.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Nach über 80 Jahren verlassen die "Rosa Schwestern" Berlin – wegen Nachwuchsmangel. Mit ihnen verschwindet eine eindrucksvolle, stille spirituelle Tradition aus der lauten Hauptstadt. Ein Abschiedsbesuch bei den Steyler Anbetungsschwestern im Kloster St. Gabriel.

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Es ist auf eine besondere Weise still in dem kleinen Zimmer, man fragt sich nur, auf welche Weise besonders. Wahrscheinlich ist es der Kontrast: Drumherum ist das gutbürgerliche Berliner Westend, nur ein paar Minuten mit der nahen U-Bahn und man steht in Berlin-Neu-Westend, umgeben von Lärm, Trubel und Millionen Berlinern und Touristen. Die Stille ist ungewohnt in der deutschen Hauptstadt. Es ist die Stille des Klosters St. Gabriel der Steyler Anbetungsschwestern. Es ist ein Abschiedsbesuch – bald ziehen die elf Schwestern aus Berlin weg, Nachwuchsmangel.

Dieser Klosterbesuch ist nicht wie andere – denn ein "Besuch" im engeren Sinne ist es nicht. Von außen rein in das Kloster kommt nämlich niemand. Es gibt lediglich kleine Sprechzimmer, deren bestimmendes Merkmal das Gitter ist. Auf der einen Seite die Schwester, auf der anderen Seite der Besuch von draußen.

Die Steyler Anbetungsschwester sind eine der Gründungen des Missionars Arnold Janssen, der, gebürtig vom Niederrhein, wegen des Kulturkampfes lieber in den benachbarten Niederlanden 1875 das Missionshaus St. Michael gründete. Dort in Steyl entstanden auch die Missionsschwestern, die "Dienerinnen des Heiligen Geistes von der Ewigen Anbetung". Sie leben in dauerhafter Klausur, auf den ersten Blick völlig abgeschottet von der Außenwelt. Sie haben keine Ferien, nicht einmal beim Tod der Eltern verlassen sie ihr Kloster. Die Gelegenheiten, an denen sie außerhalb der Klostermauern anzutreffen sind, lassen sich an einer Hand abzählen. Krankenhausaufenthalte und Papstbesuche etwa, auch die Corona-Impfung gehört dazu.

"Wir bekommen mehr mit als man so denkt"

Auf der anderen Seite des Gitters öffnet sich nun eine Tür und Schwester Maria Mechthildis nimmt in ihrer ruhigen, besonnenen, in sich ruhenden Art auf einem Stuhl Platz. Auffällig ist die Gewandung der Schwestern, sie ist in zartem rosa gehalten. Das hat ihnen den Beinamen "Rosa Schwestern" eingetragen.

Einmal Platz genommen, räumt die 84-jährige Oberin des Berliner Klosters erstmal mit einigen Vorurteilen auf: "Wir kriegen hier die Zeitung und jeden Tag hört eine Schwester die Radionachrichten und berichtet den anderen dann. Wir bekommen mehr mit als man so denkt", schmunzelt sie. Die Beziehung zur Welt ist hier etwas anders.

Bild: ©katholisch.de/cph

In der Kirche wird rund um die Uhr gebetet.

Der Schwerpunkt der "Rosa Schwestern" ist die Eucharistische Anbetung – Tag und Nacht. Weil der Bestand immer weiter schrumpft, füllen mittlerweile Freiwillige die Lücken im Gebetsplan aus, das Prinzip bleibt das gleiche: 24 Stunden sieben Tage die Woche ist jemand in der Klosterkirche und betet. Für Anliegen in der Welt, etwa für die Menschen in Afghanistan oder anderen Krisen- und Kriegsgebieten. Aber auch für ganz persönliche Anliegen, die den Schwestern manchmal per Telefon, aber vor allem per Brief zugetragen werden. Da berichten Menschen von schwierigen Entscheidungen, die sie treffen müssen, Schicksalsschlägen oder Eheproblemen – und wenden sich damit an die Schwestern. Aus Berlin und darüber hinaus. "Manche Familien halten schon über Generationen mit uns Kontakt", erzählt Maria Mechthildis.

Alles mit ins Gebet nehmen

All dies nehmen die Schwestern mit ins Gebet. Vorgeschriebene Gebete gibt es seit einigen Jahrzehnten nicht mehr, jede Schwester darf die Zeit nach eigenem Gefühl ausfüllen. Manche beten den Rosenkranz, andere singen. Die Oberin bevorzugt die stille Meditation. "Man braucht manchmal keine oder nur wenige Worte. Ich nehme alle Anliegen, Bitten und Probleme in mich auf und gehe damit zu Gott", sagt sie. Allein bewusst an die Menschen in der Welt und ihre Bedürfnisse zu denken, sei schon Gebet. "Der Herr schaut mich an und ich schaue ihn an."

