Stetter-Karp: Ohne Reformen werden Katholiken nicht ernst genommen
Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, freut sich darauf, beim Stuttgarter Katholikentag nach knapp zweieinhalb Jahren Pandemie wieder direkt mit Menschen sprechen zu können. Im Interview erläutert sie auch, wie die Themen Corona, Krieg und Kirchenkrise bei dem Christentreffen Ende Mai vorkommen.
Frage: Frau Stetter-Karp, nicht nur Corona stellt Sie bei der Vorbereitung des Katholikentages vor logistische Probleme, wie es sie wohl noch nie bei einem solchen Treffen gegeben hat. Wie gehen Sie damit um?
Stetter-Karp: Wir mussten und müssen große Flexibilität an den Tag legen und auf Sicht fahren. Immer wieder galt es, das Programm anzupassen, beispielsweise die Pandemie und jetzt auch den Krieg inhaltlich zu berücksichtigen.
Hinzu kommt: Die meisten scheinen sich immer kurzfristiger anzumelden, und dieses Verhalten wird durch Corona, aber auch durch den Krieg und die Kirchenkrise noch verstärkt. Wir werden deshalb erst sehr spät sagen können, wie viele sich für eine Dauerteilnahme oder für Tagesbesuche entschieden haben.
Frage: Ist wegen Krieg und Corona die Haltung entstanden, jetzt erst recht einen Katholikentag zu machen?
Stetter-Karp: Nein. Trotz ist keine gute Reaktion. Es geht um Beharrlichkeit, Standvermögen und Zuversicht. Dass es einen Katholikentag in Stuttgart geben würde, ist ja schon lange bekannt. Weit im Voraus muss auch geplant werden, schon weil die gastgebende Diözese viele Vorbereitungen zu treffen hat. Und natürlich hat gerade in diesen Zeiten ein Katholikentag der Welt etwas zu sagen. Wir alle waren jetzt sehr lange auf enge Räume verwiesen – und haben jetzt wieder die Chance, andere direkt zu treffen.
Frage: Worauf freuen Sie sich besonders beim Katholikentag?
Stetter-Karp: Endlich wieder mit Menschen direkt sprechen, über die aktuellen Probleme diskutieren zu können. Bei Katholikentagen kommen Menschen aus Politik, Gesellschaft, Kirchen und Religionen aus dem In- und Ausland zusammen. Sie alle eint das Interesse, die Welt besser machen zu wollen. Besonders gespannt bin ich auf das, was zum Krieg gegen die Ukraine gesagt wird.
Frage: Haben denn die Kirchen noch etwas zu sagen zu den großen Themen der Zeit: Krieg und Frieden, Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit?
Stetter-Karp: Das Programm zeigt, dass diese Herausforderungen ganz vielfältig zur Sprache kommen: Weltweite Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit stehen ebenso auf der Tagesordnung wie die Globalisierung, es gibt eine Ausstellung zu den Folgen der Klimakrise. Innenpolitisch geht es auch um Rechtspopulismus und Feindschaft gegenüber Juden. Das Lieferkettengesetz, Flucht und Migration, aber auch europäische Fragen und der Umgang mit der Pandemie werden behandelt.
Frage: Das geschieht anderswo auch.
Stetter-Karp: Nennen Sie mir einen anderen Ort, an dem über vier Tage Menschen aus ganz unterschiedlichen Arbeitsfeldern und Lebenssituationen direkt miteinander nach Lösungen für Weltprobleme suchen, ihre Sichtweisen austauschen, Netzwerke für die Zukunft knüpfen, den Glauben als Kraftwerk für Veränderungen nutzen! Was uns besonders auszeichnet: Wir behandeln diese Fragen nicht eurozentrisch, bei uns kommen auch Gäste und Partner aus dem globalen Süden zu Wort. Diese Vielfalt bei der Suche nach Antworten ist unser Plus. Denn die Zukunftsfragen machen ja nicht an den europäischen Grenzen halt. Wir sind als Katholiken Teil der einen Welt.
