Caritas-Kandidat Hermes: Offen statt konfessionell-borniert
Am 13. Oktober wählt der Deutsche Caritasverband einen neuen Präsidenten – oder eine neue Präsidentin. Drei Kandidaten stellen sich zur Wahl um die Nachfolge von Prälat Peter Neher, der den Sozialverband seit 2003 leitet. Der Verband steht vor einigen Herausforderungen: Wie können gute Arbeitsbedingungen in der Pflege sichergestellt werden? Wie geht es weiter mit dem kirchlichen Arbeitsrecht? Wie kann die Caritas Digitalisierung so gestalten, dass alle Menschen beteiligt werden? Im Interview mit katholisch.de stellen sich die Kandidaten vor.
Die Interviews
Samstag, 9. Oktober: Christian Hermes
Sonntag, 10. Oktober: Markus Leineweber
Montag, 11. Oktober: Eva Maria Welskop-Deffaa
Zwei von drei Kandidaten sind Laien – Christian Hermes ist der einzige Priester, der die Nachfolge von Prälat Neher antreten will. Der Stadtdekan von Stuttgart war vor seiner Priesterweihe persönlicher Referent der Rottenburg-Stuttgarter Bischöfe Walter Kasper und Gebhard Fürst und ist seit 2011 Dompfarrer der Stuttgarter Konkathedrale St. Eberhard, zudem steht er dem Caritasrat des Caritasverbandes Stuttgart vor. Im Interview plädiert er dafür, in den Wohlfahrtsverbänden nicht nur ökumenisch, sondern auch interkonfessionell zusammenzuarbeiten.
Frage: Als Stadtdekan von Stuttgart gestalten Sie eine vielfältige internationale Kirche. Wie helfen Ihnen diese Erfahrungen, wenn Sie zum Caritas-Präsidenten gewählt werden?
Stadtdekan Christian Hermes: Die Caritas ist ein komplexer, großer und sehr vielfältiger Verband. Da hilft es mir, dass ich jetzt seit über zehn Jahren gemeinsam mit vielen anderen eine ebenfalls sehr vielfältige Stadtkirche mit 18 muttersprachlichen Gemeinden, 42 deutschsprachigen Gemeinden, vielen Verbänden und Trägern durch einen Entwicklungsprozess begleitet habe. Dabei ging es darum, dass wir uns inhaltlich und strukturell neu ausrichten – das steht ja auch beim Caritasverband immer wieder an. Ich bringe also einiges an Kirchenerfahrung mit, an Leitungserfahrung und in der Erfahrung der Begleitung von Entwicklungsprozessen mit vielen Playern.
Frage: Und was sind Ihre Visionen für den Caritasverband?
Hermes: Wenn der Caritasverband nicht schon 125 Jahre alt wäre, dann müsste man ihn jetzt erfinden, und man hätte ihn in jedem der 125 Jahre erfinden müssen. Mich begeistert die Vielfalt – von den Leuten von Caritas international, die unter dem Abzug der US-Armee in Kabul geblieben sind, bis hin zu den vielen Ehren- und Hauptamtlichen in den Einrichtungen, bei denen man geballte Nächstenliebe konkret erleben kann. Da spürt man, dass wir in der Spur des Evangeliums sind. Meine Vision ist es, das Leitwort der Caritas lebendig zu halten: Not sehen und handeln. Ich möchte dazu beitragen, dass in der gegenwärtigen herausfordernden sozial- und gesellschaftspolitischen Situation die Caritas weiter ein starker Player für die Menschen in diesem Land ist.
Frage: Möglicherweise muss das aber auch erst wieder bewusst gemacht werden. In diesem Jahr war die Presse nicht immer gut für die Caritas, wenn man an den von der Arbeitsrechtlichen Kommission abgelehnten Flächentarifvertrag in der Pflege denkt. Wie bewerten Sie das?
