Pfarrer U. soll seine minderjährigen Nichten mehrfach missbraucht haben

Assenmacher und Heße sagen aus – Kölner Missbrauchsprozess geht weiter

Veröffentlicht am 13.01.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Hamburgs Erzbischof Heße und der frühere Leiter des Kölner Kirchengerichts Assenmacher müssen vor Gericht aussagen. In dem Prozess geht es um einen Priester, der seine Nichten missbraucht haben soll. Assenmacher hat den Fall wohl falsch eingeschätzt.

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Missbrauchsskandale erschüttern die katholische Kirche seit mehr als zehn Jahren. Die öffentliche Aufmerksamkeit ist enorm – und trotzdem stehen katholische Priester, die Minderjährige missbraucht haben sollen, selten vor Gericht. Das liegt meist daran, dass Taten verjährt, Täter gestorben oder Opfer nicht zur Aussage bereit sind.

Umso spannender ist ein Prozess, der derzeit vor dem Landgericht Köln läuft. Beispielhaft könnte er für die Missstände stehen, die Kritiker der Kirche in Sachen Missbrauch vorwerfen: dass Amtsträger die Verantwortung von einem zum nächsten schoben, oft zugunsten der Täter entschieden und die Opfer nicht angemessen im Blick hatten.

Erstmals zwei hohe kirchliche Würdenträger als Zeugen

Eine weitere Besonderheit: Erstmals in Deutschland werden zwei hohe kirchliche Würdenträger in einem Missbrauchsverfahren als Zeugen vernommen. Los geht es am Donnerstag mit dem früheren Top-Kirchenrechtler des Erzbistums Köln, Günter Assenmacher (69). Richter Christoph Kaufmann, der auch dem Prozess im Missbrauchskomplex Bergisch Gladbach vorsaß, wird dem einst einflussreichen Leiter des Kölner Kirchengerichts wohl einige unangenehme Fragen stellen.

Vor allem wird er wissen wollen, warum der heute 70 Jahre alte Angeklagte, der frühere Pfarrer U., ab 2011 wieder als Krankenhauspfarrer arbeiten durfte, nachdem das Erzbistum 2010 von Missbrauchsanschuldigungen erfahren und den Mann vorerst beurlaubt hatte. Denselben Fragen wird sich am 18. Januar der heutige Hamburger Erzbischof Stefan Heße (55) stellen müssen. Vor elf Jahren war er als Kölner Personalchef mit dem Fall befasst. Ihm wird zudem vorgeworfen, ein Geständnis des Geistlichen gegenüber Bistumsverantwortlichen absichtlich nicht protokolliert haben zu lassen, was Heße selbst bestreitet.

Bild: ©picture alliance/Axel Heimken (Archivbild)

Im Prozess um den ehemaligen Pfarrer U. wird auch der heutige Hamburger Erzbischof Stefan Heße als Zeuge aussagen. Als Personalchef von Köln hatte er ein Gespräch mit dem Angeklagten geführt, über das kein Protokoll existiert.

Der Fall U. kommt auch in einem Aufarbeitungsgutachten für das Erzbistum Köln vor, das Juristen vergangenen März vorstellten. Dafür werteten sie Bistumsakten aus und sprachen ebenfalls mit Assenmacher und Heße. Aus dem Gutachten geht hervor, dass sich Assenmacher in der Sache nicht zuständig fühlte. Zudem tat er den Missbrauch offenbar als interne "Familiensache" ab. 2010 wurde U. von seiner Nichte angezeigt. Er soll sie und ihre beiden Schwestern als Kinder missbraucht haben, als sie ihn im Pfarrhaus in Gummersbach besuchten. Später zog sie ihre Anzeige jedoch zurück – vermutlich auf Druck der Familie.

Assenmachers Argument, wie es die Gutachter in indirekter Rede festhielten: Die Taten seien zwar ein Verhalten, das befremde. Wenn aber die Aussage zurückgezogen werde, weil man "die Sache in der Familie halten wolle", verdiene dies "einen anderen Respekt", als wenn ein Missbrauchstäter ein Risiko für seine Umwelt darstelle. Zudem müsse man auch sehen, dass die Mutter ihre Töchter immer zu dem Beschuldigten gebracht habe.

Vermutliche weitere Betroffene

Ganz abgesehen davon, dass Missbrauch von Kindern auch innerhalb einer Familie strafbar ist, zeichnet sich im nun laufenden Prozess ab, dass U. sehr wohl ein "Risiko für seine Umwelt" dargestellt haben könnte. Im Zuge der Missbrauchsaufarbeitung rollte das Erzbistum Köln den Fall erneut auf. 2020 erfolgte die Anzeige der Staatsanwaltschaft. Diesmal treten alle drei Nichten als Nebenklägerinnen auf – und eine weitere mutmaßliche Betroffene. Sie sagt, U. habe sich 2011 in Wuppertal zwei Mal an ihr vergangen. Verwandt ist sie mit dem Angeklagten nicht.

Die bisherigen Zeugenbefragungen deuten zudem darauf hin, dass es noch weitere Betroffene geben könnte – etwa die Töchter von Bekannten und Weggefährtinnen. Schwer belasten dürften den Angeklagten auch die Aussagen seiner Pflegetochter. Die heute 55-Jährige lernte U. in den 1970er Jahren in einem Kinderheim in Bonn kennen, in dem er während seines Theologiestudiums arbeitete.

Er nahm das Mädchen sowie einen Jungen aus dem Heim mit zu sich ins Pfarrhaus nach Alfter, wofür er eine Genehmigung des Erzbistums und des Jugendamts erhielt. Etwa 1980 zogen sie nach Kerpen und später nach Gummersbach. Schon in Alfter soll es zu sexuellen Übergriffen gegen die damals etwa zwölfjährige Pflegetochter gekommen sein. Zweimal sei sie von U. schwanger gewesen, erklärte die Frau vor Gericht. Beide Schwangerschaften seien durch Abtreibung beendet worden.

Linktipp: Alle Infos rund um das Kölner Missbrauchsgutachten

Wer war wann im Erzbistum Köln verantwortlich? Um welche Fälle geht es? Und was unterscheidet staatliches und kirchliches Recht bei Vertuschungen? Im März letzten Jahres erschien nach langem Warten das Kölner Missbrauchsgutachten. Klicken Sie sich durch alle wichtigen Fragen und Antworten.

Für den Kirchenrechtler Assenmacher hatte der Fall U. bereits Konsequenzen. Die Gutachter werfen ihm vor, eine unzutreffende Rechtsauskunft darüber gegeben zu haben, ob das Erzbistum den Fall nach Rom hätte melden müssen. Noch am selben Tag, an dem die Untersuchung vorgestellt wurde, entpflichtete der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki den langjährigen Offizial von seinen Ämtern.

Die Zeugenaussagen der beiden Geistlichen könnten nach Meinung des Strafrechtsprofessors Joachim Renzikowski von der Universität Halle-Wittenberg Auswirkungen auf den Prozessverlauf und das Strafmaß haben. Sollten die Vernehmungen ergeben, dass die Kirche als Institution die möglichen Taten gedeckt oder gar gefördert habe, könnte sich das zugunsten des Angeklagten auswirken, so der Experte auf Nachfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Unter Umständen könne es sogar zu einer Strafmilderung kommen.

Von Anita Hirschbeck (KNA)