Ordensmann und Autor: Das fasziniert mich an Charles de Foucauld
Der Priester und Buchautor Andreas Knapp hat sich vor über 20 Jahren der Gemeinschaft der "Kleinen Brüder vom Evangelium" angeschlossen, die sich auf die Spiritualität de Foucaulds beziehen. Anlässlich der Heiligsprechung Charles de Foucaulds spricht Knapp über seinen Weg in den Orden und gelebte Geschwisterlichkeit
Frage: Bruder Andreas, wie haben Sie Charles de Foucauld für Ihr Leben entdeckt?
Knapp: Schon zu Beginn meines Studiums in Freiburg war Carlo Carretto, einer der Kleinen Brüder, ein sehr bekannter geistlicher Schriftsteller. Ich wurde neugierig und habe eine Biografie über Charles de Foucauld gelesen – so ist er mir früh vertraut geworden.
Frage: Und was fasziniert Sie so, dass Sie ihm ein Stück gefolgt sind?
Knapp: Charles de Foucauld hat sich vom Evangelium stark inspirieren lassen. Vor allem von dem Aspekt des Lebens von Nazareth: Gott ist in Jesus Mensch geworden und hat dann in einem ganz normalen, unspektakulären Umfeld viele Jahre gelebt. Für Charles de Foucauld wurde das ein Zeichen dafür, dass Gott in den gewöhnlichen Situationen des Alltags zu finden ist und dass er sich jenen Menschen besonders zuwendet, die am Rand stehen, diskriminiert werden und nicht so interessant sind.
Frage: Wie kam es, dass Sie schließlich selbst Ihr Leben danach ausgerichtet haben und in einen Orden eingetreten sind?
Knapp: In mir ist eine Sehnsucht gewachsen. Ich war fasziniert von Charles de Foucauld und von Menschen, die in seinem Geist gelebt haben. Ich hatte inzwischen Kontakte zu den Kleinen Schwestern Jesu und zu den Kleinen Brüdern Jesu. Mich hat ihre Lebensweise sehr fasziniert: in kleinen Gemeinschaften, in einem sehr einfachen Lebensstil im Gebet zusammen zu sein, den Alltag zu teilen – und das inmitten von Menschen, die sozial eher am Rand stehen. Wir als kleine Brüder leben mitten in einem sozialen Brennpunkt oder einem Ort, wo man nicht unbedingt eine Ordensgemeinschaft oder kirchliche Präsenz vermuten würde.
Frage: Das klingt nach einem ziemlich radikalen Lebensentwurf. Was war für Sie so attraktiv daran?
Knapp: Mir hat die Vorstellung gefallen, in einer kleinen Gemeinschaft zu leben, wo alle ähnliche Vorstellungen oder Lebensideale haben. Dieses Teilen von Gemeinschaft ist etwas sehr Schönes. Für mich ist das nicht schwer und keine Form von Askese, sondern etwas, das mir viel Freude bereitet.
Sicherlich spielt auch eine Rolle, dass wir durch unsere Lebensform nahe Kontakte mit Menschen haben, etwa zu Geflüchteten oder anderen Menschen, die sich am Rand unserer Gesellschaft wiederfinden. Solche menschlichen Beziehungen können unglaublich bereichernd sein. Mich haben auch eine gewisse Regelmäßigkeit im Gebetsrhythmus angesprochen, der geistige Austausch, die Gastfreundschaft und auch der Zusammenhalt unserer Gemeinschaft in der ganzen Welt.
Frage: Gibt es etwas, das wir heute von Charles de Foucauld lernen können?
Knapp: Charles hat sich selber einmal als Bruder aller Menschen bezeichnet. Ungeachtet von Nationalität und Religion wollte er damals den Menschen in Nordafrika, die im Kolonialismus ausgebeutet wurden, geschwisterlich begegnen. Das hat er über viele Jahre sehr eindrucksvoll gelebt.
Dieser Gedanke einer universellen Geschwisterlichkeit ist heute eine starke Botschaft – in einer Zeit, in der nationale Eigeninteressen und identitäre Bestrebungen eine zunehmende Rolle spielen. Für Charles de Foucauld leitet sich die Geschwisterlichkeit aus dem christlichen Glauben ab, dass Gott in Jesus von Nazareth Mensch geworden ist. Damit ist jeder Mensch – egal welcher Herkunft oder Rasse – ein Kind Gottes. Das hat er jeden spüren lassen.