Hermes: Zunächst ist das fast das erste Mal, dass die Caritas keine gute Presse hatte, gerade im Gegensatz zur verfassten Kirche. Aber es ist in der Tat so, dass das nicht gut gelaufen ist und auch nicht gut kommuniziert wurde. Die Absicht hinter der Entscheidung war ja eine gute, nämlich nicht durch einen schlechten Flächentarif die Gefahr zu erzeugen, dass die Arbeitsbedingungen unserer Mitarbeitenden nach unten gezogen werden. Das ist kein Widerspruch dazu, dass natürlich alle in der Pflege gute Arbeitsbedingungen brauchen und verbindliche Tarifverträge. Dafür müssen wir als Caritas auch kämpfen.
Frage: Sie stehen also hinter der Entscheidung der arbeitsrechtlichen Kommission?
Hermes: Ich respektiere sie vor allem. Dass die Arbeitsrechtliche Kommission entscheidet, die aus Vertretern von Dienstgebern und Dienstnehmern besteht, ist ein zentraler Bestandteil unseres Dritten Wegs. Wir müssen aber besser darin werden, die Brisanz einer solchen Entscheidung zu erkennen und sie entsprechend zu vermitteln. Leider wurde die Entscheidung für eine sehr holzschnittartige Kampagne gegen uns genutzt.
Frage: Im Zuge dessen wurde auch wieder darüber diskutiert, ob der Dritte Weg überhaupt Zukunft hat. Wie sehen Sie das? Hat der Dritte Weg Zukunft?
Hermes: Der Dritte Weg ist ein gutes Modell und hat Zukunft. Ich bewege mich selbst seit vielen Jahren in diesem Dritten Weg, auch in der verfassten Kirche. Ich habe mit vielen Mitarbeitervertretungen zu tun gehabt, und es ist uns eigentlich immer gelungen, gute Lösungen zu finden – ganz ohne Mittel des Arbeitskampfs. Ich halte sehr viel davon, dass wir alternative Modelle haben. Warum soll es denn für die Aushandlung von Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern nicht auch dieses Modell geben, das uns als Kirche zudem auch besser entspricht? Der Dritte Weg muss aber auch aufrichtig gelebt werden.
Frage: In Branchen, die gerade sehr in der Diskussion sind aufgrund von Arbeitsbedingungen und Entlohnung, ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad sehr niedrig. Gerade da ist die Caritas sehr präsent. Gräbt die Caritas den Gewerkschaften so das Wasser ab und sorgt mit dem Dritten Weg für eine schlechtere Verhandlungsbasis?
Hermes: In den Einrichtungen des Dritten Wegs geht es gerade nicht prekär zu. Auch wenn wir uns an den öffentlichen Tarifabschlüssen orientieren, haben wir zum Beispiel in den unteren Lohngruppen eine bessere Entlohnung. Und wir haben eine sehr viel höhere Tarifabdeckung und Tarifbindung als andere. Indem wir gut zahlen, schaffen wir ein Marktargument für gute Entlohnung überall – auch angesichts des Fachkräftemangels.
Frage: Im Bereich der Kinderbetreuung kommt zum Fachkräftemangel noch ein Mangel an Ausbildungsplätzen für Nachwuchskräfte dazu, mit dem kommenden Anspruch auf Ganztagsbetreuung an Schulen wird die Situation auch nicht entspannter. Kann die Caritas an dieser Ausbildungssituation etwas ändern?
Hermes: In Stuttgart haben wir in unseren eigenen 65 Kitas sehr guten Erfolg mit dem Modell der praxisintegrierten Ausbildung. Das ist ein gutes, neues Modell, bei dem Theorie und praktische Ausbildung gut verzahnt sind und vor allem von Anfang an auch eine Vergütung erfolgt. Wir erleben gerade einen Run auf diese Plätze. Die Politik und die Träger werden noch mehr solcher kreativer Lösungen finden müssen, denn mit dem demographischen Wandel und der Verrentung der Babyboomer-Generation wird der Fachkräftemangel sich immer mehr zuspitzen, insbesondere auch in der Altenhilfe.
