Wie Wegbegleiter benachteiligten Kindern Hoffnung schenken
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Kinder in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe haben es oft nicht leicht und schon viel in ihrem kurzen Leben durchgemacht: Der Kontakt zur Herkunftsfamilie ist schwierig, weil hier meist traumatische Erfahrungen gemacht wurden. Körperliche Gewalt ist zum Beispiel ein Grund, warum Kinder nicht weiter bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen dürfen. Manchmal werden diese Kinder von ihren Eltern, Verwandten oder Freunden am Wochenende abgeholt, um für ein paar Stunden, ein Wochenende oder in den Weihnachtstagen in einem gesicherten Umfeld ein paar friedvolle Stunden zu erleben. Wichtig ist, dass der Kontakt zu den Eltern aufrecht erhalten bleibt. Dies gilt aber nicht für alle Kinder. Manche bleiben in den Wohngruppen zurück. Auf sie warten keine Angehörigen, die sich um sie kümmern.
Genau dieser Kinder und Jugendlichen nehmen sich ehrenamtliche Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter an. Von Vereinen vermittelt, wollen sie ein soziales Netzwerk außerhalb der Einrichtungen aufbauen, auf das die benachteiligten Kinder später, wenn sie die Jugendhilfe als junge Erwachsene verlassen, zurückgreifen können, da sie oft kaum erwachsene Bezugspersonen außerhalb der Einrichtungen kennen. Langsam und behutsam versuchen sie, eine Beziehung zu den oft traumatisierten Kindern aufzubauen, ihnen eine verlässliche Ansprechperson und Stütze zu sein – wenn die Kinder dies auch wünschen. Julius Daven ist ein solcher Wegbegleiter. Dass er dieses Ehrenamt ausübt, hat auch mit seiner Kindheit zu tun.
"Sie hat mich aber trotzdem angenommen wie ihr eigenes Kind"
In einer stationären Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe ist Daven nicht aufgewachsen – er war aber kurz davor, sagt er selbst. Sein Vater habe ihn körperlich misshandelt. "In der Pubertät gab es für mich fast täglich körperliche Erniedrigungen", erzählt der heute 50-Jährige. Als Kind sei er mit seinem Schicksal allein gewesen, niemanden habe sich früher dafür interessiert. Die Mutter einer Schulfreundin Davens hat sich seiner allerdings angenommen und sich um ihn gekümmert, weil sie bemerkt hat, dass es dem Jungen schlecht geht. Sie ist selbst in einer Pflegefamilie groß geworden. Daven wohnte zwar nicht bei ihr. "Sie hat mich aber trotzdem angenommen wie ihr eigenes Kind", sagt er. Auch wenn es das Konzept der Wegbegleitung damals noch nicht gegeben habe, sei sie so jemand für ihn gewesen. Begründet habe sie das auch mit ihrem christlichen Glauben und der Nächstenliebe, aus der heraus sie handelte.
"Das, was mein Vater in mir an Vertrauen zerstört hat, hat meine Ersatzmutter langsam wieder aufgebaut", erzählt Daven. "Ich bin ihr zutiefst dankbar, für das, was sie selbstlos für mich getan hat. Ohne meine Wegbegleiterin hätte ich es wahrscheinlich nicht geschafft", sagt er. "Vielleicht würde ich heute nicht einmal mehr leben. Gewalt gegen Kinder zerstört nämlich Kinderseelen." Bis zu ihrem Tod vor wenigen Jahren hielt die Verbindung zwischen den beiden, war sie Ansprechpartnerin und Ersatzmutter für ihn. Ein Gefühl, das Daven zurückgeben möchte, weshalb er sich selbst seit einigen Jahren als Wegbegleiter für ein kleines Kind engagiert.
Heute arbeitet der 50-Jährige als Angestellter im Finanzbereich eines Unternehmens. Diesen Job mag er zwar – er erfüllt ihn aber emotional nicht. "Vom Herzen her bin ich eigentlich Sozialarbeiter", sagt Daven. Daher übt er diese Sozialarbeit nebenberuflich aus. Eine Ausbildung in diesem Bereich hat er nicht gemacht. Statt ausgeprägter Fachkompetenz bringe er viel "Herzkompetenz" mit, also viel Empathie und Einfühlungsvermögen für die Bedürfnisse und Wünsche der Kinder und Jugendlichen.
Adoption ist nicht das Ziel
Die braucht es auch, denn die Aufgabe als Wegbegleiter ist nicht immer einfach und mitunter von Enttäuschungen geprägt. Viele Kinder aus stationären Einrichtungen haben aufgrund ihrer Traumata Schwierigkeiten, Beziehungen aufzubauen. Die heile Welt, die sie möglicherweise bei ihren Wegbegleitern zuhause erleben, ist für die jungen Menschen manchmal schwer auszuhalten. Das erlebt Daven mit seinem betreuten Jungen gerade selbst: "Für ihn ist das ganz schwierig, er erlebt einen Loyalitätskonflikt. Er hat das Gefühl, seine Mutter zu verraten, wenn er mich auch so mag wie seine Mutter."
