Lob und Kritik für Kardinal Marx – Forderungen an Benedikt XVI.
Der Münchner Kardinal Reinhard Marx hat für seine Äußerungen zum Missbrauchsgutachten Lob und Kritik erhalten. Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, zeigte sich beeindruckt vom Schuldeingeständnis des Erzbischofs. Eine solche persönliche Verantwortungsübernahme wünsche er sich auch von anderen Bischöfen, sagte Rörig der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin.
Für ihn sei es sehr positiv, dass Marx sich sehr differenziert mit dem Thema umfassenden Versagens auseinander gesetzt und auch den Wandel seiner Einstellungen nachvollziehbar dargestellt habe, besonders, was seine Empathie gegenüber den Betroffenen angehe. Er begrüßte es auch, dass Marx sich durchaus offen für Reformen bei den bislang gezahlten Anerkennungsleistungen gezeigt habe und dort noch "Entwicklungsbedarf" sehe.
Kritik äußerte unter anderem Betroffenenvertreter Matthias Katsch. "Ich bezweifle, dass Bischöfe, die wie Kardinal Marx mitverantwortlich sind für das System des Missbrauchs in der Kirche, den Aufbruch und die notwendige Veränderung wirklich organisieren können", sagte der Sprecher der Initiative "Eckiger Tisch" der KNA.
"Vor einer Woche ist das Schiff auf Grund gelaufen"
Die innerkirchliche Reformdebatte sei wichtig. Die Frage des Augenblicks müsse aber sein, wie den Betroffenen "endlich die lange versprochene Unterstützung und Hilfe" organisiert werden könne. Möglichst schnell müsse eine bundesweit erreichbare Beratungsstelle geschaffen werden, die nach einem betroffenenkontrollierten Ansatz arbeite. Auch die Laien seien jetzt gefordert.
Mit Blick auf Marx sagte Katsch: "Vor einer Woche ist das Schiff auf Grund gelaufen, und heute erklärt der Kapitän, dass er unbedingt an Deck bleiben muss." Marx sei offenbar der Meinung, dass es ohne die Bischöfe nicht gehe. Es sei die Frage, ob "das die Katholiken auch so sehen".
Der Kinderschutz-Experte Hans Zollner sagte im BR, er erwarte noch ausführliche Erläuterungen des emeritierten Papstes. Die Erklärungen von Benedikt XVI. aus den vergangenen Tagen reichten nicht aus, sie machten vielmehr die Lage noch schlimmer, sagte der Priester und Leiter des internationalen Safeguarding-Intituts in Rom.
Zum Münchner obersten Kirchenrichter Lorenz Wolf sagte Zollner, er könne sich nicht vorstellen, dass keine personellen Konsequenzen für ihn folgten. Wolf zählt zu den einflussreichsten Kirchenmännern in Bayern. Er lässt vorläufig alle seine Ämter und Aufgaben ruhen. Die Hauptkritik der Münchner Gutachter lautet, Wolf habe im Umgang mit Missbrauch die Interessen der Beschuldigten vor die der mutmaßlichen Opfer gestellt. Wolfs Anwälte weisen dies zurück.
Schüller: "Ernst der Lage" nicht erkannt
Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller sagte im BR, er habe nicht den Eindruck, dass Marx "den Ernst der Lage" erkannt habe. In der Kirche müsse ab sofort radikal aus der Betroffenenperspektive heraus geschaut werden.
Der Religionsbeauftragte der SPD, Lars Castellucci, forderte eine stärkere staatliche Begleitung der Aufarbeitung. "Es ist gut, dass das Erzbistum in Person von Kardinal Marx die Verantwortung bei sich sieht und klar benennt", sagte Castellucci der KNA. Allerdings könne sich keiner selbst aufklären, "dafür gibt es unseren Rechtsstaat".
Notwendig sei ein verbindlicher gemeinsamer und überprüfbarer Rahmen für die Aufarbeitung in ganz Deutschland. Vor allem die unabhängige Aufarbeitungskommission müsse in die Lage versetzt werden, ihren Auftrag zu erfüllen. Dazu müsse sie aufgewertet und finanziell besser ausgestattet werden. Das Thema betreffe allerdings auch die evangelische Kirche sowie andere gesellschaftliche Bereiche, etwa den Sport oder Bildungseinrichtungen. (KNA)