Genaue Analyse
Bei der Präsentation von "Die Goldschmiedearbeiten am Dreikönigenschrein: Bestand und Geschichte seiner Restaurierungen im 19. und 20. Jahrhundert" sprachen Vertreter aus Wissenschaft und Kirche von einer "Pionierarbeit". Erstmals seien hier sämtliche Bestandteile des 1,53 Meter hohen, 1,10 Meter breiten und 2,20 Meter langen Schreins dokumentiert, analysiert sowie datiert worden, sagte der langjährige Leiter des Kölner Dombauarchivs, Rolf Lauer. Eine so detaillierte Untersuchung sei noch für kein anderes mittelalterliches Kunstwerk erfolgt.
Der Kölner Dompropst Norbert Feldhoff nannte den Zeitpunkt der Veröffentlichung kurz vor dem Jubiläum der Dreikönigsreliquien am 23. Juli "absolut ideal". An diesem Tag wird das von Erzbistum und Stadt Köln veranstaltete Festjahr unter dem Motto "Reich beschenkt" offiziell eröffnet. Dabei werde es unter anderem eine "phantastische Ausstellung" sowie weitere Überraschungen geben, die bei den Forschungen aufgetaucht seien, versprach Feldhoff. Kempers Tätigkeit sowie die Drucklegung des Werkes wurden von der in Köln ansässigen Fritz-Thyssen-Stiftung mit 320.000 Euro gefördert.
Fast alle gestohlenen Objekte wieder aufgetaucht
Kemper berichtete, das Werk dokumentiere unter anderem Diebstähle, Unfälle und Veränderungen, die der Schrein über die Jahrhunderte erlebt habe. Der wohl frechste Raub datiert auf 1820, als sich ein Dieb im Dom einschließen ließ und fast alle Beschläge an der Stirnseite des goldenen Gefäßes entfernte. "Er wurde erwischt und schlimm bestraft", sagte Kemper. "Überhaupt sind fast alle gestohlenen Objekte über die Jahrhunderte wieder aufgetaucht" - zuweilen auch solche, die gar nicht vom Schrein stammten.

Die Heiligen Drei Könige folgen dem Stern: Auschnitt aus einem Sammelbildchen aus Frankreich um 1900.
Es sei ihr um eine möglichst genaue Bestandserfassung der insgesamt rund 3.000 Beschläge, 2.000 Gemmen, 320 Filigranen und 68 Figuren gegangen, sagte Kemper und berichtete von manchen Nachtschichten, die sie zusammen mit ihren Mitarbeitern im Dom vor dem Schrein verbrachte. Auch konnten erstmals durch die Kooperation mit wissenschaftlichen Einrichtungen in Bonn und Hannover die verwendeten Metalllegierungen analysiert werden.
Reliquien machen Köln erst zu dem, was es ist
Fast kriminalistisches Gespür war etwa bei der Urheberschaft der zwischen 1190 und 1225 entstandenen Arbeit vonnöten: Die benutzten Stempelformen, mit denen die Hintergründe der Figuren geprägt sind, tragen eindeutig die "Handschrift" Nikolaus von Verduns, so die Wissenschaftlerin, die zurzeit auch den Hildesheimer Godehardschrein erforscht. So stellte eine ihrer Mitarbeiterinnen fest, dass der gleiche Stempel bei Altären in Notre-Dame im französischen Tournai und im Stift Klosterneuburg nahe Wien verwendet wurde, die beide die Signatur des Meisters zeigen.
Gelegentlich wurde dem Reliquienschrein auch heftig zuleibe gerückt: Als er 1794 vor französischen Revolutionstruppen in Sicherheit gebracht wurde, entstanden so große Schäden, dass er um 40 Zentimeter gekürzt wurde. Diese Maßnahme machten Restauratoren zwischen 1961 und 1972 rückgängig und erhöhten die Jochzahl von sechs auf sieben. Insgesamt, so fasste Kemper zusammen, hat sie 2.998 Einzelergebnisse vorgelegt.
7,4 Kilogramm bringt das inhaltsschwere Werk, das von zahlreichen Abbildungen abgerundet wird, auf die Waage. Eine Leistung, die in Köln goutiert wird, schließlich haben die Reliquien der am 23. Juli 1164 von Erzbischof Rainald von Dassel an den Rhein gebrachten "Heiligen Drei Könige" die Domstadt erst zu dem gemacht, was sie ist: das "hillije Kölle".
Von Sabine Kleyboldt (KNA)