Von Ulm bis Meersburg: Der Jakobsweg kann auch Schwäbisch

Wer in Deutschland gerne auf Jakobswegen wandert und die Kirchenkunst des Barock und Rokoko schätzt, kommt am Oberschwäbischen Jakobsweg, von Ulm bis nach Meersburg am Bodensee, nicht vorbei. Die letzten Häuser von der Ulmer Vorstadt bleiben hinter uns. Der Jakobsweg führt aus dem Donautal, hinauf auf die Höhe. Hinter uns sticht der Kirchturm des Ulmer Münsters, mit seinen 161 Metern der höchste Kirchturm der Welt, in den Sommerhimmel. Der Weizen steht goldgelb auf den Feldern, und der Wind geht in silbernen Wellen über die Gersten- und Roggenfelder. Von der Höhe über dem Fluss blicken wir nach Süden, hinein ins oberschwäbische Land, eine bunt gewürfelte Landschaft. Und darin wie kleine Inseln Gehöfte, kleine Weiler und Dörfer. Dazwischen auch immer wieder sumpfige Niederungen, das Ried. Im Südwesten wird im Dunst der Ferne der Bussen sichtbar. Der ehemalige Vulkankegel erhebt sich aus der Ebene und auf seiner Spitze steht eine Kirche. Manche nennen ihn den "Heiligen Berg von Oberschwaben".
Vor unserem Übernachtungsquartier in Oberdischingen, dem Cursillohaus, einem Bildungshaus der Diözese Rottenburg-Stuttgart, begrüßt uns auf dem Brunnenrand ein Jakobspilger aus Stein. "Ruht euch ein wenig aus", ist in den Granit gemeißelt.

Brunnen vor dem Cursillohaus, einem Bildungshaus der Diözese Rottenburg-Stuttgart.
In Biberach an der Riß dominiert die Stadtpfarrkirche St. Martinus und Maria den Marktplatz. Eine Besonderheit: Seit der Reformation benutzen evangelische und katholische Christen die Kirche gemeinsam als Simultankirche. Und das klappe auch bis heute noch ganz gut, erfahren wir von einer Biberacherin, die gerade vom Einkaufen auf dem Wochenmarkt kommt. Rund um den belebten Marktplatz und die Kirche kleine enge Gassen, Spitzwegmotive. Als modernes Pendant steht auf dem Marktplatz eine moderne Plastik, die Esel-Skulptur des zeitgenössischen Bildhauers Peter Lenk. Von Biberach geht es talauswärts, am Wolfenbach entlang. Kühe stehen in den sattgrünen Wiesen neben dem Bach, schauen herüber zu uns Jakobspilgern.
Und dann, einer Kathedrale gleich, steht sie inmitten von Wiesen und Feldern: die Kirche von Steinhausen. Schon von Weitem ist ihr hoher, schlanker Glockenturm zu sehen. Nicht nur Kunsthistoriker schwärmen von diesem Barockjuwel. Und so wird das den beiden Heiligen Peter und Paul geweihte Gotteshaus auch als "die schönste Dorfkirche der Welt" bezeichnet. Beim Eintreten in die helle, lichtdurchflutete Kirche ist der Besucher gefangen von der Vielfalt, der Schönheit und der Strahlkraft der Deckengemälde.
„Ihr seid doch bestimmt Jakobspilger, die bekommen bei uns immer einen Kaffee“
Doch auch die kleinen Kapellen und Dorfkirchen entlang des Pilgerwegs besitzen einen Charme und Reiz, dem wir uns nicht entziehen können. In etlichen von ihnen grüßt Jakobus als Kirchenpatron. Neben all den historischen Gebäuden und der schönen Landschaft machen die Begegnungen mit den Menschen auf dem Weg das Pilgern zu einem besonderen Erlebnis. In einem kleinen Dorf kaufen wir in der Bäckerei Brötchen für unterwegs. "Ihr seid doch bestimmt Jakobspilger, die bekommen bei uns immer einen Kaffee", lädt uns die Inhaberin ein. Ein Auto hält unterwegs. Die Scheibe geht herunter. "Ich bin der Ortsvorsteher. Wenn ihr auf dem Jakobsweg seid, dann müsst ihr da vorne an der Brücke aufpassen. Wegen der Bauarbeiten mussten wir den Jakobsweg kurzfristig verlegen." Und der freundliche Ortsvorsteher zeichnet uns mit Kugelschreiber die geänderte Route in die Wanderkarte ein. In einem kleinen Weiler kommt uns eine Bauersfrau entgegen. "Heute ist es heiß. Ihr habt doch bestimmt Durst. Kommt herein in den Garten in den Schatten. Wollt ihr was trinken, einen Sprudel, ein Radler, einen Eiskaffee hätte ich auch noch da." Es ist Sonntag und wir begegnen Gottesdienstbesuchern. Ein freundliches "Grüß Gott" in unsere Richtung mit dem Hinweis auf den Gottesdienst, "der gleich in unserer Kirche beginnt".
Durch Streuobstwiesen hinauf auf die Höhe, auf den Kamm einer Gletschermoräne aus der letzten Eiszeit. Weit geht der Blick hinein ins Oberschwäbische, und im Süden blinken die Schneefelder auf den Gipfeln der Alpenkette. Wie weiße Tupfer erscheinen die Schwäne, auf dem blanken Stadtsee von Bad Waldsee.