Daher erklärt sich auch die selbstgewählte Isolation der Kommunität. "Durch die Klausur haben wir mehr Innerlichkeit, können uns besser auf die Gebete konzentrieren und haben weniger Ablenkung." Wenn man auf diese Weise glücklich und zufrieden sei, vermisse man das Leben draußen nicht, sagt sie – und gesteht freimütig, dass sie das Leben "draußen" nicht vermisst. Sie ist sich aber auch bewusst, dass diese Lebensform nicht für jeden etwas ist. Mit den Nachwuchssorgen ist man in Berlin nicht allein, selbst das Mutterhaus in Steyl ist knapp besetzt. Einige der Berliner Schwestern werden es zukünftig verstärken. Dennoch: Bislang wurden die strengen Regeln bei den alle acht Jahre stattfindenden Generalkapiteln des Ordens immer beibehalten.

Bild: ©katholisch.de/cph

Das Anbetungskloster St. Gabriel im Berliner Westend.

In Berlin sind die Schwestern seit 1934. Bis 1937 entstanden die Klostergebäude, die heute unter Denkmalschutz stehen. Eine zurückhaltende und dennoch symbolhafte Formensprache prägt sie. "Venite adoremus Jesum" steht über der Kirchentür, "Kommt, lasst uns Jesus anbeten". Die dunkelrot verblendeten Mauern sind das Zuhause der "Rosa Schwestern" geworden – auch in schweren Zeiten, die bald nach Erbauung des Klosters kamen. Selbst im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs und der Unsicherheit über die Zukunft nach dem Krieg blieben sie in Berlin. Maria Mechthildis weiß von mittlerweile verstorbenen Mitschwestern noch Geschichten zu erzählen von Gebeten im Keller, während oben der Krieg herrschte – und wie das Kloster nur durch einen Zufall der Zerstörung und die Schwestern dem sicheren Tod entkamen.

Stellvertretendes Gebet

Die Hauptstadt war eine bewusste Wahl des Ordens: In einer religionsfernen, von Vielfalt und Geschäftigkeit geprägten Stadt sehen sich die Schwestern auch als stellvertretende Beterinnen: "Viele hier haben nicht die Zeit oder nicht die Lust zu beten. Stellvertretend für sie will ich still verborgen Leben und Gottes Segen auf sie herabrufen", beschreibt es Maria Mechthildis.

Das Leben im Orden ist über die Jahre weitgehend gleich geblieben, wenn die Gemeinschaft auch kleiner und internationaler geworden ist. Mittlerweile leben hier auch Schwestern aus Polen, Brasilien, Argentinien und Indonesien. Die Welt drumherum hat sich seit der Ansiedlung des Ordens in der Hauptstadt extrem verändert. Darin könnte ein Grund für den Rückgang der Berufungen liegen, vermutet sie: Verglichen mit der kargen Nachkriegszeit ist die Fallhöhe zwischen einem wohlgesetzten Dasein in der Stadt voller Möglichkeiten und dem einfachen, stillen Klosterleben größer geworden.

„Wir haben hier mit Liebe alles erhalten und in Ordnung gehalten. Aber wir haben das angenommen, weil darüber viel überlegt und gebetet wurde.“

—  Zitat: Schwester Maria Mechthildis

2016 wurde es wegen Nachwuchsmangel schon einmal eng für das Gabrielskloster, am Ende konnte es aber dennoch erhalten werden. Nun ist endgültig Schluss. Das ist für die Schwestern nicht einfach. "Wir haben hier mit Liebe alles erhalten und in Ordnung gehalten. Aber wir haben das angenommen, weil darüber viel überlegt und gebetet wurde." Was mit den Gebäuden geschieht, weiß die Schwester nicht, das entscheidet die Generaloberin in Steyl. Fest steht nur: Wegen des Denkmalschutzes bleiben sie erhalten.

Etwas Wehmut schwingt mit

Etwas Wehmut schwingt in der Stimme von Schwester Maria Mechthildis mit. Bald ist das ewige Gebet an dieser Stelle nach mehr als 80 Jahren vorbei. Die Schwestern werden auf andere Klöster aufgeteilt, gehen zum Teil zurück in ihre Heimat. Was kann die 84-Jährige den Menschen noch mitgeben? "Man sollte sich Zeit für Stille und Besinnung nehmen, sich in vielerlei Hinsicht weiterbilden. Das tun, was einem guttut, Sinn gibt, aufbaut, das Leben besser macht. Man sollte versuchen, so zu leben, wie man es immer vorhatte."

Leise verlässt die Schwester das Zimmer hinter dem Gitter. Die Stille kehrt zurück. Draußen vor der Tür wartet die Großstadt. Ein letzter Blick ein paar Meter weiter in die Klosterkirche. Eine Schwester in ihrer rosafarbenen Tracht betet, auch hier wieder hinter einem Gitter, das den Raum der Schwestern von den Bänken für die Gemeinde abgrenzt. Zwei Frauen sitzen gerade dort und beten auch. Sie werden gehen, die Schwester wird im Kloster bleiben. Bis das ewige Gebet mit dem Weggang der Schwestern an diesem Ort in naher Zukunft endet.

Von Christoph Paul Hartmann