Afrika und Syrien im Fokus des Moskauer Patriarchats

Auch Russlands Kirche versucht sich an der Expansion

Veröffentlicht am 18.03.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Moskau/Kairo/Berlin ‐ Vor Putins Angriffskrieg auf die Ukraine kam Kyrills Angriff auf Alexandria: Ende Dezember gründete der Moskauer Patriarch neue Diözesen in Afrika – ein Affront gegen die orthodoxe Gemeinschaft mit ungewissem Ausgang. Drohen noch weitere Übergriffe auf angestammtes Gebiet anderer Patriarchen?

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Für die orthodoxe Kirche ist ihre geographische Verbreitung ein zentrales Organisationsprinzip. Der Grundsatz des kanonischen Gebiets, das ein Patriarchat umfasst, und das sich nicht mit der Zuständigkeit anderer Patriarchen überlappt, gliedert die  byzantinisch-orthodoxe Welt, in Abgrenzung zur katholischen Hierarchie mit dem Papst an der Spitze ebenso wie von der protestantischen Vielfalt an Gemeinde- und Kirchenformen.

Konflikte drohen, wo das kanonische Gebiet verletzt wird, tatsächlich oder in der Wahrnehmung. Seit Jahren steht die orthodoxe Kirche vor einer Zerreißprobe, wenn das Tischtuch nicht schon völlig zerrissen ist: Ein erster Höhepunkt war die Gründung der Orthodoxen Kirche der Ukraine im Jahr 2018, die zunächst dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel unterstand und schließlich im Januar 2019 von ihm für autokephal, also eigenständig, erklärt wurde. Daneben besteht nach wie vor die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats im Land – schon diese Parallelität sieht das System der Orthodoxie auf ihrem angestammten Gebiet eigentlich nicht vor.

Die Einheit der Orthodoxie zerbricht an der Ukraine

Das Tischtuch ist zerschnitten: Das Moskauer Patriarchat hat dem Patriarchat von Konstantinopel die Kirchengemeinschaft aufgekündigt. Damit eskaliert der Streit um die orthodoxe Kirche der Ukraine. Der Bruch hat eine lange und verwickelte Vorgeschichte.

Über die Kirchengründung kam es zur Kirchenspaltung: Das Moskauer Patriarchat kündigte dem Konstantinopeler Patriarchat die Kirchengemeinschaft auf. Der Konflikt um die Ukraine zog Kreise. Für Moskau ist die Anerkennung der autokephalen Kirche der Lackmustest: Wer sie anerkennt, steht nicht mehr in Gemeinschaft mit ihr. Bislang sind das Griechisch-Orthodoxe Patriarchat von Alexandria, die Kirche von Griechenland und die Kirche von Zypern den Schritt Konstantinopels mitgegangen.

Neugründung im Patriarchat von Alexandria

Besondere Brisanz hat der Streit im vergangenen Jahr erhalten: Unter Missachtung des kanonischen Gebiets des für das subsaharische Afrika zuständigen Patriarchen von Alexandria teilte das Moskauer Patriarchat mit, ein eigenes Exarchat für ganz Afrika zu gründen: Eigene russisch-orthodoxe Diözesen auf dem seit frühchristlichen Zeiten zu Alexandria gehörenden Gebiet, als dessen erster Patriarch der Evangelist Markus gilt.

"Die russisch-orthodoxe Kirche hat ein Exarchat in Afrika gegründet, das ähnelt dem Status der Kirche in Belarus", erläutert die Ostkirchen-Expertin Regina Elsner. Die Kirche in der ehemaligen Sowjetrepublik untersteht einem Metropoliten, der wiederum dem Moskauer Patriarchen untersteht. "Damit gibt es eine eigene Organisationsstruktur, mit der Gläubigen ein 'kanonisch wahrer' Anlaufpunkt gegeben wird, nachdem das Patriarchat von Alexandrien ins Schisma verfallen wäre", so Elsner weiter: "Das Patriarchat von Alexandrien, das ganz Afrika umfasst, besteht aus sehr unterschiedlichen Kirchen, Gemeinden und Gläubigen. Es ist eine sehr verstreute Minderheitenkirche. Es ist schwer, hier einen Überblick zu gewinnen. Was man aber sieht: Die russisch-orthodoxe Kirche nutzt die kanonische Unklarheit aus, die nach der Anerkennung der Orthodoxen Kirche der Ukraine entstanden ist."

