Wie Glaube und Kultur eine Kirche immer wieder neu füllen
"Lassen Sie einfach die Leere auf sich wirken", sagt Pfarrer Stephan Kessler noch im Hineingehen – bevor die Leere dann auch schon da ist. Wobei "Leere" hier missverständlich sein kann. In der Tat steht nicht viel drin in der Kirche Sankt Peter in der Kölner Innenstadt: Ein schlichter Altar in der Apsis des mittelalterlichen Baus, ein weiterer, aus drei Einzelteilen bestehender an der Längsseite, dazu noch ein paar Stühle. Ein Kreuz, eine Marienfigur und ein Gemälde sind an den Wänden, sonst nichts. Wirklich "leer" wirkt der Raum dennoch nicht, aber ungewohnt für eine Kirche. Das liegt einerseits am mit Estrich ausgelegten Boden, der dem Raum eher die Anmutung einer Kunstgalerie gibt. Andererseits sorgen die historischen Fenster für viel farbiges Licht im Raum. Zwischen klar gesetzten Akzenten scheint hier also noch viel Raum für Kreativität.
Guido Schlimbach, der künstlerische Leiter der Kunst-Station Sankt Peter, steht schon mitten im Raum, hat sich auf einen der coronabedingt auf Abstand gestellten Stühle gesetzt – und schüttelt erstmal mit dem Kopf, wenn er auf diese "Kulturkirche" angesprochen wird. Von dem Begriff will er nichts wissen: "Das würde bedeuten, dass wir durch die Kunst Glaubensvermittlung betreiben – aber genau das machen wir nicht. Vielmehr soll die Kunst Gefühle, Fragen und Zweifel ausdrücken. Sie ist nicht Mittel zum Zweck."
Die Kunst und Sankt Peter, das sind zwei Geschichten: Da ist die Kirche, die älteste noch bestehende Pfarrei der Stadt; das heutige Gebäude stammt aus dem ersten Drittel des 16. Jahrhunderts. Hier im Viertel verbrachte der Maler Peter Paul Rubens seine Kindheit. Direkt neben der Pfarrkirche Sankt Peter steht mit der Cäcilienkirche das Gotteshaus eines ehemaligen Stiftes. Solche Doppelkirchenanlagen sind heute selten, weil nach der Französischen Revolution in der Regel die weniger prunkvoll ausgestatteten Pfarrkirchen abgerissen und die Stifte aufgelöst wurden. Doch in Köln hatte das Stift schon vorher wegen Mitgliedermangel seine Gebäude an die Stadt verkauft – als Spitalkirche überlebte St. Cäcilia die Zeit und Sankt Peter als Pfarrkirche.
Kunst in die Kirche
Von der ehemals reichen Ausstattung ist nach der beinahe vollkommenen Zerstörung der Kirche 1943 fast nichts mehr übrig – prominent hat die "Kreuzigung Petri" von Rubens bis heute in der Kirche ihren Platz, rechts neben dem Hauptaltar.
Die Jesuiten übernahmen 1960 die Kirche und mit Alois Schuh kam ein prägender Pater nach Köln. Nach ihm entstand eine Phase hoher Fluktuation – bis Friedhelm Mennekes 1987 hierher versetzt wurde. Er hatte sich zuvor in Frankfurt an einer Kunststation im Hauptbahnhof versucht, mit der er schon großes Aufsehen erregte. Dies setzte sich in Köln nun fort. Es entstand die "Kunst-Station Sankt Peter", eine Kirche mit allen gottesdienstlichen Funktionen, in der sich aber auch die Kunst entfalten darf. Zunächst wurden recht konventionell Gemälde an den Kirchenwänden präsentiert. Nachdem es dann wegen eines direkt hinter dem Altar aufgestellten Torsos Ärger gab, sollte die Kunst mehr in den Raum hineinwirken.
Jedes Jahr bespielen nun mehrere Künstlerinnen und Künstler den Kirchenraum: Mit Bildern, Installationen oder auf dem Boden positionierten Skulpturen. Zudem gibt es über das Jahr verteilt Konzerte, Vorträge und Performances. Seit der Renovierung zwischen 1997 und 2000 ist der Kirchenraum mit den vielen einfarbigen Flächen und dem monochromen neuen Boden ganz auf die Kunst und seine damit verbundene Doppelfunktion eingerichtet. Aber eben auch auf wechselnde "Formate" der Liturgie.
