Das ewige Versprechen
Es war ein unvergesslicher Augenblick an jenem 20. Januar 2009: Wie US-Präsident Barack Obama den Eid auf die Verfassung der USA ablegte und damit zum mächtigsten Mann der Welt wurde. Erst mit dem Schwur auf die Bibel und dem Nachsprechen des Verfassungstextes wurde der neu gewählte US-Präsident offiziell in sein Amt eingeführt. Ein Eid, der ihn bis zu seinem Amtsende bindet – es ist vielleicht das bedeutendste Ritual der amerikanischen Verfassung.
Etwas ähnliches wie den öffentlichen Eid gibt es auch im Christentum: das Gelübde. Alle großen Religionen kennen Gelübde. Das Gelübde ist ein aus freien Stücken Gott gemachtes Versprechen, durch das sich der Mensch bindet. Das kann in ganz konkreter Gestalt gegebenenfalls auch in Verbindung mit einer Sachleistung zum Beispiel eine Geldspende oder eine Wallfahrt sein. Anders als beim vorgeschriebenen Amtseid bringt der Mensch dabei aus freiem Willen sein Vorhaben dar, er verzichtet etwa auf Alkohol, um damit Gott für ein bestimmtes Anliegen "gnädig" zu stimmen. Aus der Bibel beispielsweise kennen wir die Mutter Simsons, die ein Gelübde ablegt, weil sie unfruchtbar ist und nun hoffen kann, doch noch schwanger zu werden.
Klassischer Dreiteiler
Bis heute legen alle Ordensleute in der katholischen Kirche Gelübde ab: entweder zeitlich befristet oder - wie bei den meisten Orden nach einer längeren Probezeit - ein Leben lang. Jeder Klosterbruder und jede Ordensschwester verpflichtet sich in seinen Gelübden dazu, arm, ehelos und gehorsam dem Vorgesetzten gegenüber zu leben. In der Ordensgeschichte ist diese Dreiteilung ein Klassiker, aber für das moderne Lebensgefühl wohl das genaue Gegenteil dessen, was man eigentlich will: wirtschaftliche Unabhängigkeit, ein erfülltes Sexualleben und möglichst viel Selbstbestimmung.
Was aus der heutigen Sicht einer Konsum- und Überflussgesellschaft schwer zu vermitteln ist, hat seine Ursprünge allerdings schon in der religiösen Praxis sowohl der jüdischen als auch römischer Tradition. Gerade das vielleicht ursprünglichste Gelübde der Ehelosigkeit will das Streben nach Vollkommenheit und die Lebenshingabe als Mittel der engeren Gottesbindung zum Ausdruck bringen.
Deutliche Verzichte
"Natürlich sind die Verzichte deutlich: Sie sind - manchmal schmerzhaft - anzunehmen und zu integrieren", sagt der Jesuit Stephan Kiechle, der jahrelang für die Heranführung junger Menschen an die Gelübde zuständig war. Grundsätzlich bedeuten Gelübde aber nach Ansicht von Pater Kiechle auf Dauer eine Lösung des Menschen von den Fixierungen auf sich selbst: "Wer sich in Gelübden fest bindet, hat für sich eine Klarheit und Verbindlichkeit geschaffen, die ihn freier, entschiedener und zielstrebiger macht. Zu jedem glücklichen Leben gehören wohl solche Bindungen - die Ehe oder eine berufliche Festlegung sind da ganz ähnlich."
Dennoch bedeuten gerade die Gelübde einen sehr radikalen Schritt, sie signalisieren den Einsatz für eine zukünftige Welt, die nach den Werten und Vorstellungen eines Jesus von Nazareth strebt. "Wer es fassen kann, der fasse es", sagt Jesus im Matthäusevangelium und meint damit den sinnvollen Einsatz, ein Leben ohne Partner und sexuell enthaltsam zu führen.
Vorschlag für eine bestimmte Lebensweise
Aber ein so radikales Leben, das weiß auch der Nazarener, ist nicht für alle Menschen geeignet. Er selbst hat die enthaltsame und arme Lebensweise, die er vorlebte, niemals zur ewig gültigen Richtschnur erhoben: Es ist nur ein Vorschlag für eine bestimmte Lebensweise. Jesus hat im Evangelium zu diesem Leben "geraten". Es ist somit eine dynamische Lebensform, in der man ein Leben lang reifen kann. "Wenn man Gelübde ablegt, ist das nichts Starres, sondern man lässt sich genau auf diese Dynamik ein", sagt Pater Kiechle.
Die evangelischen Räte möchten so Ansporn sein, seinem Leben einen tieferen Sinn auf der Ebene des Glaubens zu geben. Sie signalisieren: Das Reich Gottes kann jetzt schon nahe kommen (Markusevangelium 1,15), wenn die Menschen in Solidarität und nach den Anweisungen Jesu leben. "Sie geben Freiheit für den Dienst: Man ist nicht gebunden an Besitz, nicht an Partnerschaft und auch nicht daran, seine Biographie selbst konstruieren zu müssen. Diese Freiheit motiviert", so der Jesuit Kiechle.
Von Markus Schüppen