Umgang mit Macht: Bistum Chur plant weitreichenden Verhaltenskodex
Das Bistum Chur will als erste Schweizer Diözese einen weitreichenden Verhaltenskodex zum Umgang mit Macht in der katholischen Kirche erlassen. Das 32-seitige Papier, das voraussichtlich im April vom Churer Bischof Joseph Bonnemain unterschrieben und in Kraft gesetzt wird, aber bereits jetzt im Internet abrufbar ist, soll der Prävention von spirituellem Missbrauch und sexueller Ausbeutung dienen. Es umfasst konkrete Qualitätsstandards für "Risikosituationen" im kirchlichen Alltag sowie eine Verpflichtungserklärung, mit der sich kirchliche Mitarbeiter zur Umsetzung des Kodexes verpflichten sollen.
Die Auseinandersetzung mit sexueller Ausbeutung und spirituellem Missbrauch in der Kirche zeige mit aller Deutlichkeit, wie wichtig strukturelle Prävention von Machtmissbrauch sei, schreiben die beiden Präventionsbeauftragten des Bistums, Karin Iten und Stefan Loppacher, im Vorwort des Papiers. Damit die Prävention nicht nur wohlgemeinte Absichtserklärung bleibe, sondern auch im Alltag greife, müsse sie in allen Machtpositionen in die alltägliche Qualitätssicherung einfließen. Mit dem Verhaltenskodex stehe den kirchlichen Verantwortlichen und Mitarbeitenden "eine konkrete Orientierungshilfe mit klaren Ansprüchen, verbindlichen Qualitätsstandards und Impulsen für den notwendigen Dialog zur Verfügung". Als Instrument der Machtreflexion und Qualitätsentwicklung schaffe der Kodex die Grundlagen für ein "im Alltag verankertes, vorausschauendes und gemeinsames Risikomanagement rund um Machtmissbrauch", so Iten und Loppacher.
Konkrete Handlungsanweisungen für den kirchlichen Alltag
Der Verhaltenskodex lege den Fokus auf spirituellen Missbrauch und sexuelle Ausbeutung, da diese beiden Gewaltformen manipulativ aufgebaut würden, stark tabuisiert seien sowie schwerwiegende und langfristige Folgen für die Betroffenen haben könnten. "Zudem sind sie eng miteinander verzahnt. Sexualdelikte sind im kirchlichen Kontext meist direkt mit der Ausübung von geistlicher Macht verwoben", heißt es in dem Papier. Die Vermittlung von religiösen Inhalten, Werten und Idealen sowie die seelsorgerliche Begleitung dürften nicht zur Verstärkung von Abhängigkeiten führen oder für persönliche und kirchliche Interessen missbraucht werden. Vielmehr seien eine "ehrliche Reflexion und ein offener Dialog" erforderlich.
Der Verhaltenskodex listet konkrete Handlungsanweisungen für den kirchlichen Alltag auf. Zu "Zweiersituationen in der Seelsorge" heißt es etwa: "Für das Beichtgespräch suche ich nach transparenten und doch diskreten Möglichkeiten, die eine gute Atmosphäre bieten. Halb abgedunkelte enge Beichtstühle sind dafür nicht geeignet." Und weiter: "Ich vermeide alles, was das Machtgefälle zwischen mir und der begleiteten Person verstärken könnte." Auch die pädagogische Arbeit mit Minderjährigen sowie der Umgang mit der sexuellen Selbstbestimmung und der Privat- und Intimsphäre bei Kinder- und Jugendfreizeiten wird detailliert thematisiert. So heißt es in dem Papier zur Privatsphäre in Schlafräumen unter anderem: "Ich übernachte nicht im selben Raum wie die Kinder und Jugendlichen – zum Schutz beider Seiten." Und unter der Überschrift "Wie den kirchlichen Auftrag vom Privatleben trennen?" steht etwa: "Intime Begegnungen (z. B. Saunabesuche, Wellness, Massagen) in Abhängigkeitsverhältnissen sind nicht zulässig."
Verpflichtungserklärung in Personalakte
Iten und Loppacher betonen, dass der Verhaltenskodex erst durch die wiederkehrende und regelmäßige Thematisierung im Alltag zu einem Kulturwandel beitragen könne. Um die eigene Machtposition immer wieder kritisch zu reflektieren und Risikosituationen professionell zu gestalten, brauche es eine Verankerung des Kodexes im konkreten Arbeitsalltag. "Ein Kulturwandel lässt sich nicht über Papier verordnen", heißt es in dem Dokument.
Zur Verbindlichkeit des Kodexes soll die Verpflichtungserklärung am Ende des Dokuments beitragen. Darin heißt es unter anderem: "Ich verpflichte mich, den vorliegenden Verhaltenskodex der Katholischen Kirche im Bistum Chur umzusetzen, mich in Risikosituationen gemäß den Grundhaltungen und den Qualitätsstandards zu verhalten und diese laufend aktiv im Alltag zu reflektieren und zu konkretisieren." Die Erklärung soll von dem jeweiligen Mitarbeiter sowie einem Vorgesetzten unterschrieben werden und in der Personalakte des Mitarbeiters aufbewahrt werden. (stz)