Eine "fromme Ecke"
Guido Schlimbach geht ganz nach hinten in die Kirche, in die von ihm so genannte "fromme Ecke". Hier stehen die letzten der alten Kirchenbänke, die nach der Renovierung nicht in zahlreichen Osterfeuern verheizt wurden, vor einem alten Schnitzaltar und zwei Schreinen aus der Cäcilienkirche. Hier hat das stille Gebet seinen Ort, während der große leere Kirchenraum zum Durchschreiten einlädt. Kindergottesdienste, Brauchtum, Eucharistie, auch das ist Sankt Peter. "Wir haben hier drei Gemeinden: Die Pfarr-, die Kunst- und die Musikgemeinde", sagt Schlimbach. Überschneidungen gebe es zwischen diesen drei Gruppen durchaus, aber sie seien alles andere als deckungsgleich. "Wir haben Leute, die kommen zum Gottesdienst und gehen danach gleich wieder. Wiederum andere kommen erst zu dessen Ende, um sich danach ein Konzert anzuhören." Die Pfarrgemeinde nennt er eine "Fahr-Gemeinde" – die Kölner Innenstadt ist wie die Zentren vieler Großstädte mittlerweile beinahe völlig entvölkert. Die Gottesdienstbesucher kommen deshalb von nah und fern angereist. "Wichtig ist, dass alles miteinander auskommen muss: Im Gottesdienst bleibt die Kunst anwesend und darf 'stören', wie auch der Gottesdienst um die Kunst spielt und sie auch nutzt." Die dreiteilige Altarskulptur des spanischen Bildhauers Eduardo Chillida etwa: Vier Jahre hat sie die Gemeinde als Altar genutzt. Doch das sorgte 2004 für Ärger, bis hin zum Vatikan. Seitdem ist ein schlichter Altar aus Beton der Hauptaltar. Die Corona-Pandemie bot Sankt Peter Anlass, wieder am Chillida-Altar zu feiern – wegen der besseren Einsehbarkeit natürlich.
Drumherum verändert sich die Kirche ständig durch die Kunst. Wer hier wann ausstellen darf, bestimmt nicht nur Guido Schlimbach. Er hat den Kunst-Beirat der Gemeinde um sich, der über persönliche Kontakte nach geeigneten Kunstschaffenden sucht, um dem Kirchenraum eine neue Facette abzugewinnen. Zwar bewerben sich immer wieder Interessierte, auf diesem Weg ist es aber noch nie zu einer Zusammenarbeit gekommen. Nicht wenige Künstler überlegen sich für diesen Ort etwas ganz Eigenes, manchmal ist es aber auch gerade der Kirchenort, der Bestehendem etwas Neues hinzufügt. Vor einigen Jahren hatte die irische Künstlerin Kathy Prendergast in Atlanten bis auf die Städte alles übermalt: Grenzen, Hindernisse gab es nicht mehr. "Sowas im Raum einer weltweiten Glaubensgemeinschaft ist natürlich nochmal etwas anderes", meint Schlimbach. "Aber man kann das natürlich auch als andere Grenzen interpretieren – innere." Anregungen ganz anderer Art entstanden, als der japanische Künstler Rikuo Ueda Stifte an langen dünnen Fäden über Papier befestigte und so den Wind in und um die Kirche malen ließ. Auf den ersten Blick banal, entfalten die entstandenen Zeichnungen eine Ahnung von Natur, Kosmos und Endlichkeit, schließlich wurden sie durch eine vom Menschen völlig unabhängige und kaum steuerbare Macht geschaffen – manch jemand mag darin eine religiöse Dimension erkennen. Wieder ganz anders war es, als durch den deutschen Künstler Hermann-Josef Hack im Kirchenschiff ein riesiges Zelt aus alten LKW-Planen entstand, das an die Zelte erinnerte, in denen viele Geflüchtete ausharren mussten. Ein politisches Statement. Alle Kunst hat aber eines gemein: "Der Glaube soll hier nicht bebildert, sondern angefragt werden." Brave Kirchenkunst sucht man hier also vergeblich. Um eine besondere Präferenz für Ausdrucksformen gehe es aber auch nicht – "die Motivation ist entscheidend". Die Kunst solle stets einen Zugang zum Anderen, Fremden ermöglichen.
Ehrenamtliche Arbeit
Der Kunst-Beirat und alle anderen Engagierten um Schlimbach arbeiten ausschließlich ehrenamtlich. Die Kunst wird über Mittel aus einem Förderverein sowie über Zuschüsse gestemmt. Das ist besonders bei aufwendigeren Aktionen nicht immer einfach – aber Schlimbach kann dem auch eine positive Seite abgewinnen. "Ich muss mich nur vor dem Förderverein verantworten, wir sind in unserer Arbeit ganz frei."
Die Kunst ist immer irgendwie präsent in dieser Kirche. Der Rubens wird gerade restauriert, währenddessen bestücken Zeitgenossen seinen Platz an der Wand – in ihren Arbeiten spiegelt sich der alte Meister, wenn etwa im Bild der afroamerikanischen Künstlerin Kara Walker schattenspielhafte Figuren in ihrer Haltung ganz ähnlich dem Barockbild über die Leinwand huschen. Die Kunst ist wie die Musik hier einer von mehreren Zugängen – zunächst einmal zum Ort an sich. Eine gezielte Neuevangelisierung findet nicht statt. "Wenn jemand 'Neuevangelisierung' sagt, will man in der Regel nur, dass alles wieder so wird wie früher. Wenn bei uns Menschen in einem Konzert sitzen oder still die Kunst betrachten, sind auch sie für uns Gemeinde. Wer sagt denn, dass sie nicht genauso in eine Beziehung mit Gott treten, als wenn sie eine Predigt hören", sagt Schlimbach. Ihm geht es um Berührungspunkte – der Kunst mit der Religion, andersherum – und den Menschen mit beidem. So wird immer wieder neu dieser leere Raum gefüllt, entsteht übers Jahr in Sankt Peter immer wieder ein neuer Ort in alten Mauern, mit ganz aktuellen Fragen und Sichtweisen.