Betrachtungen eines Sportmuffels
Der Olympiade für Menschen mit Behinderung unterstellt er, "eine große Feel-Good-Show für Nicht-Behinderte" zu sein, "damit die sagen können, dass sie auch mal was für die Behinderten gemacht haben". Es zeigt sich aber, dass aus einem Film, der durchaus ein politisch korrekter Feel-Good-Betroffenheits-Film für Nicht-Behinderte hätte werden können, dennoch eine hinreißende Dokumentarkomödie werden kann.
Die Schönheit der Abweichung, des Unvollkommenen ist von Glasows Ziel. Es gibt ergreifende Aufnahmen in Zeitlupe, wenn die beinamputierte Schwimmerin Christiane Reppe durchs Wasser pflügt oder der armlose Bogenschütze Matt Stutzman seinen Bogen hochkonzentriert mit dem Fuß spannt. Ähnliches zeichnete schon "NoBody's Perfect" aus, der das "Making of" eines ungewöhnlichen Akt-Kalenders dokumentiert, für den sich der Regisseur und elf weitere Contergan-Geschädigte nackt fotografieren lassen.
Sarkastischer Sportmuffel
Sarkastisch und ganz in der Rolle des unverbesserlichen Sportmuffels begegnet Niko von Glasow seinen fünf Protagonisten - wobei die ruandische Sitzvolleyballmannschaft als Gesamtheit zählt. Sie ist im Film am wenigsten repräsentiert; trotzdem sind die Szenen wichtig, in denen der Regisseur inmitten der Sportler sitzt. Zum einen gibt es einige absurd komische Dialoge, zum anderen addiert die Mannschaft den sehr olympischen Gedanken der Völkerverständigung. In dieser Mannschaft ohne Beine gebe es keine Hutu und keine Tutsi. Alle sind gleich.
Zu den vier anderen Sportlern hat von Glasow recht unterschiedliche Beziehungen. Der griechische Boccia-Spieler Greg Polychronidis, der an einer fortschreitenden Muskelschwäche leidet, wird ihm zum guten Freund. Die beiden teilen offenkundig einen ähnlichen Humor; von Gregs liebender Familie wird von Glasow herzlich aufgenommen. Von Glasow zeigt sehr bewußt die Familien der Sportler, deren bedingungslose Unterstützung für die Porträtierten ein immenser Rückhalt ist.
Reflexionen über Geist und Körper
So begleitet er am Ende auch die Adoptiveltern der jungen schwedischen Tischtennisspielerin Aida Husic Dahlen, die mit ihrer Tochter mitfiebern. Glasow fragt unermüdlich nach, um was genau es den Protagonisten geht, die sich allesamt auf die Paralympics in London 2012 vorbereiten. Ihre Gegenfragen zwingen ihn, sich mit seinem eigenen Körperverständnis auch jenseits des Sarkasmus auseinanderzusetzen. Seine Reflexionen über Geist und Körper, Schönheit und Perfektionismus, sportlichem Ehrgeiz und Selbstzufriedenheit gibt der Film direkt an den Zuschauer weiter.
Der Bogenschütze Matt Stutzman hat eine sehr militante politische Meinung zum amerikanischen Waffenrecht. Niko von Glasow hat seinen eigenen Sohn mit in den mittleren Westen Amerikas genommen, der das Herumballern von Stutzmann und dessen Kindern naturgemäß toll findet. Glasows Kommentare zu den emblematisch-gruseligen Bildern der Kinder mit großkalibrigen Waffen sind witzig und gleichzeitig klare Stellungnahmen. Am Ende ist der Sportmuffel ein aufgeklärter Sportmuffel, allzeit bereit, sich von olympischen Emotionen mitreißen zu lassen – und auch mal zu einer Partie Boccia, mit seinem griechischen Freund.
Von Julia Teichmann