Anfangs waren es 102 Priester, die zur Moskauer Kirche wechselten. Wer sie genau sind, ist dabei von außen nur schwer zu beurteilen, sagt Elsner: "Das sind teilweise dubiose Figuren, die aus dem Dienst entlassen wurden oder das Priesteramt aufgegeben hatten", ergänzt sie. Sicher gebe es überall orthodoxe Priester, die nicht mit der Anerkennung der ukrainischen Kirche einverstanden seien. Eine Rechtfertigung für das Eindringen ins kanonische Territorium einer anderen Kirche sei das aber nicht, betont Elsner, die am Zentrum für Osteuropa- und Internationale Studien in Berlin forscht. Die Reaktion aus Alexandrien war scharf: Die Kirchenleitung sprach von "Neo-Kolonialismus" und verurteilte den "weltweiten Machtanspruch" des Moskauer Patriarchats.

Bartholomaios I., griechisch-orthodoxer Patriarch von Konstantinopel
Bild: ©KNA/epd-bild/Sascha Baumann (Archivbild)

Bartholomaios I., griechisch-orthodoxer Patriarch von Konstantinopel und Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie – seine Anerkennung der neugegründeten ukrainischen Kirche als autokephal führte zu einer Eskalation des Konflikts.

Für das Moskauer Patriarchat spielt das internationale Engagement eine große Rolle. Die Theologin Elsner, die selbst mehrere Jahre für die Caritas in Russland gearbeitet hat, stellt fest, dass die Ukraine seit einiger Zeit in den Medien der russisch-orthodoxen Kirche kaum mehr eine Rolle spielt: "Dafür sind Afrika und Syrien sehr präsent. Man sieht, dass die russische Kirche versucht, ihren Einfluss auf andere Länder zu verstärken – nicht nur ideell, sondern auch institutionell."

Enger Schulterschluss zwischen Kirche und Staat in Russland

Hier zeige sich auch eine enge Verknüpfung mit dem russischen Staat und der russischen Wirtschaft. "Das Exarchat schließt an Strukturen an, die vom russischen Staat und der russischen Wirtschaft geprägt wurden. Der Exarch hat in einem seiner ersten Interviews darauf verwiesen, dass es eine starke finanzielle Unterstützung durch russische Finanziers gebe", erläutert Elsner. Möglicherweise spielen auch finanzielle Interessen in den armen Ländern Afrikas eine Rolle: Die orthodoxe Kirche dort ist arm, mit russischer Finanzierung könnte das Exarchat finanzielle Anreize bieten, die das alexandrinische Patriarchat nicht zur Verfügung stellen kann.

Für die nähere Zukunft erwartete die Theologin keine schnelle Befriedung: "Russland will, dass die Anerkennung der ukrainischen Kirche zurückgezogen wird", betont sie – und dafür gibt es momentan keine Anzeichen, weder beim Patriarchat von Alexandria noch beim Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel. Vielmehr führt die bedingungslose Unterstützung Kyrills I. für die Kriegspolitik des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu weiteren Spannungen innerhalb der Orthodoxie, wo das Moskauer Patriarchat schon länger eher isoliert ist. In Deutschland haben sich die drei russisch-orthodoxen Bischöfe nach der Anerkennung der ukrainischen Kirche aus der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland zurückgezogen. Die Konferenz steht heute deutlich gegen den Angriffskrieg: "Als orthodoxe Bischöfe in Deutschland verurteilen wir die Invasion und den völkerrechtlichen Krieg in der Ukraine und rufen zu Frieden und Verständigung auf", hieß es in einer Mitte März veröffentlichten Erklärung.

