Am Anfang war die Intrige
Das Dauergedränge und der trotz Lautsprecherdurchsagen immer wieder anschwellende Geräuschpegel lassen die religiöse Rolle der Sixtina als Wahlort der Päpste oft vergessen. Am Mittwoch steht für die Papstkapelle ein Jubiläum an: Vor 500 Jahren stellte Michelangelo die Deckenfresken fertig und präsentierte sie seinem begeisterten Auftraggeber Papst Julius II. (1503-1513) und der Stadt Rom.
Die Erschaffung von Adam und Eva
Das Fresko, dem Michelangelo 25 Jahre später mit dem "Jüngsten Gericht" ein zweites Meisterwerk hinzufügte, stellt die Anfänge der Welt und der Heilsgeschichte dar. Eingebettet in eine Scheinarchitektur und umgeben von Propheten und Sibyllen zeigt es in einem ersten Teil die Erschaffung der Welt, die Scheidung von Licht und Finsternis, die Erschaffung der Sterne und den Geist Gottes, der über den Wassern schwebt. In drei weiteren Bildern folgt die Schöpfung des Menschen mit der weltberühmten Erschaffung des Adam, der Eva und der Vertreibung aus dem Paradies. Weitere Fresken zeigen Szenen aus dem Leben des Noah, sein Opfer und die Sintflut.
Begonnen hatte das Projekt freilich mit einer Intrige. Neider des Bildhauers Michelangelo Buonarroti (1475-1564), darunter sein Berufskollege Bramante, empfahlen ihn dem Papst für die Neugestaltung der Kapellendecke. Sie erwarteten, dass Michelangelo, der gerade mit einem gewaltigen Grabmonument für Julius II. beschäftigt war und der als Maler kaum Erfahrungen hatte, sich mit diesem Projekt gründlich blamieren würde.
Der Schleier des Geheimnisvollen
Michelangelo konnte sich des päpstlichen Auftrags nicht widersetzen - und erledigte ihn praktisch im Alleingang. Die anfangs aus Florenz hinzugezogenen Kollegen wurden bald wieder nach Hause geschickt; der Künstler ließ sich nur von einem Farbenmischer unterstützen. Zudem umgab er seine Arbeit mit dem Schleier des Geheimnisvollen: Niemand durfte die unvollendeten Fresken sehen. In den Bereich der Legende gehört freilich die These, Michelangelo habe die Deckenfresken liegend gemalt - und die Farbe sei ihm in den Bart getropft.
Rekonstruktionen seines Gerüsts haben ergeben, dass der Maler bei dieser Arbeit durchaus sitzen und sogar stehen konnte. Seine Halswirbelverkrümmung rührte nicht von diesem Auftrag her, sondern weil er bei seiner Arbeit stets den Kopf in den Nacken hielt.
Fast wäre er vom Gerüst geworfen worden
Michelangelo habe sich bisweilen darüber beklagt, dass der Papst ihn zur Hast angetrieben und er die Arbeit am Deckenfresko nicht wunschgemäß habe ausführen können, schrieb der Künstler-Biograph Giorgio Vasari (1511-1574). Julius II. habe ihm sogar gedroht, ihn vom Gerüst zu werfen, wenn er nicht bald fertig werde. "Worauf denn Michelangelo unverzüglich das Fehlende vollendete, das restliche Gerüst wegnahm und am Morgen von Allerheiligen, als der Papst in der Kapelle die Messe las, sein Werk zur Befriedigung der ganzen Stadt aufdeckte."
Als das Deckenfresko der Sixtina in den 1980er Jahren gereinigt wurde, gab es viel Bewunderung und Beifall, aber auch Entsetzen und Kritik. Die zuvor düsteren Fresken waren auf einmal hell und bunt - zu grell und poppig, wie mancher meinte. Erst als auch die übrigen Teile der Kapelle, insbesondere das "Jüngste Gericht" vom Schmutz und Kerzenruß der Jahrhunderte gesäubert wurden, relativierte sich das Bild. Denn auch in diesem Spätwerk Michelangelos strahlte nun das originale Ocker, Blau, Hellgrün und Gelb wieder auf, und es bot sich das Bild eines einheitlichen Ensembles.
Drei Millionen Besucher jährlich
Verbessert werden soll demnächst die Beleuchtung der Kapelle, wie aus dem Vatikan verlautete. Gedanken macht man sich unterdessen über die Belastung der Fresken durch die ständig steigenden Besucherzahlen. Gefahr droht vor allem von aufgewirbeltem Staub, von Schweiß und Ausdünstungen. Die Kapelle hat eine ausgefeilte Klima- und Luftfilteranlage - die allerdings noch auf drei Millionen Besucher jährlich ausgelegt war.
Von Johannes Schidelko