Frage: Was bedeutet es Ihnen, dass Charles de Foucauld nun heilig gesprochen wird?
Knapp: Es ist noch einmal eine offizielle Bestätigung seines Wirkens und seiner so menschennahen Spiritualität. Sein beispielhaftes Leben wird damit einmal mehr zum Leuchten gebracht. Auch dass Papst Franziskus ihn in seiner jüngsten Enzyklika "Fratelli tutti" zitiert, ist für uns ein Zeichen, dass dieser Weg von der Kirche begleitet und empfohlen wird.
„Dieser Gedanke einer universellen Geschwisterlichkeit ist heute eine starke Botschaft – in einer Zeit, in der nationale Eigeninteressen und identitäre Bestrebungen eine zunehmende Rolle spielen.“
Frage: Herausforderungen durch die Klimakrise, Inflation, zunehmende Vereinsamung – sehen Sie Ihr Lebensmodell auch als zukunftsweisend?
Knapp: Wir verstehen uns nicht als Protestbewegung. Doch die Spiritualität von Charles kann jeder und jedem eine Richtschnur sein – jeder kann an seinem Platz im Alltag die Welt ein bisschen besser, geschwisterlicher und menschlicher machen.
Aber in der Tat, wenn wir auf das große Ganze unserer Welt schauen, auf das, was ökologisch dringend notwendig ist, dann braucht es einen anderen Lebensstil, damit alle Menschen in einer gerechten Weise an den Gütern der Erde teilhaben können. Mit Blick auf die ungerechte Verteilung zwischen westlichen und völlig abgehängten Ländern braucht es ein großes Umdenken.
Frage: Passend dazu lautet der Titel Ihres Buches über die Spiritualität Charles de Foucaulds "Wer alles gibt, hat die Hände frei" ...
Knapp: Viele Menschen spüren inzwischen, dass das, was die Konsumgesellschaft versprochen hat - dass man auf diese Weise glücklich und ausgefüllt ist – irgendwann schal und hohl wird. Sie merken, dass es nicht alles sein kann, eingespannt in die Maschinerie des Konsumierens von einem Vergnügen ins nächste zu jagen. Irgendwann erschöpft sich das. Und dann kommt der Hunger nach Werten, die das Leben wirklich ausfüllen und eine größere Tiefe haben.
Die Art, wie die Gemeinschaften um Charles de Foucauld leben, kann da, glaube ich, manche Anstöße geben. Aus unserem Erleben können Gemeinschaft, Austausch, Geschwisterlichkeit, der Weg nach innen durch Stille und Gebet und ein solidarisches Mitleben in der Tiefe mehr ausfüllen als die oberflächlichen Angebote der Konsumgesellschaft. Wir spüren jeden Tag, dass ein Leben mit leeren Händen sehr erfüllend sein kann.
Frage: Sie schreiben, dass Sie sich allen Widrigkeiten zum Trotz die Hoffnung nicht rauben lassen. Haben Sie einen Tipp, wie man trotz aller aktuellen Krisen und Kriege zuversichtlich bleiben kann?
Knapp: In der Begleitung von Geflüchteten aus Syrien - Menschen, die alles verloren haben - hat mich sehr berührt, dass sie mit einer sehr großen Hoffnung wieder neu anfangen. Ihre Heimat und ihr Zuhause sind zerstört, sie haben viel Gewalt erlebt. Wenn selbst diese Menschen mit so viel Energie und Zuversicht nach vorne schauen, dann ist das auch für mich ein Ansporn, Hoffnung zu schöpfen und nicht zu resignieren. Ich habe vor allem von jenen Menschen Zuversicht gelernt, die schon viel Schweres mitgemacht haben.
Auch Jesus Christus kann eine starke Hoffnungsquelle sein. Mit Blick auf unseren christlichen Glauben dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott uns immer wieder Neuanfänge schenkt - auch dort, wo Katastrophe, Scheitern und Zerbrechen sind. Wo Kreuz und Leid sind, gibt es immer auch Hoffnung auf Auferstehung und einen neuen Anfang, den wir nicht in der Hand haben.