Standpunkt

Wenn Angst die Seele auffrisst

Veröffentlicht am 12.10.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Laut einer neuen Unicef-Studie hat jeder siebte junge Mensch eine diagnostizierte psychische Erkrankung, besonders häufig sind Angststörungen und Depressionen. Dominik Blum ruft Christen zur Hilfe für die Betroffenen auf.

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Angst frisst die Seele auf. Angst macht klein, blind und atemlos. Angst bringt Unordnung in das "Seelenhaus", in den psychischen Raum, in dem Menschen wohnen. Auswege und Türen werden verschlossen, Irrwege und Sackgassen stehen offen, lange dunkle Gänge, die immer tiefer in Unsicherheit, Verstrickungen, Einsamkeit führen. Am schlimmsten wird schließlich die Angst vor der Angst. Wer das Glück hat, mit einer solchen Seelen-Angst keine Erfahrungen zu haben, sollte sich das Video zum todtraurigen neuen Song "Manche sagen" des jungen Stuttgarter Musikers Tiemo Hauer anschauen. Nur um besser zu verstehen, was jetzt Unicef veröffentlicht hat.

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen hat in der vergangenen Woche eine umfangreiche Studie zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass weltweit jeder siebte junge Mensch zwischen 10 und 19 Jahren eine diagnostizierte psychische Erkrankung hat. Besonders häufig sind dabei Angststörungen und Depressionen, die durch die Corona-Pandemie auch in dieser Altersgruppe nochmals zugenommen haben. Mehr als 46.000 Jugendliche überleben diese Krankheiten nicht, weil sie sich selbst das Leben nehmen. Damit ist der Suizid in dieser Altersgruppe die vierthäufigste Todesursache nach Verkehrsunfällen, Tuberkulose und Gewaltverbrechen. In Deutschland starben 2019 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes durch Suizid 471 Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 10 und 25 Jahren.

Die Sorge um die Seele wird seit der Antike als Hauptaufgabe des Menschen verstanden (Ole Martin Høystad), ja mit der Seele hat er vielleicht sogar Anteil an der Ewigkeit (Vito Mancuso). Wenn also die Seelen-Angst Menschen, vor allem junge, an den Rand ihrer Existenz bringt, dann ist es die Aufgabe der Stunde für Christinnen und Christen, diese Angst zu bekämpfen. "Fürchtet euch nicht!" – mit dieser biblischen Botschaft brachte Papst Johannes Paul II. vor mehr als 30 Jahren ein politisches System zum Einsturz. Heute muss diese Zusage ganz konkret jedem Kind, jeder jungen Frau, einfach jedem gelten, der in Angst lebt. "Herr, (...) meine Augen, meine Hände, mein Mund sind dein. Diese so traurige Frau mir gegenüber: hier ist mein Mund, damit du ihr zulächelst. Dieses Kind, das vor lauter Bleichsein grau ist: hier meine Augen, damit du es anschaust. Dieser so müde, so müde Mann: hier ist mein Leib, damit du ihm meinen Platz gibst und meine Stimme, um ihm leise zu sagen: 'Setzen Sie sich'." Diese Verse betete Madeleine Delbrêl, deren Todestag am Mittwoch ist, in der Pariser U-Bahn. Sie könnten ein Anfang sein.

Schnelle und anonyme Hilfe: Die Telefonseelsorge

Sollten Sie selbst von Selbsttötungsgedanken betroffen sein, suchen Sie sich bitte umgehend Hilfe. Bei der anonymen Telefonseelsorge finden Sie rund um die Uhr Ansprechpartner. Sie erreichen die Telefonseelsorge unter 0800-1110111 oder 0800-1110222 oder per Mail- und Chatberatung.

Von Dominik Blum

Der Autor

Dominik Blum ist Dozent für Theologie an der Katholischen Akademie in Stapelfeld.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.