Die kleinen Kapellen entlang des Pilgerwegs haben ihren ganz eigenen Charme – wie die Dreifaltigkeitskapelle in Breitenbach.
Bad Waldsee ist Kurort, hat aber nichts gemein mit dem Flair eleganter Badeorte. Bad Waldsee ist ländlich. Hier "schwätzt" man schwäbisch und setzt in der Waldsee-Therme ganz auf die Kraft des Wassers. Nicht weit entfernt, in Bad Wörishofen, hat Pfarrer Sebastian Kneipp gelebt und gewirkt. Er entdeckte Mitte des 19. Jahrhunderts die Heilkraft des Wassers.
Hinter dem Stadtsee ragen sie empor, die beiden Kirchtürme von St. Peter. Der Baumeister wollte wohl etwas Besonderes schaffen und hat die Türme der Barockkirche um 90 Grad gedreht und damit über Eck gestellt. Sumpfige Niederungen, kleine Waldungen, Wiesen und Felder prägen von jetzt an den Charakter der Landschaft von Bad Waldsee bis Weingarten. Unter uns liegt das weite Tal der Schussen, und im Abendlicht leuchtet die Rundkuppel der Basilika von Weingarten und erinnert an den Petersdom zu Rom. Die Pracht im Inneren der Barockbasilika können wir freilich nur erahnen. Seit Kurzem wird hier renoviert, und es soll noch rund sechs bis acht Jahre dauern, erfahren wir. In der Basilika wird die Heilig-Blut-Reliquie verehrt. Durch den Blutritt hat Weingarten Weltberühmtheit erlangt. Am Tag nach Christi Himmelfahrt ziehen mehr als 2.000 Reiter auf ihren Pferden zu Ehren des Heiligen Blutes in einer Reiterprozession durch die Fluren. Dabei trägt ein berittener Pater vom Benediktinerkonvent in Weingarten die Blutreliquie und segnet die Feldflur. Ein Katzensprung ist es zur nahe gelegenen Stadt Ravensburg. In der Kirche St. Jodok begegnen wir dem Heiligen Jodok, einem weiteren Pilgerpatron. Ähnlich wie der Heilige Jakobus gilt er als Schutzpatron der Pilger, aber auch als Helfer bei Krankheit.

Nach dem Tal der Schussen wandelt sich der Landschaftscharakter.
Einen ganzen Tag führt der Wanderweg durch ein größeres Waldgebiet. Dann ändert sich der Charakter der Landschaft. Von Meckenbeuren an wanden wir durch ausgedehnte Obstanlagen. Den Schwaben ist Meckenbeuren wohl bekannt aus dem Lied "Auf der Schwäb’scha Eisabahna: Schduagard (Stuttgart), Ulm und Biberach, Meckabeura, Durlesbach …" Die Obstplantagen ziehen sich hinunter bis an den Bodensee. Wie ein riesiges Schachbrett muten sie an mit ihren silbrig-grau schimmernden und schwarzen Hagelschutznetzen.
Traumhaft jetzt in Bodenseenähe, immer wieder der Blick von den Anhöhen. Im Süden die Berge, das teilweise mit Schnee bedeckte Massiv des Säntis auf der Schweizer Seite. Und davor leuchtet zartblau zwischen dem Grün der Bodensee. Kurz vor Meersburg streben an den südwärts gerichteten Steilhängen Weinberge dem Bodensee, dem Schwäbischen Meer, zu. Die Römer brachten den Weinbau in diese Gegend. Ihren Namen hat die Stadt Meersburg vom alten Schloss, der Meersburg. Hier lebte auch die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff. Meersburg ist einer der schönsten Plätze am See. Touristen flanieren durch den kleinen Ort, der sich zwischen den Steilhang und den See schmiegt. Silbrig glitzert das Wasser, und drüben in Konstanz führt der Jakobsweg weiter in die Schweiz hinein.
Info: Der Pilgerweg
Der Oberschwäbische Jakobsweg führt in zehn Etappen auf rund 160 Kilometern von Ulm über Biberach und Steinhausen nach Bad Waldsee. Weiter geht es über Weingarten, Ravensburg, Brochenzell und Markdorf nach Meersburg. Der Weg ist mit gelber Jakobsmuschel auf blauem Grund markiert. Ein digitales Unterkunftsverzeichnis, Kartenmaterial und Etappeninformationen auf:
Hinweis: Magazin "Der Pilger"
Der Text stammt aus der bundesweit am Kiosk erhältichen Zeitschrift "Der Pilger – Magazin für die Reise durchs Leben". Ein weiteres Thema der aktuellen Ausgabe lautet: "Heilsam für Körper und Geist – wie wir in der Fastenzeit Ballast abwerfen und die eigene Mitte wiederfinden". Mit Impulsen und Tipps, die durch die Fastenzeit begleiten. Weitere Beiträge in der Frühjahrsausgabe: "Paradies für alle – wie Sie aus ihrem Garten eine blühende Oase machen" und "Die Kraft der Demut spüren". Zudem finden Sie leckere Rezepte rund um die Osterzeit und Schwester Birgit aus dem Franziskanerinnen-Kloster Reute verrät, welche heilenden Kräfte in der Brennnessel stecken.