Bis in den Himmel
"Wir waren überrascht, wie viele Meisterwerke sich mit dem Thema beschäftigen", sagte Museumsdirektor Marcus Dekiert bei einer Pressekonferenz am Donnerstag in Köln. Bei den 200 Kunstwerken von über 100 verschiedenen Künstlern hängt jedoch das bedeutendste Exponat nicht an der Wand, sondern steht vor dem Fenster: Von einem der Räume hat der Besucher einen direkten Blick auf den Kölner Dom. Gleichzeitig kann man innen Gemälde bewundern, auf denen Künstler ihre eigene Herangehensweise an das Motiv wiedergeben. Während Karl Georg Hasenpflug auf seinem Gemälde von 1834/36 seine "Ideale Ansicht des Kölner Doms" darstellt und damit die Hoffnung ausdrückt, dass er irgendwann einmal fertig werden wird, packt Christo in seiner Collage von 1992 "Mein Kölner Dom wrapped" die Kathedrale kurzerhand in beige Stoffbahnen.
Nicht alle Bilder zeigen eine Kathedrale
Gerade diese unterschiedliche Umgangsweise mit dem Motiv fasziniert Kuratorin Dagmar Kronenberger-Hüffer. Deshalb sei das Museum auch nicht so streng gewesen, was die Auswahl der Motive angeht. "Nicht alle Bilder zeigen wirklich eine Kathedrale, manche auch nur eine Kirche oder gar eine Ruine", gibt Museumsdirektor Dekiert zu. "Aber es geht darum, wie sich die Künstler mit der Formensprache der Gotik, beispielsweise den großen Rosetten, auseinandergesetzt haben", ergänzt Kronenberger-Hüffer. So kann der Besucher im chronologischen Gang durch die neun Räume der Ausstellung mal romantisierende, mal knallbunte, mal detailgetreue Ansichten sakraler Bauten und auch einzelne Skulpturen bewundern.
Darunter ist eine Plastik von Auguste Rodin, die aus zwei Händen besteht. Auf den ersten Blick könnte der Betrachter meinen, die Hände seien die eines Beters – aber tatsächlich sind es zwei rechte Hände. "Der Zwischenraum zwischen den Händen lässt eine Kathedrale erkennen", erklärt Sylvain Amic, Direktor der Museen der Stadt Rouen. Dass auch der französische Kooperationspartner gerade in Köln ist, zeigt die Bedeutung des Projekts, ebenso wie die Schirmherrschaft der beiden Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Laurent Fabius. Die Förderung der deutsch-französischen Freundschaft ist ein großes Anliegen der Ausstellung.
Goethe löste eine neue Begeisterung für die Gotik aus
Gotische Kathedralen erfreuten sich aber nicht immer so großer Beliebtheit. Während der Renaissance konzentrierte man sich eher auf den Menschen als auf Gott und ließ die Gotteshäuser nach und nach verfallen. Ausgerechnet zwei Schriftsteller, Johann Wolfgang von Goethe und Victor Hugo, sorgten in der Romantik dafür, dass sich das änderte. Ersterer brachte seine Faszination über den Baustil in seinem Aufsatz "Von deutscher Baukunst" 1772 zum Ausdruck – und löste damit zugleich eine große Kontroverse darüber aus, von wem die Gotik denn eigentlich stammte. Kunsthistorische Schriften stellten bald klar, dass es die Franzosen gewesen waren. Hugo wiederum trug zu einer höheren Wertschätzung der alten Bauten durch seinen Roman "Der Glöckner von Notre-Dame" von 1831 bei, in dem die gotische Kathedrale den Hauptschauplatz darstellt. In diesem Prozess der Wiederentdeckung der gotischen Bauwerke entwickelten sie sich in beiden Ländern zu Nationaldenkmälern.
Umso mehr war die Bombardierung der Krönungskirche in Reims von Seiten der deutschen Artillerie im September 1914 ein Schlag ins Zentrum des französischen Nationalgefühls. Ein eindrucksvolles Zeugnis dieser Zeit ist ebenfalls in der Ausstellung vertreten. Nachdem das Dach der Kathedrale durch den Beschuss Feuer gefangen hatte, begannen die Bleiplatten, aus denen es bestand, zu schmelzen. So floss statt Wasser flüssiges Blei das Dach bis zu den Wasserspeiern hinunter. In deren Kehlen aber erkaltete es wieder, sodass der Besucher heute in der Ausstellung als düstere Erinnerung an das Ausmaß des Kriegs einen solchen Wasserspeier sehen kann, aus dessen Maul die dunkle Masse ragt.
Gleich mehrere Exponate widmen sich im selben Raum den bunten Glasfenstern, die der deutsche Künstler Imi Knoebel für die Kathedrale in Reims anlässlich ihres 800-jährigen Bestehens gestalten durfte. So wird auch innerhalb der Kunst der Weg zur Versöhnung deutlich.
Vorgeschmack auf die Schönheit des himmlischen Jerusalems
Auch wenn sich das Museum mit der Ausstellung einem zutiefst religiösen Themas widmet, macht Dagmar Kronenberger-Hüffer deutlich, dass nicht das Sakrale dargestellt werden soll. In der kunsthistorischen Ausstellung solle man vielmehr selbst erkennen können, wie der jeweilige Künstler mit dem Motiv umgegangen sei. Während beispielsweise noch bei Caspar David Friedrich in der Romantik das Spirituelle eine große Rolle spielte, gehe es bei Claude Monet im Impressionismus schon viel mehr um das Formale in der Darstellung.
Und irgendwie spricht die Gotik auch ihre eigene Sprache. Kronenberger-Hüller verweist darauf, dass in der Romanik dicke Mauern und grimmig dreinschauende Heilige die Kirchen bestimmt hatten. Dies sei auch mit einer bestimmten Geisteshaltung einhergegangen. Die Gotik aber wolle etwas ganz anderes aussagen. Die förmlich in den Himmel ragenden Kathedralen und die lichten, weiten und hellen Kirchenräume machten deutlich, dass hier ein Vorgeschmack auf die Schönheit des himmlischen Jerusalems erfahrbar werden soll, so die Kuratorin. Zwischen all den Bildern, die sich auf so unterschiedliche und häufig sehr persönliche Weise mit Kathedralen auseinandersetzen, scheint diese Beschreibung auch für die Ausstellung nicht ganz unpassend.
Von Theresia Lipp