Zu Besuch bei Stasi und Blasi

Nach zehn Jahren: Der Südturm des Münchner Doms ist wieder zugänglich

Veröffentlicht am 21.03.2022 um 16:20 Uhr – Lesedauer: 

München ‐ "Du wirst fernes Land sehen" – mit diesem biblischen Versprechen sollen Besucher des Münchner Liebfrauendoms ab sofort auf dessen Südturm gelockt werden. In der Tat bietet sich aus fast 100 Metern Höhe ein toller Blick.

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Unter den Hauptsehenswürdigkeiten in München nimmt der Liebfrauendom eindeutig einen vorderen Platz ein. Seine Türme mit den markanten welschen Hauben, für die der Felsendom in Jerusalem als Vorbild diente, dominieren das Stadtbild. Doch: "Außen hui, innen pfui", schrieb eine Zeitung vor einigen Jahren über den Eindruck, den Touristen bisweilen haben, wenn sie das erste Mal das große Gotteshaus betreten. Der schlichte helle Innenraum enttäuscht so manchen, der sich von einer gotischen Kathedrale anderes erwartet. Doch nun wartet der Dom mit einer besonderen Attraktion auf. 

Nach zehn Jahren umfassender Sanierung sind zuletzt nicht nur die Gerüste am Südturm gefallen, ab 22. März ist dieser auch wieder für Besucher geöffnet. Unter dem biblischen Motto "Du wirst fernes Land sehen" wird ein atemberaubender Ausblick auf die Innenstadt versprochen – und auch gehalten. Bei Föhnlage entsteht sogar der Eindruck, als seien die Berge zum Greifen nah. Unter den insgesamt 16 Fenstern schätzt Dompfarrer Klaus Peter Franzl vor allem jenes, das ihm – "ich bin Bayern-Fan" – die Sicht freigibt auf die Allianzarena im Norden. Acht Bildschirme geben Informationen per Touchscreen über markante Gebäude.

Zwischen 1.500 und 2.000 Besucherinnen und Besucher kommen täglich in den Dom. Gleich nach dem Hauptportal und dem sagenumwobenen Teufelstritt im Boden finden sie nun im hinteren Bereich einen modernen Info-Point. Ein Monitor, der einem schönste Bilder aus dem oberbayerischen Voralpenraum zeigt, verkürzt die Zeit, bis endlich das grüne Licht aufblinkt und die Schranke durchschritten werden kann für die Turmbegehung. 86 Stufen auf einer schmalen Wendeltreppe muss jeder hoch, bis er endlich den Zwischenstopp erreicht, wo der Aufzug abgeht.

München, Kirche, Liebfrauendom
Bild: ©davis/Fotolia.com

Als seien die Alpen zum Greifen nah.

Nur immer vier Personen dürfen in Corona-Zeiten in den Lift. Das Warten ist aber nicht langweilig. Auf großen Bildschirmen kann man sich über die Geschichte des Doms informieren. 1468 wurde unter der Leitung des "Meisters Jörg, Maurer aus Halspach" der Grundstein für die Kirche gelegt. In nur 20 Jahren war sie fertig. Die Türme bekamen ihre Hauben erst 36 Jahre später: Durch den Landshuter Erbfolgekrieg war zunächst kein Geld mehr da. Außerdem war inzwischen der Architekt gestorben.

Vom Nordturm in den Tod gestürzt

Geschichten rund um den Dom gibt es viele. Dazu gehört auch jene der Fanny von Ickstatt. Das Mädchen war erst 17 Jahre alt, als es sich am 14. Januar 1785 vom Nordturm in den Tod stürzte. Vermutet wird, dass es aus Kummer geschah, weil sich die Mutter gegen ihre Verbindung mit dem Offizier Franz von Vincenti stellte. Suizid oder doch Unfall? Die Tragödie wurde zum Stadtgespräch. Auf Fannys Nachttisch fand sich Goethes Roman "Die Leiden des jungen Werthers", der damit endet, dass sich der verzweifelt Verliebte umbringt. Der Dichterfürst hörte von Fannys Schicksal und besuchte Jahre später den Ort des Unglücks.

Für Schlagzeilen positiver Art sorgte am 9. April 1819 Anton Adner aus Berchtesgaden. Der rüstige Hausierer erklomm an diesem Gründonnerstag ohne fremde Hilfe die 486 Stufen des Domturms. Was daran so besonders war? Der "Mann mit seinen Silberhaaren, klein und mager von Gestalt, aber noch frisch und froh" hatte das stattliche Alter von 114 Jahren. König Max I. Joseph zeigte sich so beeindruckt, dass er ihn wiederholt zur königlichen Fußwaschung einlud und fortan für ihn sorgte, wie es heißt.

Das erste in Deutschland aufgenommene Foto wurde 1839 von der Münchner Frauenkirche geschossen. Gerade 4 mal 4 Zentimeter groß ist das Original, das im Deutschen Museum aufbewahrt wird. Darauf zu sehen ist die Frontfassade der Kirche mit ihren Türmen, die im Volksmund liebevoll "Stasi" und "Blasi" genannt werden. 99 und 100 Meter hoch sollen sie sein. Doch Dompfarrer Franzl winkt ab. Der Unterschied sei nur minimal. Jedenfalls fällt er beim Blick aus dem Fenster der Domstube nicht wirklich auf.

Von Barbara Just (KNA)