Etwas anderes als Kirchenglocken: Muezzinrufe weiter in der Kritik
Ein Modellprojekt zu Muezzinrufen in Köln stößt weiter auf Ablehnung. Kritiker sprachen am Freitag von einer unzulässigen Bevorzugung einer Minderheit. Der islamische Gebetsruf beinhalte problematische Botschaften und würde von vielen Muslimen gar nicht als notwendig erachtet. Zuvor hatten sich in einer repräsentativen Umfrage drei Viertel der Deutschen gegen einen alltäglichen Muezzinruf in Städten und Dörfern ausgesprochen. Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) verteidigte indes das Projekt, das auf zwei Jahre befristet ist und Auflagen vorsieht.
Die Frankfurter Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter sagte im "Deutschlandfunk", der islamische Gebetsruf beinhalte im Gegensatz zum christlichen Glockengeläut die ausdrückliche Botschaft, dass Allah der Größte sei. Die Genehmigung des Rufs bedeute ein Privileg vor allem für die Vertreter eines politischen Islam wie etwa der Ditib, der Auslandsorganisation der türkischen Religionsbehörde. Schröter zeigte sich überzeugt, dass die Mehrheit der Muslime in Deutschland den Muezzinruf gar nicht wolle. Vor allem Geflüchtete hätten damit sogar teils traumatische Erfahrungen gemacht.
Für Erdogan "ein politischer Triumph ersten Ranges"
Der Publizist und Islamkritiker Hamed Abdel-Samad warnte in der "Welt" vor einer verfassungswidrigen Bevorzugung einer Minderheit. "Jeder Muslim darf beten, fasten und nach Mekka pilgern, wie er das möchte. Aber warum sollen einige Menschen das Recht bekommen, per Lautsprecher ihre Stadtviertel zu beschallen?" Niemand dürfe aufgrund seiner Religion bevorzugt werden.
Der frühere Präsident des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshofs, Michael Bertrams, wies darauf hin, dass es gerade in Köln viele Ditib-Gemeinden gebe. Die türkische Religionsbehörde sei Präsidenten Recep Tayyip Erdogan "treu ergeben". Bertrams bezeichnete Erdogan als einen Autokraten, der eine nationalistisch-islamistische Expansionspolitik betreibe. Er habe Zugriff auf alle Ditib-Gemeinden - "bis hin zum Missbrauch der Gemeindestrukturen für die Bespitzelung von Gegnern". Die Zulassung des Muezzinrufs sei für Erdogan "ein politischer Triumph ersten Ranges".
Oberbürgermeisterin Reker hielt im "Deutschlandfunk" dagegen. Bei dem Projekt stehe nicht Erdogan im Vordergrund, sondern die Musliminnen und Muslime, die in Köln lebten. Sie sollten die Möglichkeit haben, ihre Religion auszuüben. Es möge zwar eine Gefahr durch intolerante islamische Strömungen geben. Die Stadt passe aber sehr gut auf und mache Auflagen.
Einer Umfrage des "Bonner General-Anzeigers" zufolge lehnen drei Viertel der Menschen in Deutschland ab, dass der Muezzinruf genauso selbstverständlich zu hören sein sollte wie Kirchenglocken. 64 Prozent wollen dies sogar "auf keinen Fall", wie die Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts Civey zeigt. Mit 98 Prozent sind laut Angaben fast alle Anhänger der AfD gegen den alltäglichen Muezzinruf. Unter den Unions- und FDP-Wählern liegt die Ablehnung mit je 88 Prozent ebenfalls über dem Schnitt aller Teilnehmenden. Zudem verneinten 82 Prozent der Katholiken und 71 Prozent der Protestanten die Frage.
Muezzinruf so selbstverständlich wie Kirchenglocken?
Dass der Muezzinruf genauso selbstverständlich erklingt wie Kirchenglocken, ist allerdings selbst im Kölner Modellprojekt unwahrscheinlich. Die Stadt kündigte vergangene Woche an, dass Moscheegemeinden auf Antrag und unter Auflagen ihre Gläubigen an Freitagen zum Gebet rufen können. Der Ruf dürfe maximal fünf Minuten lang erklingen. Die Lautstärke werde abhängig von der Lage der Moschee mit einer Höchstgrenze festgelegt. Die umliegende Nachbarschaft sei im Vorfeld zu informieren und eine Ansprechperson für Fragen zu benennen. Bislang habe noch keine Gemeinde einen Antrag gestellt.
In Deutschland gibt es bislang einige Dutzend Gemeinden, in denen der Muezzin zum Gebet rufen darf. Das stadtweite Kölner Projekt ist in dieser Form einzigartig. Zum Muezzinruf, der auf Arabisch erfolgt, gehört der Satz "Allah ist größer", wobei gemeint ist, dass Allah größer als alles andere sei.
In der islamischen Welt zeigt der Ruf des Muezzin die Zeit zum Gebet an. Dabei steht der Rufer traditionell auf einem Minarett, also einem hohen Turm an einer Moschee. Der Koran schreibt fünf tägliche Gebete vor, die im Morgengrauen, am Mittag, Nachmittag, Abend und nach Einbruch der Nacht in Richtung Mekka verrichtet werden. Das islamische Ritualgebet (arabisch: salat) ist nach dem Glaubensbekenntnis die wichtigste "Säule des Islam". Das gemeinschaftliche Gebet in der Moschee gilt als besonders verdienstvoll, ist aber nur am Freitagmittag den Männern vorgeschrieben. Der Überlieferung nach ließ der Religionsstifter Mohammed einen freigelassenen schwarzen Sklaven erstmals um 623 den Gebetsruf vortragen. (tmg/KNA)