"Frieden auf Erden": Warum es Engel braucht
Als antike Texte können die Evangelien mit Engelsbegegnungen großzügig umgehen. Als Gottesboten greifen Engel an entscheidender Stelle ein: Sie deuten Ereignisse, geben Hinweise und erteilen Aufträge. Das Lukasevangelium ist zwar beim Einsatz von Engeln etwas sparsamer als das Matthäusevangelium, aber auch hier geht es nicht ohne:
Einer, Gabriel, muss zu Zacharias sprechen, sonst bliebe verborgen, was es mit der unverhofften Geburt seines Sohnes auf sich hat. Und Gabriel muss dann auch zu Maria, um sie über ihre bevorstehende Schwangerschaft aufzuklären. Schließlich erfahren Hirten von einem Engel mit zahlreichen himmlischen Begleitern von der Geburt Jesu.
Dieses ganze Aufgebot an Engeln ist kein erzählerischer Luxus, den sich ein Erzähler leistet. Vielmehr sind die Gottesboten unverzichtbar, damit die erzählten Figuren – und durch sie die Lesenden – verstehen können, was da eigentlich geschieht.
Äußerlich ist nämlich das, was sich ereignet, entweder unspektakulär oder auffällig-missverständlich. Die späte Geburt eines Kindes – ungewöhnlich, aber auch nicht weltbewegend. Die Schwangerschaft einer Ledigen – kommt selbst in den prüdesten Familien vor. Die Geburt eines Kindes unter armseligen Umständen – passiert bis heute leider nur zu oft. Dass es um den letzten großen Propheten Israels geht, den Vorboten des Messias – um das zu wissen, braucht es einen Engel. Dass Marias Schwangerschaft nicht die Frucht eines "Fehltritts" ist, sondern sich dem Wirken Gottes verdankt, das muss Gabriel sagen. Sonst wüsste man es nicht. Dass in dem Stall nicht einfach das Kind armer Leute geboren wird, sondern der Heiland zur Welt kommt, kann niemand sehen. Es braucht ein ganzes Engelheer, um dies zu verkünden.
Weil der Augenschein so sehr im Kontrast zur ungeheuren Bedeutung der Ereignisse steht, müssen Gottesboten her, damit das Geschehen zum Zeichen wird und seine frohe Botschaft senden kann.
Der Kaiser hat es leichter
Der römische Kaiser braucht keine Engel, er kann die Macht der Bilder und Fakten für sich sprechen lassen. Natürlich muss auch Augustus die Dinge deuten, und die römischen Herrscher tun dies mit einigem Aufwand. Aber im Unterschied zu den Ereignissen um Johannes und Jesus können sie mit ihrer Macht sichtbare und allgemein verständliche Zeichen setzen, die ihre Botschaft in die Welt tragen:
Münzen feiern den jeweiligen "Caesar" als Gottessohn. Prächtige Tempel und aufwändige Festlichkeiten führen allen vor Augen, dass der Kaiser ein Herrschergott ist. Seine gottgleiche Macht wahrzunehmen, ist unausweichlich. Die kaiserliche Macht muss Gottesmacht sein, denn sie ist hier und jetzt erfahrbar: sichere Seefahrt, Stabilität für Handel und Handwerk, Fruchtbarkeit in Familie, Ackerbau und Viehzucht, Lebensfreude durch "Brot und Spiele" – das ist der direkte Segen des Kaiserstaates als Heilsanstalt.
Herrschaft als Quelle des Friedens?
All dies steht unter dem Begriff des "Römischen Friedens" (Pax Romana). Damit ist nicht nur das Beenden von Kriegen und Aufständen durch die Schlagkraft der Legionen gemeint. Diese Dominanz ist aber die Grundlage für den Kaiserfrieden. Das zeigt sich in Judäa, Gallien und vielen Ländern mehr. Das Beseitigen von Störungen schafft erst den Ordnungsrahmen für die Lebensgabe des Staates, eine Lebensqualität, die durch Sicherheit, Wohlfahrt, Zufriedenheit und Glück geprägt ist. Lebensfülle durch die rechte (= römische) Herrschaft.
Entsprechend biblisch-jüdischer Tradition versteht auch das Lukasevangelium Frieden nicht nur als Abwesenheit von Krieg, sondern als Lebensfülle. Die Frage ist allerdings, wessen Macht diese Lebensfülle herbeiführt. Ist die kaiserliche Herrschaft die Quelle dieses Friedens? Für die römische Welt ist das keine Frage, für Lukas schon. Er akzeptiert den Kaiser als Weltenherrscher, der die ganze Welt durch seinen Befehl in Bewegung setzen kann, vermeidet aber die göttliche Überhöhung des Herrschers. Wird in griechischen Texten der Titel augustus ("Erhabener") stets mit dem entsprechenden griechischen Wort sebastos übersetzt, so gibt Lukas "Augustus" einfach in griechischen Buchstaben wieder (Lk 2,1). Der Titel wird zum Eigennamen und verliert seine politisch-religiöse Botschaft. So wird klar, dass die Lebensfülle eben nicht vom Kaiser gemacht wird. Der Mittler des wahren Friedens ist ein ganz anderer: Jesus.
Der andere Frieden durch den anderen "König"
Dieser Heilskönig ist so radikal anders, dass man eben Engel braucht, um ihn zu erkennen. Er unterwirft nicht, beutet nicht aus, führt keine Kriege. Er ist ein armseliges Wickelkind in einer Futterkrippe, ganz ohne Palast und Hofstaat. Wenn ein solches Kind zum Retter, Messias und Herrn erklärt wird (Lk 2,11), dann liegt es auf der Hand, dass der Frieden, der im Evangelium dieser Geburt verkündet wird, ein ganz anderer sein muss als der des Kaisers. Der "Frieden auf Erden" (Lk 2,14), den Gott durch Jesus anbietet, wird nicht diktatorisch erzwungen. Die Fülle des Lebens eröffnet sich als Einladung zum Königtum Gottes. Das ist nichts, was autokratisch von oben durchgesetzt werden könnte. Laut der "Regierungserklärung" Jesu (Lk 4,18) vollzieht es sich, wo einfache Menschen im Vertrauen auf Jesu Botschaft furchtlos das Richtige tun: sich der Armen annehmen, gebrochene Herzen heilen, Gefangene befreien, Kranke gesund machen und Unterdrückte aufrichten. Dort wird dieser Frieden wahr.
Joachim Kügler ist Professor für Neutestamentliche Wissenschaften an der Universität Bamberg.