Ganz: Hoffe, dass wir die Weihe von Frauen zu Bischöfinnen anstoßen
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Diakoninnen, Priesterinnen und Bischöfinnen in der katholischen Kirche – Schwester Katharina Ganz möchte die Weihe von Frauen weltweit anstoßen und hat auch Papst Franziskus gefragt, wie er die "Frauenfrage" lösen möchte. Sie ist überzeugt: Ein weiteres Ergebnis vom Synodalen Weg wird die Weihe von Diakoninnen sein! Die Frage ist nur, wann. Und das könnte schneller gehen, als wir uns das denken.
Frage: Sie sind Generaloberin im Kloster Oberzell. Als Franziskanerin leben Sie seit 26 Jahren in der Gemeinschaft. Wie geht es Ihnen da an dieser Stelle der Pandemie?
Ganz: Es steigt wieder die Sorge vor Impfdurchbrüchen. Bei uns sind fast alle Schwestern "geboostert", natürlich auch aufgrund der Alterssituation in unseren Konventen und Einrichtungen. Gleichwohl beunruhigt uns das immer wieder neu, wenn jetzt die vierte Welle mit so einer brachialen Auswirkung über unser Land her zieht. Womit wir ja auch, ehrlich gesagt, nicht gerechnet haben. Bis jetzt sind wir sehr gut durch die Pandemie gekommen. Es gab in keiner Einrichtung oder Konvent einen größeren Ausbruch, was mich täglich sehr dankbar macht.
Frage: Die Diskussionen sind an jedem Schritt der Pandemie aufs Neue groß. Jetzt steht das Nachimpfen an. Sie haben gesagt, die meisten sind "geboostert", also haben den dritten Piks bekommen. Was halten Sie von dem Gegeneinander derer, die sich nicht impfen lassen möchten und dem sogenannten "Boostern" jetzt oder vielleicht auch einer möglichen Impfpflicht?
Ganz: Ich glaube, man muss die Sache sehr differenziert betrachten. Ich möchte nicht pauschal alle Impfgegner verurteilen. Es gibt Menschen, die Bedenken haben, die ich auch zum Teil nachvollziehen kann. Es gibt aber auch zum Teil wirklich eine solche Ignoranz, dass man einfach nicht drüber nachdenkt oder letztlich auch nicht reflektiert, welche Gefährdungen für andere Menschen entstehen, wenn man sich der Impfung verweigert.
Frage: Jetzt sind wir auf halbem Wege Richtung Weihnachtsfest. Warum Ihre Mitschwestern und Sie das eigentlich jeden Monat einmal feiern, müssten Sie uns gleich mal erklären. Was halten Sie von noch so einem Weihnachten unter den Einschränkungen des Coronavirus wie letztes Jahr?
Ganz: Ich weiß es nicht. Das Wichtigste für uns sind die Liturgien, dass wir wirklich unsere Gottesdienste feiern können und als Gemeinschaft zusammenkommen können. Die Schwestern sind inzwischen sehr gewohnt, dass auch Besucher reduziert werden. Das ist nicht so das Thema. Am schlimmsten war es für unsere Gemeinschaft letztes Jahr an Ostern, also bei den höchsten kirchlichen Feiertagen, als zum Teil auch die Gottesdienste ausfallen mussten.
Frage: Am 25. jedes Monats feiern Sie ein bisschen Weihnachten und erinnern daran, dass es immer einen Neuanfang gibt. Was steckt dahinter?
Ganz: Für mich ist das auch das Hoffnungsvolle an dem christlichen Fest der Menschwerdung, dass sich Gott selber klein gemacht hat, um in diese Welt zu kommen – und sich damit mit allen Menschen solidarisiert: In unserer Verwundbarkeit, in unserem Nacktsein, in unserer Armut, in dem, dass man sich auch oft ohnmächtig fühlt. Gott hat in Jesus diese ganzen menschlichen Situationen kennengelernt. Und gleichzeitig, das war Antonia Werr, der Gründerin unserer Kongregation, wichtig, liegt ja im Kind auch immer die Möglichkeit eines neuen Anfangs. Das Kind birgt noch alle Möglichkeiten in sich. Hannah Arendt, die politische Philosophin, hat das mit dem schönen Begriff der Geburtlichkeit zum Ausdruck gebracht. Wir sollten nicht so sehr auf das Ende schauen, sondern auf die Anfänge, die wir immer wieder selbst wagen können, indem wir Neues in die Welt setzen, indem wir etwas Neues beginnen. Daraus schöpfen wir Oberzeller Schwestern unsere Kraft – durch diese spirituelle Verwurzelung.