Frage: Alt-Bundespräsident Christian Wulff hat einen weltweiten Aufschrei der Christen gegen die unsäglichen Äußerungen des russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill zum Krieg gefordert. Wie kommt die Orthodoxie in Stuttgart vor?
Stetter-Karp: Die Orthodoxie ist eine Welt der Vielfalt. Es werden orthodoxe Christen auf dem Katholikentag vertreten sein, nicht aber Kriegstreiber. Mit Blick auf die russisch-orthodoxe Kirche stehen wir vor einer großen Spannung: Wir dürfen Kyrills Begründung des Krieges auf keinen Fall tolerieren.
Frage: Kommen auch Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche?
Stetter-Karp: Zu einzelnen Personen kann ich noch nichts sagen. Wir wollen aktuell reagieren, müssen aber auch gewissenhaft und verantwortungsvoll prüfen, wer auf einem Podium mitwirken kann. Deshalb wird möglichst spät entschieden, ob und welche Vertreter dieser Kirche kommen.
Frage: Sie haben die Kirchenkrise genannt. Einerseits müssen Themen wie Macht, Missbrauch und der Umgang mit Frauen angesprochen werden, andererseits wollen sie aber auch keine Nabelschau betreiben.
Stetter-Karp: Nabelschau halte ich für keine wirkliche Gefahr. Wir alle müssen uns neue Fragen gefallen lassen. Auch die, wo wir bislang die Augen vor der Wirklichkeit verschlossen haben. Wegsehen hilft in unserer Kirche so wenig wie bei den politischen Fragen. In 31 Veranstaltungen befassen wir uns deshalb mit den Themen des Synodalen Weges. Ohne Reformen werden wir als Katholikinnen und Katholiken im öffentlichen Raum nicht mehr ernst- und wahrgenommen. Wir lassen also weder die politischen noch die kirchlichen Probleme aus dem Blick.
Frage: Der Synodale Weg gerät aber zunehmend unter Druck, auch international. Halten Sie es nicht für ein Problem, wenn auf Veranstaltungen die altbekannte Reformagenda thematisiert wird, ohne dass konservative Stimmen zu Wort kommen?
Stetter-Karp: Die Teilnehmenden stehen keineswegs nur für eine Richtung. Und was das Ausland angeht: Von dort kommt nicht nur Kritik, sondern auch viel Zustimmung, zuletzt von den österreichischen Laien.
Frage: Aber das ändert nichts daran, dass Konservative wie Kardinal Woelki und Bischof Voderholzer nicht vorkommen.
Stetter-Karp: Ich hätte mich gefreut, wenn sie teilgenommen hätten. Ich will das Fernbleiben aber nicht überbewerten.
Frage: Zum Schluss eine Frage nach den Zahlen: Wie viele kommen, wie hoch ist die Zahl der Veranstaltungen, und was kostet der Katholikentag.
Stetter-Karp: Die Frage nach der Teilnehmerzahl lässt sich jetzt nicht seriös beantworten, täglich kommen viele Anmeldungen hinzu. Und vielleicht bescheren uns der Mai und gutes Wetter noch mehr Gäste. Ganz klar wird dieser Katholikentag aber ein eher kleinerer werden, denn es hat einfach zu lange gedauert, die hohen Inzidenzen nach unten zu drücken. Da bucht man nur schwer im Voraus eine Karte.
Geplant sind rund 1.500 Veranstaltungen, und der planmäßige Haushalt liegt bei zehn Millionen Euro. Gedeckt wird das durch Eigenmittel, aber auch durch die unverzichtbaren Zuschüsse des Bistums, des Verbandes des Diözesen Deutschlands, der Stadt, des Landes und vom Bund. Unter dem Strich hoffen wir auf eine schwarze Null.