Frage: Bei der Kirche kommt noch dazu, dass sie nicht um irgendwelche Arbeitskräfte wirbt, sondern auch klare Anforderungen an sie hat und ein christliches Profil der Einrichtung auch durch die Mitarbeiter erhalten will. Wie geht man damit um? Die Zahl der Christen nimmt ja auch ab.
Hermes: Da müssen wir umdenken. Ich stehe hinter der Grundordnung des kirchlichen Dienstes. Aber die Zeiten einer Volkskirche, in der man glaubte, das Ideal müssten 100% römisch-katholische Mitarbeitende sein, sind einfach vorbei. Vielleicht ist dieses Ideal aber auch gar nicht angemessen. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Caritas-Chef aus einem asiatischen Land, wo die Kirche in einer völligen Minderheitenposition ist. Der hat mir freudestrahlend erzählt, dass viele Nichtchristen bei ihm arbeiten wollen, weil sie dort nicht nur einen Job finden, sondern vom Leitbild und der Idee überzeugt sind. Das ist doch toll! Und das muss doch unser Ziel sein, wenn wir eine missionarische Kirche sein wollen: Menschen zu gewinnen, die unser Menschenbild und unsere Vision von Gesellschaft engagiert mittragen. In der Dreierriege der Bewerber will ich als Priester auch dafür stehen, dass die christliche Identität und übrigens auch theologisch-ethische Kompetenz im Vorstand repräsentiert sind, aber offen und einladend, nicht konfessionell-borniert.
„In der Dreierriege der Bewerber will ich als Priester auch dafür stehen, dass die christliche Identität und übrigens auch theologisch-ethische Kompetenz im Vorstand repräsentiert sind, aber offen und einladend, nicht konfessionell-borniert.“
Frage: Muss sich die Caritas ökumenischer aufstellen? Auch institutionell?
Hermes: Ich freue mich sehr auf die Kontakte mit der Diakonie. Meines Wissens gibt es keine dogmatischen Gründe, die uns an einer engen Zusammenarbeit hindern, und es ist ja auch tatsächlich so, dass an vielen Punkten ein gemeinsames Zeugnis und eine gemeinsame Aktivität hilfreich sind. Da fände ich es auch noch sehr spannend, auf den Bereich der anderen Religionen zu schauen. Im muslimischen Bereich gibt es seit langem die Überlegung, einen Wohlfahrtsverband zu gründen. Über die schon jetzt sehr gute Ökumene hinaus wäre das für mich der nächste Schritt, interreligiös in der Wohlfahrt zusammenzuarbeiten, so wie dies mit dem jüdischen Wohlfahrtsverband schon geschieht.
Frage: Momentan hat die Caritas ihren Hauptsitz in Freiburg. Die Diakonie ist von Stuttgart komplett nach Berlin umgezogen. Ist das ein Vorbild?
Hermes: Die Caritas ist in Berlin und in Brüssel schon gut vertreten. Freiburg ist die Heimat des Verbands, das ist auch gut so. Als Präsident würde ich selbstverständlich stark in Berlin präsent sein. Da geht es vor allem um Networking. Und auch wenn in Zukunft vieles digitaler ablaufen wird und es weniger Präsenzveranstaltungen gibt, braucht es die Präsenz des Präsidenten in Berlin. Ansonsten gilt: Die Verortung muss sich aus der Funktion ergeben.
Frage: Kommen wir noch einmal zum Fachkräftemangel zurück und machen ihn zur Chefsache. Sie stehen bei einer Jobmesse am Stand der Caritas. Wie begeistern Sie die junge Frau, die an ihren Stand kommt und gerade ihren Schulabschluss macht, davon, eine Karriere bei der Caritas ins Auge zu fassen?
Hermes: Die beste Werbung sind die Menschen, die schon bei der Caritas arbeiten. Da erlebt man den besonderen Geist in unseren Einrichtungen: das Menschenbild, den Umgang mit Menschen, die Sensibilität für Nöte, den Einsatz für Gerechtigkeit und Solidarität. Das ist es, was das Flammenkreuz zum Leuchten bringt.