Wenn der Pfarrer strippt und die Heiligen Drei Könige tanzen
Wie schreibt man ein Musical über eine Stadt, eine Region oder ein Land? Wahrscheinlich am besten, indem man Geschichten über die Menschen erzählt, die dort wohnen. Die Macher von "Himmel und Kölle", das als erstes Musical über Köln beworben wird, haben sich für genau diesen Weg entschieden. In ihrem preisgekrönten Stück, das bereits im Oktober vergangenen Jahr Premiere feierte, nach wenigen Vorstellungen wegen der Corona-Pandemie pausieren musste und nun wieder in Köln zu sehen ist, präsentieren die Autoren und Grimme-Preisträger Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob die Domstadt liebevoll als einzigartiges Wirrwarr. Im Musical kann man sehen, wie Köln seine Bewohner vor die Herausforderung stellt, ihre Faszination für die Stadt mit der Ablehnung der hässlichen Seiten der rheinischen Mentalität in Einklang zu bringen. In den Klischees gesprochen, die das Stück mit freudigem Augenzwinkern bedient: Es geht um Weltoffenheit, Lebensfreude und Karneval genauso wie um Vetternwirtschaft, Promiskuität und Lärmbelästigung.
Da zur kölschen Seele untrennbar auch eine tolerante Auslegung des katholischen Glaubens gehört, scheint es nur folgerichtig, dass im Zentrum des wilden, urkomischen und teilweise anrührenden Parforceritts, den "Himmel und Kölle" zurücklegt, ausgerechnet ein katholischer Priester steht: der schwäbische Pfarrer Elmar. Als Jahrgangsbester eines kleinen, verschlafenen Priesterseminars in Süddeutschland schickt ihn sein Bischof in die "heilige Stadt" Köln. Eigentlich wünscht sich der etwas naive Jungpriester nichts sehnlicher als eine ruhige Pfarrei zu übernehmen, in der die Gläubigen früh schlafen gehen, wenig reden und ordnungsliebend sind. Wer die Metropole am Rhein auch nur ansatzweise kennt, weiß spätestens jetzt, dass das musikalische Lustspiel mit krassen Gegensätzen arbeitet – denn Köln ist natürlich ganz anders als Elmar sich seine erste Pfarrstelle wünscht.
Der schüchterne Klischee-Priester, der selbstverständlich stets Kollar trägt, ist bereits während der ersten Minuten in Köln überfordert. Gott hat ihn nämlich nicht in die "kleine heile Welt" geführt, die sich Elmar erhoffte, sondern in eine Stadt, die er im Gebet wie folgt charakterisiert: "Jesus, Du bist an jedem Ort der Welt, aber Du warst bestimmt lange nicht mehr hier." Nicht nur, dass in der Domstadt ein Dialekt gesprochen wird, den der zugezogene Priester nicht versteht und deshalb etwas einfältig zunächst für Hebräisch, "die Sprache Gottes" hält. Er wird auch dazu gezwungen, sich mit dem Thema Sexualität auseinanderzusetzen – etwas, das er zuletzt zwangsläufig tun musste, als ihn ein Weihbischof im Priesterseminar einen "süßen Typ" nannte.
In Köln versucht zudem eine zu Karneval verkleidete junge Frau mit Elmar zu kokettieren, wenn auch ausgehend von einem Missverständnis: "Priester, das ist ein geiles Kostüm. Flirtfaktor 100." Auch die resolute Pfarrhaushälterin Moni, die den jungen Geistlichen unter ihre Fittiche nimmt, erkennt in Elmar einen gutaussehenden Mann. "Dieses Mal hat der Herrgott uns ein Sahneschnittchen geschickt", sagte sie in schnoddrigem Kölsch. Sie macht ihn zudem mit dem liberalen rheinischen Katholizismus bekannt. So berichtet Moni dem neuen Pfarrer von seinem Vorgänger, der in einer Beziehung lebt und sogar Kinder hat. Beiläufig verrät sie Elmar auch, dass im Pfarrbüro noch Kondome liegen, falls er welche benötigen sollte.
