Blick von außen
Eine Jeschiwa, eine jüdische Religionsschule, hätte Peter Schäfer auch gerne besucht – "aber nur zwei Jahre lang". Der 71 Jahre alte Judaistik-Professor, der am Montag offiziell Direktor des Jüdischen Museums Berlin wird, hat sich den offenen Blick auf sein Fach bewahrt. So ist wohl auch der Weg von der amerikanischen Universität Princeton nach Berlin-Kreuzberg konsequent.
Seinen Posten an einer Spitzen-Uni tauscht der vielfach ausgezeichnete Wissenschaftler nun gegen den Direktoren-Job an einem der beliebtesten Museen in Deutschland. Der Übergang soll wohl auch ein Zeichen im spektakulären Museumsbau des Architekten Daniel Libeskind setzen: Nach der Ära von Gründungsdirektor W. Michael Blumenthal (88), der als Krisenmanager aus den USA eingeflogen wurde und das Museum nach politischen Querelen aus der Taufe hob, soll sich Schäfer um eine Neuausrichtung kümmern.
Neugiere und Interesse auch für Fachfremdes
Auf die Zweifel, ein museumsfremder Wissenschaftler könne sich wohl nur schwer in ein Ausstellungshaus mit mehr als 700.000 Besuchern im Jahr einfühlen, ist Schäfer vorbereitet. "An einer amerikanischen Universität lernt man sehr schnell, Neugierde und Interesse auch für Fachfremde zu wecken", sagt er.
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Weitere Informationen zum Jüdischen Museum Berlin finden Sie auf der Internetseite des Museums.In Princeton könne jemand noch so eine Koryphäe sein: "Zu Semesterbeginn müssen alle Professoren zwei Wochen lang mit ihren Vorlesungen für ihre Kurse werben." Am Erfolg werde jeder Dozent gemessen. Diese Erfahrung im Umgang mit Laien habe seiner wissenschaftlichen Arbeit eine neue Richtung gegeben und die Lesbarkeit seiner Texte deutlich verbessert, sagte der 71-Jährige, der seine Professur auf Lebenszeit aufgab, auch weil er näher bei seinen Kindern leben wollte.
Dabei fand Schäfer erst über Umwege zu seinem Fach. Der Spross aus einem katholischen Elternhaus in Mühlheim an der Ruhr hatte sich zunächst an der Universität Bonn für Theologie eingeschrieben. "Doch das war mir zu trocken." Mit der Aussicht auf ein Stipendium und einem Studium in Israel, entschloss er sich zum Wechsel. "Ich wollte eine Beziehung zu einer lebendigen Sprache und zu den Menschen, die diese Sprache sprechen." In Jerusalem lernte er seine Frau kennen, eine Orientalistin. "Sie kann Arabisch und wir sprechen beide Hebräisch – eine wunderbare Ergänzung."
Zuletzt als Professor in Princeton
Nach Stationen in Freiburg, Frankfurt, Tübingen und Köln übernahm der Experte für das Judentum der Antike und des Mittelalters den Judaistik-Lehrstuhl an der Freien Universität Berlin. 1998 erfolgte der Ruf aus Princeton. Für seine Arbeit wurde Schäfer mit Auszeichnungen geradezu überhäuft. Er erhielt unter anderem den Leibniz-Preis und den Mellon Award, die höchstdotierte Auszeichnung für Geisteswissenschaftler in den USA.
Als Wissenschaftler hat Schäfer auch Kontroversen nicht gescheut. Seine Studie etwa über die Spuren von Jesus im Talmud wurde in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" als gewagte Neuinterpretation eingeordnet, die "Neue Zürcher Zeitung" sah die Suche nach christlichen Spuren in der jüdischen Überlieferung als Versuch, Berührungsängste zwischen Juden und Christen zu überwinden.
Doch noch immer sieht Schäfer große Berührungsängste mit dem Judentum. "Das geht soweit, dass in Deutschland manche Probleme haben, das Wort Jude überhaupt in den Mund zu nehmen", sagt Schäfer. Der Wissenschaftler begründete diese Scheu auch mit uralten antisemitischen Vorurteilen, die bis in die Antike reichten. Er spricht vom "heidnischen Antisemitismus" der Griechen, die christliche Sicht der Juden als "Jesusmörder" bis zu den rassistischen Wahnvorstellungen aus dem 19. und 20. Jahrhundert.
"Globaler Antisemitismus auf dem Vormarsch"
Im Internet-Zeitalter sieht Schäfer einen "globalen Antisemitismus" auf dem Vormarsch, der sich aus der Kritik am Staat Israel und der muslimischen Judenfeindschaft nährt. "Dabei haben die Muslime und Juden über Jahrhunderte eher friedlich zusammengelebt." Aus solchen Erkenntnissen will Schäfer für die Arbeit im Museum schöpfen, sich aber gleichzeitig vor einem allzu professoralen Auftritt hüten. Zusammen mit Programmdirektorin Cilly Kugelmann plant er eine vorsichtige Erneuerung der Dauerausstellung. Auch die neue Akademie des Museums soll sich weiter um das gestörte Verhältnis zwischen Juden und Muslimen kümmern.
Von den ersten Spuren jüdischen Lebens bis zu den Jahren nach dem Holocaust – tatsächlich ist die von dem neuseeländischen Anthropologen und Museumsdesigner Kenneth Gorbey entworfene Schau in die Jahre gekommen. Zwar tauscht das Museum immer wieder einzelne Stücke aus. "Doch im Großen und Ganzen hat sich nicht viel geändert", räumt Schäfer ein. So will er Vorurteile auf den Prüfstand stellen, etwa den immer wieder behaupteten Gegensatz zwischen "Landjuden" und "Stadtjuden". Auch will er etwa die Rolle der deutschen Juden in der zionistischen Bewegung sowie dem Staat Israel mehr Platz in der Schau geben. "Wir sollten mehr kulturelle und religiöse Fragen aufgreifen."