Indiana Jones im Kirchenkeller

Veröffentlicht am 27.09.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Bistum Magdeburg

Halle ‐ Die Geschichten, die Erik Ernst Venhorst zu erzählen hat, sind spannend. Sehr spannend. Die Geschichten spielen in alten Klostergemäuern, in Kirchen, in umgebauten Ställen, Scheunen und in einer Kegelbahn. Sie handeln von alten Knochen von berühmten Heiligen, von Totenschädeln, die seltsame Hauben tragen und von goldenen Gefäßen, die zu Zeiten des Kalten Krieges aus den USA hinter den Eisernen Vorhang gebracht wurden.

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Von silbernen Ziborien, die irische Arbeiter in die Sowjetzone schickten. Seine Geschichten handeln von den "Knights of Columbus", zu denen auch der US-Präsident John F. Kennedy gehörte. Und seine Geschichten sind alle echt. Er hat sie alle selbst erlebt – im Bistum Magdeburg.

"Ich darf in jeden Keller, ich darf auf jeden Dachboden einer Kirche, ich darf jede Tür und jeden Schrank öffnen", erzählt Erik Ernst Venhorst von seinem Job. Venhorst ist Kunsthistoriker und so etwas wie der Indiana Jones im Bistum Magdeburg. In den vergangenen sieben Jahren hat Venhorst jeden Stein in den Kirchen und Pfarrhäusern des Bistums umgedreht. Jede Schublade in den Sakristeien hat er aufgezogen, jede knarrende Schranktür aufgemacht – immer auf der Suche nach Kunstgegenständen. Und er ist fündig geworden. 13.000 Mal.

Erik Ernst Venhorst ist Kunsthistoriker und arbeitet für das Bistum Magdeburg.
Bild: ©Markus Kremser

Erik Ernst Venhorst ist Kunsthistoriker und arbeitet für das Bistum Magdeburg.

Wahre Krimis

Auf den Mauritiustagen, die am Donnerstag und Freitag in Halle stattfanden, präsentiert Venhorst seine Arbeit. "42.000 Fotos von 13.000 Objekten an 199 Standorten", sind die nüchtern statistische Bilanz seiner Arbeit. Seit dem Jahr 2007 hat er alle Kunstgegenstände in den Pfarreien und Einrichtungen des Bistums inventarisiert. Das Land Sachsen-Anhalt hat die Katalogisierung mit rund 100.000 Euro gefördert, noch einmal über 170.000 Euro hat das Bistum investiert. Zu jedem Kunstwerk hat Venhorst ein Datenblatt angelegt. Noch mehr Daten sind elektronisch zu jedem Stück gespeichert. Was ist das für ein Stück? Aus welchem Material ist es? Wie groß ist es? Und wo wird es aufbewahrt? Das sind die Fragen, die Venhorst mindestens beantwortet. Manchmal ergeben sich nämlich wahre Krimis, wenn er nach der Herkunft der Objekte forscht.

So wie bei den silbernen Ziborien, die sich in einigen Gemeinden der Diözese fanden. Die Inschrift "Jack Spencer, Dublin" steht unter den Hostienschalen. Doch wie kommen irische Silbergefäße nach Sachsen-Anhalt? Venhorsts recherchierte und fand heraus: Katholische irische Arbeiter spendeten die Ziborien für die ostdeutschen Katholiken in der extremen Diaspora kurz nach dem Krieg. Damals kamen zehntausende vertriebene Katholiken aus Schlesien und Böhmen in die protestantisch geprägte Gegend. Dutzende Gemeinden entstanden neu und hatten keinerlei liturgische Geräte oder Messgewänder. Katholische Gläubige aus Irland halfen den Vertriebenen.

Monstranzen und liturgische Gewänder

Einige der von Venhorst wieder entdeckten Schätze sind während der Mauritiustage im hinteren Teil der Moritzkirche zu sehen. Monstranzen, Kelche, Sammeldosen und liturgische Gewänder sind hier unter anderem ausgestellt. Der Abschluss der Inventarisierung aller Kunstgegenstände im Bistum Magdeburg ist der Anlass für diese Tagung. "Die erstmals stattfindenden Mauritiustage widmen sich dieses Jahr der christlichen Kunst", sagt Reinhard Grütz, der Leiter der Katholischen Akademie und Organisator der Tagung. Mit der Beziehung von Kunst und Religion und der Bedeutung von christlicher Kunst für Gesellschaft und Politik beschäftigen sich weitere Vorträge. "Es wird bei den Mauritiustagen nicht immer um Kunst gehen. Nächstes Jahr kann es auch um ein pastorales oder ein soziales Thema gehen", erklärt Reinhard Grütz.

„Ich darf in jeden Keller, ich darf auf jeden Dachboden einer Kirche, ich darf jede Tür und jeden Schrank öffnen“

—  Zitat: Erik Ernst Venhorst über seine Arbeitsstelle

Der Tagungsort, die Moritzkirche und ihre Einrichtung, ist einer der Schätze, die Venhorst katalogisiert hat. "Altäre oder Orgelprospekte sind die größten Stücke", sagt Venhorst. Die Arbeit des Kunsthistorikers ist auch trotz teilweise atemberaubender Entdeckungen nicht immer so aufregend, wie die Indiana-Jones-Filme. "Inventarisierung ist eine einsame Angelegenheit", sagt Erik Venhorst. Jedes Stück wird vermessen und fotografiert. Die 199 Standorte, an denen die Kunstwerke im Bistum lagern, sind in erster Linie die Kirchengebäude des Diasporabistums von denen einige vorher Ställe oder Scheunen waren oder sogar eine Vergangenheit als Kegelbahn haben.

Kelche aus Brasilien und den USA

Erst im Büro beginnt dann die Recherche nach der Geschichte des einen oder anderen Stückes. So findet Venhorst auch heraus, dass manche Kelche im Bistum Magdeburg aus Brasilien oder den USA kommen. "Die Knights of Columbus, die Columbus-Ritter, sind die größte katholische Laienorganisation weltweit. Auch die beiden Kennedy-Brüder, der Präsident John F. Kennedy und Ted Kennedy, gehörten dazu", erklärt Venhorst. Ein goldener Kelch aus den 1950er Jahren trägt das Wappen dieses Ordens. Wie er hinter den Eisernen Vorhang gekommen ist? Noch kann das niemand sagen. Aber auch die anderen 13.000 Stücke, die Venhorst inventarisiert hat, haben noch viel zu erzählen. So wie der Armknochen, den er entdeckt hat. Ein kleines Schildchen weist ihn als Reliquie eines ganz berühmten Heiligen aus. Es ist ein Knochen des heiligen Blasius.

Von Markus Kremser