Die Herausforderung des Gelübdes

Veröffentlicht am 06.01.2015 um 23:56 Uhr – Lesedauer: 
Dossier: Gelübde

Als der 22-jährige Martin am 2. Juli 1505 auf dem Weg nach Erfurt in ein äußerst heftiges Unwetter gerät, legt er in seiner Todesnot ein Gelübde ab: "Heilige Anna, hilf! Lässt Du mich leben, so will ich ein Mönch werden", wimmert er immer wieder vor sich hin. Martin Luther hat sich in seiner Todesangst an sein Gelübde geklammert.

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Der Entschluss ins Kloster zu gehen, führt sogar zum Bruch mit dem Elternhaus. Doch zwölf Jahre später bricht er auch mit den Klostergelübden, schlussendlich trennt er sich sogar vollständig von der katholischen Kirche. Für Luther ist der Ablasshandel der Kirche, ihr kommerzielles Gewinnstreben mit den Sündenstrafen so kritikwürdig, dass er sich fortan weder an seine Gelübde noch an die Kirche gebunden fühlt. Alle Gelübde sind für ihn seitdem wertlos geworden.

Die katholische Kirche hält dagegen bis heute an der Verbindlichkeit von Gelübden fest. Und das aus einer langen Tradition heraus. Bereits der heilige Benedikt von Nursia (480-547) kennt in seiner Regel die Gelübde der Ortsbeständigkeit, des klösterlichen Lebenswandels (conversatio morum) und des Gehorsams, die jeder Bruder nach der einjährigen Probezeit (Noviziat) vor der Gemeinschaft ablegt.

Benedikts Regeln als Richtschnur

Die Regel Benedikts durchwirkte die westliche Gesellschaft bis ins hohe Mittelalter hinein und war in dieser Zeit fast alleinige Richtschnur als Mönch oder als Nonne zu leben. Erst im ausgehenden 11. Jahrhundert entstehen neben den etablierten Klöstern, die nach der Benediktsregel leben (Benediktiner) neue Orden, die ihre Motivation aber aus der ursprünglichen Rückbesinnung auf die Strenge der Regel beziehen. Die ersten Zisterzienser etwa betonen in ihren frühen Ordensdokumenten, der Grund aus den angestammten Klöstern wegzuziehen sei, dass man die Regel Benedikts wieder in ihrer "ursprünglichen Reinheit" leben wolle.

Die Rückbesinnung ist das Startsignal einer einzigartigen Erneuerungsbewegung, die das klösterliche Leben im 13. Jahrhundert auch weiter differenziert: neue Klöster und Orden wachsen wie Pilze aus dem Boden: die Karthäuser, die Prämonstratenser, die Karmeliten entstehen, später kommen dann Franziskaner und Dominikaner dazu. Mit der Erneuerung zergliedert sich auch der Schwerpunkt der Gelübde: steht für die einen etwa die sexuelle Enthaltsamkeit im Vordergrund, legen die anderen ihr Hauptaugenmerk auf die Armut und leben allein vom Betteln (Franziskaner).

Heuchlerische Lebensweise

Zur Zeit Luthers im 16. Jahrhundert war die Vorreiterrolle und Erneuerungsbewegung des christlichen Ordensleben allerdings längst vorüber, im Gegenteil versuchten viele Klöster zumeist ihre Pfründe zu sichern, und schreckten auch vor heuchlerischer Lebensweise nicht zurück. All das verleidete dem Augustinermönch Luther die Lebensweise so sehr, dass er den ganzen Ordensstand ablehnte. Bald darauf heiratete er die Zisterzienserin Katharina von Bora. Nach Luther erwuchs das Ordensleben aus dem menschlichen Bedürfnis, Gott gegenüber eine Sicherheit vorweisen zu wollen. Nach dem Motto: ich kann ja durch meine Gelübde Gott etwas bieten.

Seit Luther hat sich das Leben mit den Gelübden in der katholischen Kirche wiederum mehrere Male gründlich reformiert. Die erste Antwort auf die Reformation Luthers gaben bereits Mitte des 16. Jahrhunderts die Jesuiten, die dem Individualismus der Reformatoren ihr Gehorsamsversprechen dem Papst gegenüber an erste Stelle setzten.

Erneuerung durch das Konzil

Das zweite Vatikanische Konzil (1962-65) hat das Ordensleben und die Gelübde vor allem wieder an die Botschaft und Lebensweise Jesu ausgerichtet: es geht nicht so sehr um individuelle Erfüllung von einzelnen Pflichten, die Gelübde mit sich bringen sollen, sondern um das Zeichen, die Ausrichtung, die sie darstellen.

Alle Ordensgemeinschaften berufen sich seitdem auf die klassische Dreiteilung der Gelübde in Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam. Das Gelübde der Armut fordert heraus, in Einfachheit und Gütergemeinschaft zu leben. Das Gelübde der Ehelosigkeit will die Liebesfähigkeit und innere Freiheit des Menschen in seinen Beziehungen stärken. Und das Gelübde des Gehorsams lässt immer wieder nach dem Willen Gottes fragen, indem man auf seine Stimme und aufeinander hört und achtsam den Anspruch der Wirklichkeit wahrnimmt.

Von Markus Schüppen