Himmelklar – Der katholische Podcast

Jesuit Körner: Christen erleben in Türkei keine schwierige Situation

Veröffentlicht am 27.10.2021 um 00:30 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Acht Jahre hat der Jesuit und Islamwissenschaftler Felix Körner in Ankara gelebt. Im Podcast spricht er darüber, wie es Christen heute in der Türkei ergeht – und warum es dort eine Toleranzgeschichte gibt, die bis heute wirkt.

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An der Berliner Humbold Universität hat Jesuit Felix Körner den Lehrstuhl für die "Theologie der Religionen" inne. Der Islamwissenschaftler hat selbst in Ankara gelebt und erklärt im Podcast, warum die Islamisierung des türkischen Gesellschafts-, Lebens- und Staatswesens die Christen dort nicht weiter einschränkt.

Frage: Sie haben als deutscher Jesuit von 2001 bis 2008 in Ankara gelebt. Für Journalisten ist es oft schwierig, Ansprechpartner in der Türkei zu finden, die sich öffentlich äußern wollen. Woher kommt diese Furcht?

Körner: Ein muslimischer Theologe und Freund hat mir in Ankara gesagt: Felix, wir sind eine Gesellschaft der Angst geworden. Das heißt, es geht nicht darum, dass die Christen im Augenblick in der Türkei in einer besonders schwierigen Situation wären. Das kann man jetzt im Augenblick wirklich nicht sagen, sondern es müssen eher Vordenkerinnen und -denker, die bestimmte Vokabeln in ihren Vorträgen und Veröffentlichungen verwenden, Angst haben, dass sie ihre Stellen verlieren, weil diese Vokabeln mit Bewegungen verbunden werden, die die Regierung der Türkei, die das Regime Erdoğan derzeit als staatsgefährdend empfindet. Da gehört sogar ein so wichtiges und schönes Wort wie "Dialog" dazu.

Wenn im Augenblick ein muslimischer Theologe von "interreligiösem Dialog" redet, dann hat er sofort ein dickes rotes Fragezeichen in den Akten. Denn das Wort "interreligiöser Dialog" wird verbunden mit der Bewegung des Fethullah Gülen. Und damit bist du in der Nähe eines von der offiziellen Türkei so wahrgenommenen terroristischen Verbandes. Und damit bist du schon jobgefährdet. Also das ist die eigentliche Problemlage in der Türkei augenblicklich. Das betrifft viel weniger die christlichen Gemeinden. Da ist es sowohl gesellschaftlich als auch von staatlicher Seite im Augenblick ein "Weiter so" mit der unter vielen Türken geteilten Hoffnung, dass sich das Regime öffnet und dass es auch bald mal einen echten Regimewechsel gibt.

„Diese Toleranzgeschichte wirkt bis heute weiter – und daran darf man ruhig mal erinnern.“

—  Zitat: Jesuit Felix Körner

Frage: Die Türkei bewegt sich von einem säkularen Staat zu einem religiös geprägten Staat. Kann das nicht auch für Christen positiv sein, wenn der Religion mehr Wert zugesprochen wird?

Körner: Es gibt eine Tendenz in der Türkei, die mit der Staatsgründung 1923 begonnen hat, Gedanken aus dem revolutionären Frankreich zu übernehmen und zu übertragen auf das Überbleibsel des Osmanischen Reiches – die heutige Türkei. Dazu gehört, dass man sich auf die Flagge schreibt: Wir sind laizistisch. Und laizistisch heißt nicht, wie wir das in Deutschland ausdrücken, ein säkularer Staat, der versucht, mit den Religionen zusammenzuarbeiten und konstruktiv Religionsfreiheit zu gewähren, sondern das heißt, der Staat macht sich Sorgen, dass es noch andere Kräfte in der Gesellschaft gibt und will mit denen möglichst nichts zu tun haben. Aber er ist in seiner Furcht vor den Religionen auch ganz ungeschickt. Bis dahin, dass er Rechte, die den Menschen eigentlich zustehen, einschränkt. Diese laizistische Tendenz war für alle Menschen, die in der Türkei Religion leben wollten, vorher schwierig.

Das wurde tatsächlich unter der AK-Partei, also Erdoğans Partei, leichter. Und die Christen heute fühlen sich aufgrund der Islamisierung des türkischen Gesellschafts-, Lebens- und Staatswesens nicht stärker eingeschränkt. Muslime haben mehr Verständnis dafür – und das gilt auch für das Regime – dass Menschen einen Glauben haben als dafür, dass Menschen auch nichts glauben wollen. Also diese Berechtigung besteht nach wie vor. Und diese Atmosphäre besteht auch, aber natürlich reicht diese Auffassung nach einem vernünftigen gegenwärtigen Menschenrechtsverständnis nicht aus: Ja, wenn einer nur irgendwas glaubt, dann hat er auch alle Rechte, aber wenn er nichts glaubt, dann ist er staatsgefährdend. Das ist natürlich auch nicht richtig. Religionsfreiheit und Bekenntnisfreiheit bedeutet natürlich auch, dass Menschen das Recht haben müssen, zu sagen: Ich glaube nichts – und sogar öffentlich dafür zu werben und Religionen insgesamt zu kritisieren. Das fehlt im Moment atmosphärisch in der Türkei. Auch in der Rechtsprechung ist das derzeit nicht das Hauptproblem.

Frage: Das bedeutet also, dass eine religiös-islamisch geprägte Regierung und Gesellschaft pro Islam nicht unbedingt contra Christentum heißt, sondern eher contra Atheismus?

Körner: Das ist tatsächlich so. Und das haben wir in der Tradition der Muslime – und daran dürfen wir auch wirklich immer wieder erinnern – permanent gehabt. Muslime haben erst den Juden und Christen gegenüber und dann übrigens auch noch weiteren Religionen gegenüber gesagt: Na ja, die wollen ja so was ganz Ähnliches wie wir und die haben das Recht, hier in ihrer Eigenverwaltung in gewisser Weise – und natürlich auch mit Einschränkungen, das darf man nicht vergessen, doch weiter zu existieren, weiterzuleben und sich auch zu entwickeln.

Im Unterschied zum mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Christentum: Diese Toleranz hatten wir nicht. Andersgläubige mussten sehr häufig fliehen, wenn sie nicht sogar umgebracht wurden. Und wir wissen ja, dass aus dem Spanien des 15. Jahrhunderts Juden in die heutige Türkei, also das damalige Osmanische Reich, geflohen sind. Und deren Nachkommen leben bis heute dort. In Spanien hätten sie sich taufen lassen müssen oder wären umgebracht worden. Diese Toleranzgeschichte wirkt bis heute weiter – und daran darf man ruhig mal erinnern. Das ist noch nicht vollkommen perfekt verwirklichte Religionsfreiheit gewesen, aber besser als das, was wir Christen damals gelebt haben.

Das vollständige Gespräch mit Felix Körner können Sie hier nachhören:

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Von Renardo Schlegelmilch