Hamburgs Erzbischof will Gesprächsfaden mit Katholiken nicht abreißen lassen

Vertrauen zurückgewinnen: Heße stellt sich Fragen von Gläubigen

Veröffentlicht am 19.03.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Hamburg ‐ Erstmals seit seiner Rückkehr ins Amt hat sich der Hamburger Erzbischof Stefan Heße öffentlich Fragen von Kirchenmitgliedern gestellt. Beim Besuch in einer Gemeinde stieß er auf Dialogbereitschaft, aber auch auf Kritik.

  • Teilen:

Fünf Stühle stehen an diesem Abend in der Mitte des Raums einer katholischen Kirchengemeinde im Hamburger Osten. Auf einem nimmt Erzbischof Stefan Heße Platz, auf einem der Moderator. Die übrigen drei sind für Teilnehmer aus dem Publikum reserviert, die abwechselnd nach vorne kommen dürfen, um mit dem Bischof ins Gespräch zu kommen. Es ist ein ungewöhnliches Gesprächsformat in einer ungewöhnlichen Situation.

Ein im März vergangenen Jahres veröffentlichtes Gutachten für das Erzbistum Köln wirft Heße elf Pflichtverletzungen im Umgang mit Missbrauchsfällen vor. Er war in der rheinischen Diözese Personalchef und Generalvikar, bevor er 2015 Erzbischof in Hamburg wurde. Nach der Vorstellung des Gutachtens hatte er dem Papst seinen Rücktritt angeboten, sich in eine Auszeit zurückgezogen und sich nach eigenem Bekunden auf eine neue Aufgabe eingestellt. Als Franziskus den Rücktritt im September für ihn überraschend ablehnte, nahm Heße seine Amtsgeschäfte wieder auf. Seither versucht er, das Vertrauen der norddeutschen Katholiken zurückzugewinnen.

Ohne Soutane und Brustkreuz

In den vergangenen Monaten sprach der 55-Jährige vor allem mit Gremien, Gruppen und Einzelnen. Am Donnerstagabend stellt er sich erstmals öffentlich den Fragen einfacher Kirchenmitglieder. Alle 30 Plätze im Saal der Gemeinde Heilig Geist in Hamburg-Farmsen sind besetzt, rund 80 Menschen verfolgen die Veranstaltung im Livestream. Der Erzbischof ist ohne Gewand und Brustkreuz gekommen und trägt einen schwarzen Anzug. Lediglich Bischofsring und Priesterkragen weisen ihn als Geistlichen aus.

Anfang Februar hatte sich Heße in einem Hirtenwort an die Katholiken seines Bistums gewandt. Wie in einer Art Regierungserklärung hatte er ihnen darin mehr Beteiligung versprochen. Zudem erklärte er die Absicht, neben der Prävention von sexuellem Missbrauch auch soziale und geistliche Angebote zu stärken.

Bild: ©KNA/Torben Weiß

Stefan Heße, Erzbischof von Hamburg, in seinem Büro in der Hansestadt vor dem Gebiet seines Erzbistums.

"Sie haben uns einen Dialog auf Augenhöhe angeboten und wir möchten dieses Angebot annehmen", sagt ein Mann, der auf einem der drei Stühle Platz genommen hat. Allerdings fremdele er mit dem Hirtenbrief und habe daher gemeinsam mit seiner Frau einen alternativen Entwurf formuliert. "Auch ich habe in Köln Fehler gemacht, Menschen enttäuscht, allein gelassen, verletzt, Schuld auf mich geladen", heißt es in dem Schreiben, das der Mann gerne aus Heßes Feder gelesen hätte.

"Ich vermisse in Ihrem Text, als Mensch der dieser Kirche verbunden ist, Begriffe wie Reue, wie Gewissen, wie Schuld", erklärt der Katholik. Er legt dem Erzbischof nahe, sein Bischofshaus zu verlassen und sich in den kommenden sieben Jahren jeweils für drei Monate als Gast in jeder der 28 Großpfarreien des Erzbistums einzuquartieren und in der Seelsorge zu helfen.

In Pfarreien zu gehen sei "charmant"

Heße antwortet, er könne vieles in diesem Text unterstreichen. "Ich kann mit den Begriffen Reue, Gewissen, Schuld, Fehler in diesem Kontext viel anfangen", versichert er. Für ihn sei klar: "Das, was ich da in Köln an Fehlern gemacht habe, das wird ein Leben lang mit mir mitgehen. Das werde ich nie los." Die Vorwürfe belasteten ihn tief. "Und ich weiß nicht, wie lange ich die Kraft habe, das zu tragen."

Die Idee, in die Kirchengemeinden zu gehen, bezeichnet der Erzbischof als "charmant". In seiner Auszeit habe er sich darauf eingestellt, künftig als einfacher Pastor zu wirken. Davor habe er keine Angst gehabt. Allerdings habe ihn Papst Franziskus nun zum Bischof bestellt. Vor dieser Aufgabe wolle er sich nicht drücken und sich künftig für Veränderungen in der Kirche einsetzen, etwa für eine Stärkung der Rolle der Frau.

Bild: ©dpa/Ulrich Perrey

Außenansicht des Hamburger Mariendoms, der Bischofskirche von Erzbischof Stefan Heße.

Aus dem Publikum kommen weitere Fragen nach konkreten Reformen in der Weltkirche und im Erzbistum Hamburg, nach einer Stärkung der kirchlichen Jugendarbeit, nach katholischen Schul- und Kitaplätzen, nach der Position der Kirche im Ukraine-Krieg. Heße hört geduldig zu, macht sich Notizen und antwortet ruhig und sachlich. Manchmal gerät der Rheinländer ins Erzählen oder erlaubt sich einen kleinen Scherz.

Immer wieder betont er, dass er bei seiner künftigen Arbeit Betroffene in den Mittelpunkt stellen wolle. Damit meine er nicht nur die Opfer von sexuellem Missbrauch, sondern auch Menschen, die von Benachteiligung, Armut oder Ausgrenzung betroffen seien. Eine Botschaft, die Heße in den vergangenen Wochen immer wieder in öffentlichen Äußerungen platziert hat und für die er an diesem Abend Applaus bekommt.

Positives Zeugnis für Heße

Viele Teilnehmer stellen ihm ein positives Zeugnis aus. "Ich erlebe Sie als jemanden, der etwas voranbringen will und der nicht zu den Konservativen und Bremsern gehört", sagt etwa Melanie Giering. Die Hamburgerin ist eine der jüngsten Teilnehmerinnen beim bundesweiten Reformprozess der katholischen Kirche, dem Synodalen Weg. Eine Frau dankt Heße für seine "offenen Worte". Und ein Mann meint mit norddeutscher Gelassenheit: "Herr Erzbischof, Sie sind halt so, wie sie sind."

Freilich sind Menschen, die über einen Kirchenaustritt nachdenken oder ihn schon hinter sich haben, an diesem Abend nicht gekommen - zumindest erhebt niemand von ihnen die Stimme. Medienberichten zufolge hat auch in Hamburg die Zahl der Kirchenaustritte zuletzt zugenommen - und damit die Zahl der Menschen, die Erzbischof Heße nicht mehr erreichen wird. Zu den Katholiken, die sich ihrer Kirche weiterhin verbunden fühlen, scheint der Gesprächsfaden mit dem Oberhirten jedoch noch nicht abgerissen.

Von Michael Althaus (KNA)