Frage: Sie wagen auch immer wieder mal was: Dass Sie eine Frau sind, die sagt, was Sie denkt und auch mal Fragen ausspricht, die im Raum stehen, haben Sie auch bei einem Besuch beim Papst gezeigt. Der Raum bei der Audienz mit Papst Franziskus war voll mit 850 Generaloberinnen aus der ganzen Welt. Und Sie wollten von ihm wissen, wie er die "Frauenfrage" in der Kirche lösen möchte. Eine andere Kirche haben Sie sich danach offensichtlich nicht gesucht, wie er erst vorgeschlagen hatte. Was ging Ihnen da durch den Kopf?
Ganz: Mir ist wichtig, dass unsere Kirche erkennt, dass sie ihre Glaubwürdigkeit komplett verspielt, wenn sie die "Frauenfrage" nicht als eines der wichtigsten Themen für ihre eigene Zukunftsfähigkeit anerkennt. Ich kenne viele Menschen auch in unseren eigenen Reihen, die es bald nicht mehr aushalten, diesen Spagat zwischen dem, dass wir uns für Menschenwürde, für Menschen am Rand der Gesellschaft, für die Menschenrechte einsetzen und gleichzeitig die Menschenrechte in den eigenen Reihen missachtet werden oder Frauen diskriminiert werden durch die Nichtzulassung zu den Weiheämtern oder durch eine einseitige patriarchale Deutungshoheit, wo denn der Platz für Frauen sei. Diesen Spagat halten viele Katholikinnen und Katholiken bald nicht mehr aus. Viele wenden ja auch der Kirche den Rücken zu. Und ich möchte darauf hinweisen, dass sich hier unsere Kirche auch innerlich erneuern muss und auch an ihren strukturellen Fragen nicht vorbeikommt.
„Ich erhoffe mir, dass wir zum Beispiel mindestens in Deutschland in Zukunft Diakoninnen weihen werden; dass wir Frauen in allen Positionen deutlicher sichtbar werden, wo es auch das bisherige Kirchenrecht ermöglicht; und dass wir auf weltweiter Ebene die Weihe von Frauen zu Priesterinnen und Bischöfinnen anstoßen.“
Frage: Sie wünschen sich also eine andere, aber katholische Kirche, sonst würden Sie sich nicht so sehr für Frauen und die Geschlechtergerechtigkeit einsetzen. Dieser Moment, als Sie dann dem Papst gegenüberstanden. Erst war es humorvoll, oder?
Ganz: Ja, der Papst macht ja manchmal auch so Bemerkungen – und das sollte witzig klingen. Die Tragweite dieses Satzes ist mir ehrlich gesagt im Nachhinein erst bewusst geworden. Denn natürlich frage ich mich: Sagt der Papst, "dann sucht euch halt eine andere Kirche", oder ist es wirklich noch zu erwarten und zu hoffen, dass unsere katholische Kirche andersartig wird, also sich von innen her erneuert? Das geht nur, wenn sich Menschen weltweit solidarisieren und darauf hinweisen, wo Erneuerung stattfinden muss. Ich habe Hoffnung, denn die Debatten, die wir im Synodalen Weg, wo ich im Frauenforum Beraterin bin, erleben, machen mir Hoffnung. Sie machen mir Mut, es wird Klartext geredet. Aber es wird natürlich entscheidend davon abhängen, welche Beschlüsse gefasst werden und welche danach auch in die Praxis umgesetzt werden.
Frage: Beim Synodalen Weg setzen Sie sich ein, und zwar im Forum "Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche". Was erhoffen Sie sich da?
Ganz: Ich erhoffe mir, dass wir zum Beispiel mindestens in Deutschland in Zukunft Diakoninnen weihen werden. Ich erhoffe mir, dass wir Frauen in allen Positionen deutlicher sichtbar werden, wo es auch das bisherige Kirchenrecht ermöglicht. Und ich erhoffe mir, dass wir auf weltweiter Ebene die Weihe von Frauen zu Priesterinnen und Bischöfinnen anstoßen und dass es dort in Rom ernsthaft auf die Agenda gesetzt wird.