Die moralische Verantwortung der russischen Orthodoxie im Ukrainekrieg

Ein Glaubenskrieg ist der Angriff Russlands auf die Ukraine nicht. Doch er sei eine Bekenntnisfrage, betont der Ostkirchenexperte Thomas Kremer: Es gehe nicht nur um christliche Werte, die sichtbar mit Füßen getreten werden, sondern um die religiöse Deutungshoheit über Geschichte und Geopolitik.

Eine über afrikanische Länder hinausgehende Expansion des Moskauer Patriarchats ins kanonische Gebiet der anderen Patriarchate, die die ukrainische Kirche anerkannt haben, scheint vorerst nicht geplant zu sein. In einem Interview wies der neue Metropolit des afrikanischen Exarchats, der Russe Leonid (mit bürgerlichem Nachnamen Gorbatschew) von Klin, Vermutungen zurück, dass auch Übertritte von Priestern in Zypern und Griechenland zum Moskauer Patriarch anstünden.

Neben der Präsenz im subsaharischen Afrika nennt Elsner noch das Engagement in Syrien. "Zwischen Syrien und Russland gibt es langjährige Beziehungen, sowohl politisch wie kirchlich", erläutert die Forscherin. "Russland hat Syrien im Krieg stark unterstützt und auch unter dem Vorwand des Schutzes verfolgter Christen großes Leid angerichtet." Im Nahen Osten engagiere sich Russland unter dem Vorwand der Hilfe für verfolgte Christen, um so die eigene Militärpräsenz zu unterstützen. "Die Strategie Russlands und der Kirche ist es, sich als einzige zu präsentieren, die sich um Christen in Not kümmern", so Elsner weiter.

Absetzbewegungen vom Moskauer Patriarchat

Diese Strategie gehe zwar dort auf, wo Christen tatsächlich Verfolgung und Bedrängnis ausgesetzt sind. Im Westen greife diese Strategie aber nicht, betont Elsner. "Dennoch argumentiert Russland seit Jahren, dass Christen auch im Westen durch liberale Werte unter Druck seien. Russland fühlt sich dafür in der internationalen Gemeinschaft verantwortlich und engagiert sich in internationalen Organisationen wie der UNO und durch Versuche, westliche Gesellschaften zu destabilisieren, gegen liberale Werte."

Auch hier ist das Moskauer Patriarchat ein wichtiger Verbündeter – doch mit Äußerungen wie der, dass der Angriff auf die Ukraine die Gläubigen dort auch vor "Gay-Paraden" schützen will, hat Patriarch Kyrill jüngst den Bogen wohl überspannt. Statt einer weiteren Expansion scheinen derzeit Absetzungs- und Protestbewegungen das drängendere Problem. Noch beschränken sich die Proteste vor allem auf russische Gemeinden und Gläubige außerhalb Russlands. Vor allem die Ankündigung des Klerus der Amsterdamer russisch-orthodoxen Gemeinde, die Kirchengemeinschaft mit Patriarch Kyrill aufzukündigen und um die Aufnahme in die dem Konstantinopeler Patriarchat zugehörige Diözese des Metropoliten Athenagoras von Belgien, den Niederlanden und Luxemburg aufgenommen zu werden, sorgte international für Schlagzeilen. Auch in der Ukraine selbst stellen sich erste Priester des Moskauer Patriarchats gegen Kyrill.

Auch wenn Moskau unter dem Schlagwort "Drittes Rom" kirchlich wie weltlich seinen Machtanspruch über die Grenzen der Russischen Föderation hinaus untermauern will: Innerhalb der Orthodoxie scheint das Moskauer Patriarchat immer mehr isoliert. Trotz anfangs behaupteter Erfolge und angeblicher großer Absetzungsbewegungen vom Patriarchat von Alexandrien scheint es nicht die Impulswirkung gehabt zu haben, die sich das Moskauer Patriarchat damit erhoffte. "Auch in Zukunft müssen wir damit rechnen, dass es das neue russische Exarchat weiter geben wird – die Frage ist, wie groß und einflussreich es sein wird", sagt Elsner.

Von Felix Neumann