Ziel der Wegbegleitung ist es nicht, das Kind irgendwann zu adoptieren oder als Pflegekind aufzunehmen. Es geht nicht um Familienersatz, wohl aber um eine Familienergänzung. Der Wegbegleiter nimmt das Kind so an, wie es ist, hält auch schwierige Situationen aus und ermöglicht dadurch eine positive Bindungserfahrung und Kontinuität über alle Wechsel und Umbrüche im Leben des begleiteten Kindes hinweg – sofern das Kind das auch möchte. Und dies auch über die Zeit in einer stationären Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe hinaus. "Bis du tot bist – oder bis ich tot bin", so hat es Davens Wegbegleiterkind einmal formuliert.
Buchtipp
Julius Daven: "Bis Du tot bist – oder bis ich tot bin". Wegbegleitung für Kinder und Jugendliche. Verlag Tredition 2021, 264 Seiten, 24,99 Euro. ISBN-Nr. 978-3-347-41765-6
Grundsätzlich können Erwachsene, die bereit sind, sich für diese Aufgabe qualifizieren zu lassen, sich als Wegbegleiter engagieren. Potenzielle Wegbegleiter sollten Kinder mögen und sich vorstellen können, ein Kind ein Leben lang zu unterstützen und auf seinem Lebensweg zu begleiten. Nach der Bewerbung und dem Ausfüllen eines Fragebogens eines Wegbegleiter-Vereins gibt es für Interessierte Hausbesuche durch Mitarbeitende des Vereins und Seminare. Nach einer längeren Entscheidungsphase wird bei persönlicher Eignung und Prüfung der richtigen Motivationslage ein passendes Kind gesucht, das mit einem Wegbegleiter zusammengeführt wird. Die Probezeit beträgt zum Beispiel ein halbes Jahr, erst danach wird die Wegbegleitung fest besiegelt. Das ist wichtig, damit sich beide Seiten, also sowohl das Kind als auch der Wegbegleiter sicher sind, dass sie die Wegbegleitung idealerweise ein Leben lang miteinander fortführen möchten.
Eine Win-win-Situation
Eigene Kinder wollte Daven aufgrund seiner eigenen Lebensgeschichte nie bekommen. Er habe die ungewöhnliche Idee gehabt, seine Kinder könnten ein Gen erben, das sie genauso werden lasse wie sein gewalttätiger Vater, erklärt der 50-Jährige. Es tue ihm gut, sich um benachteilige Kinder zu kümmern. Zunächst arbeitete er deshalb bei der Caritas im familienunterstützenden Dienst für Kinder und Jugendliche, nachdem er über eine Zeitungsanzeige auf das Konzept eines Wegbegleiter-Verein gestoßen ist. Er beschreibt die Wegbegleitung als Win-win-Situation für beide Seiten.
Aus seiner Sicht hat die Aufgabe als Wegbegleiter viel damit zu tun, Hoffnung zu schenken und die Welt – zumindest für das Kind – ein kleines Stück besser zu machen, sagt Daven. Sein betreuter Junge konnte anderen Menschen anfangs nicht in die Augen schauen. Wenn beide unterwegs waren und beispielsweise ein Eis bestellen wollten, musste Daven das übernehmen. Das hat sich mittlerweile geändert. Der Junge schafft es, Blicken standzuhalten und Gespräche mit Fremden zu führen. "Das sind solche besonderen Momente, die ich beeindruckend finde", erzählt Daven. "Diese Entwicklungen machen mich glücklich."
Aktion #jetzthoffnungschenken
Die Zahlen sind erschreckend: Jede vierte Person in Deutschland fühlt sich einsam. Und es sind nicht nur ältere Menschen betroffen. Einsamkeit ist ein gesamtgesellschaftliches Problem – unabhängig von Geschlecht, Alter oder Herkunft. Dabei reichen oft nur kleine Gesten wie ein Lächeln, ein freundliches Wort, ein offenes Ohr oder etwas Zeit, um seinem Gegenüber Hoffnung zu schenken. Mit der Aktion #jetzthoffnungschenken will das Katholische Medienhaus in Bonn gemeinsam mit zahlreichen katholischen Bistümern, Hilfswerken, Verbänden und Orden im Advent 2021 einen Beitrag gegen Einsamkeit leisten. Erfahren Sie mehr auf jetzthoffnungschenken.de.