Frage: Wird das noch was? Kriegen Sie und ich das noch mit?
Ganz: Es kann vielleicht sogar schneller gehen, als wir das denken, wenn die Erosionsprozesse, von denen die Institution momentan gekennzeichnet ist, sich beschleunigen werden. Klöster erleben das ja jetzt schon. Wir erleben in Europa, in Deutschland, in der ganzen nördlichen Hemisphäre ein Klostersterben enormen Ausmaßes. Und wir sind radikal aufgerufen, uns neu zu überlegen, wie wir in die Zukunft gehen und wie unsere Werte weiterleben, wenn vielleicht unsere Lebensform in dieser Weise nicht mehr überzeugend im 21. Jahrhundert bei den Menschen ankommt.
Frage: Diakoninnen in Deutschland könnten vielleicht ja ein erster Schritt sein, oder man sagt dann: Wenigstens Diakoninnen ... Aber erst mal wurde das zwar von Papst Franziskus angestoßen, es gab eine Kongregation, die das prüfen sollte. Sie glauben aber trotzdem, dass es kommen wird?
Ganz: Ich glaube fest, dass das kommen wird, denn es gab Diakoninnen in der alten Kirche. Auch wenn man sich da jetzt aus historischer Sicht streiten kann, ob das ein gleichberechtigtes Weiheamt war für die Frauen oder eine Segnung. Das sind aus meiner Sicht Spitzfindigkeiten. Wir müssen Antworten finden auf die pastoralen Notwendigkeiten unserer Kirche heute. Da hat sich die Amazonas-Synode ganz klar für die Weihe von Frauen ausgesprochen. Und auch Australien und andere Ortskirchen sehen das ähnlich – und auch in Deutschland wird das Thema noch mal mit großer theologischer Tiefe und auch Gründlichkeit bearbeitet. Ich sehe keinen Grund, warum das abgelehnt werden kann.
Frage: Erosion in der Kirche, in der katholischen Kirche vor allem. Das heißt, es wandelt sich. Wie könnte oder sollte denn eine Kirche in ein paar Jahren aussehen?
Ganz: Die Kirche der Zukunft muss eine Kirche sein, die die Menschenrechte anerkennt; die respektiert, dass Menschen unterschiedlich leben und lieben; die sich solidarisiert mit Menschen am Rand und gleichzeitig auch unvoreingenommen neue Kooperationen sucht – mit Bewegungen, die die Schöpfung bewahren. Oder auch genossenschaftliches Wohnen: Es gibt zum Beispiel viele Initiativen, die auch Werte der Orden weiterführen: Dass man nicht alles besitzen muss, sondern teilen kann; dass man gemeinschaftlich miteinander lebt, ohne blutsverwandt zu sein. Ich sehe da in vielen Aufbrüchen große Parallelen mit dem, was Orden seit Jahrhunderten von Jahren leben. Und ich wünsche mir eine Kirche, die offen ist und nicht pauschal sagt, das sei alles Relativismus, Anbiederung an den Zeitgeist. Nein! Ich erlebe viele christliche Werte auch außerhalb der verfassten Kirchen und wir sollten da mutig sein und auf die Menschen zugehen.
Frage: Von diesem Mut schreiben Sie ja auch in Ihrem Buch "Frauen stören – und ohne sie hat Kirche keine Zukunft". Dieser Titel drückt das, was Sie jetzt gesagt haben, gut aus. Sie rufen dazu auf, Frauen sollten stören?
Ganz: Frauen sollten sich vernetzen, sollten sich verbünden. Ich habe gerade in dem Kinofilm "Die Unbeugsamen" mit Begeisterung gesehen, als sich die ersten Frauen in den Parteien der Bonner Republik gegenseitig gratulierten bei der Wahl oder sich parteiübergreifend für die Gleichberechtigung von Frauen einsetzten. Das muss auch innerkirchlich geschehen, statt dass man sich gegenseitig in den Rücken fällt. Das muss weltweit geschehen. Wir haben heute auch durch die digitale Vernetzung Möglichkeiten, die wir vor 50 Jahren noch nicht hatten, als manche Themen auch schon bei der Würzburger Synode diskutiert worden sind. Nur gemeinsam, aber auch durch die Solidarisierung mit Männern, auch geweihten Männern, können wir die Sache voranbringen. Ich freue mich auf das Buch, das jetzt von Schwester Philippa Rath und Burkhard Hose gemeinsam herausgegeben wird in wenigen Monaten, wo sich auch Männer und Kleriker zur Frauenordination positiv äußern.