Auch Kommentare zu Kardinal Woelki fallen
Diese stark überspitzten Zitate und Szenen zu Glaube und Kirche, von denen das Musical geradezu überquillt, gehen mit dem Katholizismus hart ins Gericht. Er wird meist als rückständig, verklemmt und scheinheilig dargestellt, etwa wenn dem Vatikan vorgeworfen wird, dass er die Homo-Ehe nicht billige, sondern bereits lebe. Auch aktuelle Kommentare auf Kosten des Kölner Kardinals Woelki und über die hohen Kirchenaustrittszahlen in der einstigen Bastion des katholischen Glaubens fehlen nicht. Gleichzeitig blickt "Himmel und Kölle" mit einer guten Portion rheinischen Humors auf das Thema. So vergleicht etwa Elmar liebevoll Gott mit dem Abschleppdienst: "Er ist wie der ADAC und kommt auch raus, wenn man nicht Mitglied ist."
Im Sinne dieses lebensdienlichen Glaubens versucht Elmar in seiner ersten Nacht in Köln der weiblichen Hauptfigur des Musicals zu helfen. Die verzweifelte Kathy ist von ihrem Junggesellinnenabschied geflohen, weil sie kurz vorher herausfinden musste, dass sie schwanger ist. Doch das Kind ist nicht von ihrem Bräutigam, den sie zwar nicht liebt, aber zum Wohlergehen von dessen Firma trotzdem am nächsten Tag heiraten muss. Es stammt von einem One-Night-Stand mit einem Unbekannten, dessen vollen Namen Kathy nicht einmal kennt. In dieser Situation bringt Elmar, der ebenso mutterseelenallein im nächtlichen Köln umherirrt, Kathy dazu, ihren zukünftigen Ehemann zu finden und ihm den Fehltritt zu beichten – in der Hoffnung, die Hochzeit doch noch retten zu können. Dazu überwindet sich der schüchterne Elmar sogar selbst und lässt (fast) alle Hüllen fallen, als er von den Trauzeuginnen Kathys für den Stripper gehalten wird.
Doch die kölsche Odyssee endet nicht mit der Aussprache von Kathy, die das Herz am rechten Fleck trägt, und ihrem Bräutigam, der sie eigentlich gar nicht heiraten möchte. Sie kulminiert schließlich vor dem Traualtar, als alle feststellen, dass es Elmar ist, der die Verbindung der beiden unglücklich Verlobten segnen soll. Doch dieser hat sich inzwischen in die Kölner Frohnatur Kathy verliebt und ringt mit sich, ob er diese Ehe wenige Minuten vor ihrem Zustandekommen verhindern soll. Natürlich findet die musikalische Komödie ein glückliches Ende für alle Beteiligten, das bunter nicht sein könnte – so wie es zu Köln passt, das stolz auf seine Toleranz ist.
"Himmel und Kölle" ist sicher keine Vorlesung in Moraltheologie oder ein Glaubenskurs, aber das Stück vermittelt eine hoffnungsvolle Grundhaltung allen Widrigkeiten des Lebens zum Trotz gemäß dem Kölner Motto "Et hätt noch emmer joot jejange". Zwar werden die vielen Spitzen gegen die katholische Kirche einige Besucher verärgern und Szenen wie das Gespräch mit den tanzenden Heiligen Drei Königen als Geister im Kölner Dom nicht allen gefallen. Doch das Musical stellt auch tiefgründige Fragen zu den großen Entscheidungen des Lebens. So besingt Elmar in einem Lied die Vorteile des Zölibats, lässt aber die Frage nach der Einsamkeit als alleinstehender Priester nicht außen vor. Auch steht er im Zwiespalt, wie er sich seine Zukunft vorstellt: Als zukünftiger Kölner Kardinal, der mit seinen strengen Predigten in dieses Amt berufen wurde, oder doch als Mann an der Seite Kathys, was jedoch einen großen Schritt ins Ungewisse bedeuten würde.
Letztlich überzeugt das Stück durch seine eingängigen Lieder, frechen Dialoge und herausragenden Darsteller. Wie man zur rheinischen Auslegung des Katholizismus auch stehen mag, ein Besuch von "Himmel und Kölle" bietet einen mehr als unterhaltsamen Abend mit Lachgarantie, der nachdenkliche Töne nicht außen vorlässt. Teilweise wird das Musical sogar "interreligiös", wenn es in einer Shisha-Bar zu einem Dialog zwischen dem Priester Elmar und einem Kölner Muslim kommt: "Bruder, wir sind hier in Kölle, wir verehren alle den gleichen Gott: Lukas Podolski."
Das Musical "Himmel und Kölle"
Das Musical "Himmel und Kölle" ist noch bis Ende Februar 2022 in der Volksbühne am Rudolfplatz in Köln zu sehen. Karten gibt es ab 39 Euro zu kaufen.