Vom Scheitern der "Ewigkeit"
"Der Herr behütet dich vor allem Bösen, er behütet dein Leben. Der Herr behütet deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit", so heißt es im Psalm 121. Dieser Vers begleitet das einzelne Ordensmitglied bei den Benediktinern bis heute beim Ablegen der ewigen Gelübde. Das Gelübde soll der Segen für ein ganzes klösterliches Leben sein. Doch schon der heilige Benedikt von Nursia - der Gründer des abendländischen Mönchtums - kennt in seinen Ordensregeln aus dem fünften Jahrhundert die Möglichkeit, dass ein Mönch oder eine Nonne das Kloster auch wieder verlässt.
In Kapitel 58 seiner Regeln spricht Benedikt davon, dass die alten zivilen Kleider des Ordensmitglieds nach dem Ablegen seiner Gelübde in der Kleiderkammer des Klosters aufbewahrt bleiben sollen. Und zwar nur deshalb, um sie ihm wieder anzuziehen, wenn er das Kloster verlassen sollte. "Sollte er nämlich einmal der Einflüsterung des Teufels nachgeben und das Kloster verlassen, was ferne sei, dann ziehe man ihm die Sachen des Klosters aus und entlasse ihn", so Benedikt.
Fragt man heutzutage nach den Motiven für einen Klosteraustritt, so sind diese so vielfältig wie die Menschen, die sich einst voller Hoffnung für den Eintritt in ein Kloster entschieden hatten. In einer Sendung des Südwestrundfunks berichteten vor kurzem zwei ehemalige Nonnen vom schweren Weg des Ordensaustritts nach den "ewigen" Gelübden. Beide waren vor ihrem Austritt jeweils über zehn Jahre im Kloster gewesen.
Ein Gefühl von Scheitern
"Also ich habe wirklich das Gefühl von Scheitern gehabt", so Marlies Laudage. Sie habe etwas versprochen, was sie nicht eingehalten habe, "und das weiß ich schon aus meiner frühen Kindheit, dass das was ganz Schreckliches ist". Außerdem, so Laudage weiter, hätten sich über die Jahre recht gute Beziehungen zu vielen Mitschwestern entwickelt. "Ja und die habe ich auch ein Stück im Stich gelassen. Es gibt zwar noch Kontakte zu einigen aber ein Stück komme ich mir auch wie ein Verräter vor."
Der Austritt aus einem Kloster ist wie das Scheitern einer langjährigen Beziehung. Beteiligt sind daran immer beide Seiten. Bis heute aber tun sich die meisten Orden schwer damit, ihren Anteil am Scheitern anzuerkennen. Sobald eine Schwester oder ein Bruder ernsthaft äußert, dass sie oder er gehen will, gibt es in den meisten Orden wenig Raum für einen Abschied in Würde. Oft endet der Austritt mit einem radikalen Bruch, manchmal auch mit lange währenden Streitereien.
Zwar sieht das Kirchenrecht ausdrücklich die "Dispens" - also die Aufhebung von eingegangenen Gelübden - vor, doch kann darüber im Fall von "ewigen" Gelübden nur die höchste kirchliche Autorität entscheiden. Bei Ordensleuten ist dies die Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gemeinschaften des apostolischen Lebens in Rom. Für eine "Dispens" bedarf es gewichtiger Gründe; das Auftreten einer Krankheit etwa reicht in der Regel nicht aus. Doch: Ernsthaft und auf Dauer wird niemand einem Austrittswilligen allzu hohe Hürden in den Weg legen.
Wer den Orden verlässt, muss auch seine materielle Lebensgrundlage neu überdenken. So sagt die Buchautorin und ehemalige Missionsschwester Majella Lenzen: "Wegen des Armutsgelübdes hatte ich, die Ausgetretene, keine finanzielle Absicherung durch meine während der Ordenszugehörigkeit geleisteten Dienste. Ich hatte ja immer freie Kost und Logis bekommen - unsere Arbeit war somit 'ehrenamtlich'".
Erhebliches finanzielles Risiko
Die meisten deutschen Klöster sind im "Solidarwerk der Orden" zusammengeschlossen. Damit müssen sie für ihre Mitglieder keinen Beitrag in die Rentenversicherung einzahlen. Das Solidarwerk soll nämlich die Altersvorsorge für die Klöster selbst regeln. Für die Ausgetretenen bedeutet das aber einen gravierenden Nachteil: Das einzelne Mitglied hat nach dem Klosteraustritt zunächst keinen Rentenanspruch. Ein Klosteraustritt bedeutet also auch ein erhebliches finanzielles Risiko. Zwar soll das ehemalige Ordensmitglied laut Kirchenrecht auch weiterhin materiell unterstützt werden, doch für viele hat der Abschied aus dem Orden nicht selten einen Absturz auf Hartz-IV-Niveau zur Folge.
Was aber noch viel schwerer wiegt als die materiellen Einschnitte und die fehlende finanzielle Absicherung ist für die ehemaligen Ordensleute das, was ihrem Leben bis dahin Sinn und Halt gegeben hat. "Dass das hinterfragt wird, was du mal als Berufung bezeichnet hast, das ist sicher das, was am Tiefsten geht", so die ehemalige Schwester Regina Richard, die sich ebenfalls im "Südwestrundfunk" äußerte. "Also es ging bis in Phasen rein, wo ich nicht mehr in den Gottesdienst gehen konnte, da hatte ich den Eindruck: Es ist alles weg, alles. Ich glaubte fast, den Boden unter den Füßen zu verlieren."
Ein Leben "danach" gelingt nur, wenn die Bruchstücke des Lebens vor dem Austritt und nach dem Austritt sich wieder zusammenfügen. Viele ehemalige Ordensleute machen nach ihrem Austritt eine Psychotherapie. Darin muss auch der "Lebensabschnitt Kloster" ausreichend aufgearbeitet und gewürdigt werden.
Das Bewusstsein bei den Orden, dass die alte Institution der auf ein ganzes Leben abgelegten Gelübde neu überdacht werden muss, wächst derweil. So stellte etwa ein Arbeitspapier ("Instrumentum laboris") zum internationalen Kongress über das Ordensleben in Rom im November 2004 die Frage, ob man nicht angesichts der Neuheiten der Postmoderne über die "Ewigkeit von Gelübden" neu nachdenken müsse. Dieser Denkprozess ist noch lange nicht abgeschlossen; für die Zukunft der Klöster ist er jedoch von enormer Bedeutung.
Von Markus Schüppen