Frage: Da geht es zusammen: Frauen und Männer. In der Theologie wird häufig unterschieden zwischen der Theologie der Frau und einer Theologie des Mannes. Stehen die gegeneinander? Würden Sie sagen, wir brauchen eine Theologie der Frau?
Ganz: Nein. Ich habe mich dagegen verwehrt, dass Papst Franziskus sagt: Wir brauchen eine Theologie der Frau. Denn wenn man die Äußerungen des Lehramtes hört oder liest, wird ja immer wieder vom Lehramt festgelegt, wer Frauen sind, welches Wesen sie haben, welche Eigenschaften. Ich sage, wir brauchen die Autorität von Frauen. Wir müssen ihre Kompetenzen, ihre Berufungen, ihre Charismen voll anerkennen, statt darüber zu spekulieren und zu philosophieren, was jetzt das Wesen und die Theologie der Frau ist. Diese Platzanweisung muss beendet werden, sondern es muss die Autorität von Frauen sichtbar werden, und sie sollten selber entscheiden können und prüfen können, wohin sie von Gott her berufen sind. Und die Kirche sollte auch diese Berufungen prüfen.
Frage: Machen Initiativen wie "Maria 2.0" das denn, vernetzen sie sich? Ist das in dem Sinne, wie Sie es vorhin meinten?
Ganz: Es gibt internationale Plattformen wie "Catholic Women's Council", wo sich Maria 2.0 mit anderen Initiativen verbündet. Ich glaube, alle diese Initiativen sind wichtig, denn sie zeigen, dass Frauen in vielen Ortskirchen, in vielen Ländern aufstehen und sich einsetzen für eine andere Kirche, in der Frauen nicht diskriminiert, sondern gleichberechtigt behandelt werden und selbstverständlich Jesus Christus auch in den Weiheämtern repräsentieren können.
Frage: Woher nehmen Sie die Kraft, gegen diese Windmühlen anzukämpfen?
Ganz: Ich hatte jetzt das große Glück, im Oktober mit einer Gruppe von Schwestern, Mitarbeitenden, Freundeskreis und Martina Kreidler-Kos, die ausgewiesene Franziskus- und Klara-Forscherin im deutschsprachigen Raum ist, eine Woche in Assisi zu verbringen. Wir haben da sehr viele Gespräche geführt, auch vor dem Hintergrund des Synodalen Weges, was eigentlich diese Aufbruchsbewegung im Mittelalter ausgemacht hat. Die Kirche war ja damals nicht weniger patriarchal und klerikal. Sie war unglaublich reich. Da sind Frauen und Männer aus allen Standesschichten dieser Feudalgesellschaft ausgestiegen, um eine geschwisterliche Bewegung ins Leben zu rufen, die andersartig Kirche war, die sich demokratische Regeln gegeben haben. 5000 Brüder haben sich da gemeinsam in der Ebene von Portiuncula auf Matten gesetzt und überlegt, wie ihre Bewegung weitergehen soll und dann die neue Leitung gewählt. Wir haben eine jahrhundertelange Tradition demokratischer Strukturen in den Orden in der Kirche. Und daraus schöpfe ich auch Hoffnung und Mut und Zuversicht für die Synodalität, die Papst Franziskus jetzt für die ganze Kirche ausgerufen hat.
Frage: Ja, die braucht man, glaube ich, bei all dem, was Sie gerade machen. Was ist Ihre Hoffnung, Schwester Katharina?
Ganz: Meine Hoffnung ist, dass Gott seine Kirche auch in die Zukunft führt und dass durch Irritationen – Sie haben auf mein Buch "Frauen stören" angespielt, ich glaube, dass unsere Institution sehr verunsichert ist, ähnlich wie andere Institutionen, die Parteien auch unter Glaubwürdigkeitsverlust leiden. Ich erhoffe mir, dass durch diese großen Verunsicherungen, nicht zuletzt auch durch die Aufdeckung der Missbrauchsskandale eine Erschütterung durch unsere Reihen geht und wir merken, es kann nicht so weitergehen wie bisher und wir deswegen ganz von vorne neu beginnen können, was wir ja auch an Weihnachten feiern.